# taz.de -- Berlinale-Spielfilm „Tótem“: Pozole und Morphium | |
> In ihrem Spielfilm entwickelt die mexikanische Regisseurin Lila Avilés | |
> das spannungsreiche Porträt einer Familie. „Tótem“ läuft im Wettbewerb. | |
Bild: Die siebenjährige Sol (Naíma Sentíes) will in „Tótem“ ihren sterb… | |
Sol ahnt, dass ihr Vater Tona bald sterben wird. Im Haus ihres Großvaters | |
wird der noch junge Maler hinter verschlossenen Türen von einer Pflegerin | |
betreut. Dort planen Sols Tanten Nuri und Alejandra für den Abend ein | |
großes Fest zum Geburtstag des kranken Bruders. | |
Hektische Vorbereitungen werden in dem weitläufigen, etwas in die Jahre | |
gekommenen Elternhaus getroffen, während sich die Wege der Bewohner immer | |
wieder mit den neu eintreffenden Gästen kreuzen. In diesem räumlich und | |
zeitlich definierten Rahmen entwickelt die mexikanische Regisseurin Lila | |
Avilés „Tótem“, ihren Spielfilm, den einzigen lateinamerikanischen Beitrag | |
[1][im Wettbewerb] der [2][diesjährigen Berlinale]. | |
## Familie, Freundschaft und Tod | |
Im Zentrum der vielstimmigen Erzählung über Familie, Freundschaft und Tod | |
steht die siebenjährige Tochter, überzeugend dargestellt von Naíma Sentíes. | |
Sols dringende Bitte, den geschwächten Vater sofort sehen zu dürfen, wehren | |
die Erwachsenen hartnäckig ab, denn bis zum Abend soll Tona seine Kräfte | |
sammeln, und bis dahin muss einiges geschehen. | |
Ihre Mutter arbeitet noch im Theater, und so verbringt das Mädchen die | |
Wartezeit in der Nähe der Tanten oder streift allein durch die | |
verschiedenen Zimmer des Hauses, den tropischen Gartendschungel und die | |
ehemalige Keramikwerkstatt der schon verstorbenen Großmutter. Deren Zimmer | |
wird inzwischen von ihrem Sohn Tonatiuh bewohnt. Das hat Sol von Cruz, der | |
Pflegerin, erfahren. | |
## Das Fest wird ein Abschied sein | |
Reizvoll undurchsichtig fügen sich die verschiedenen Fragmente der | |
familiären Beziehungen allmählich zu einem komplexen Ganzen zusammen. So | |
scheinen in „Tótem“ auch die Objekte zu sprechen. Diego Tenorios | |
Kameraführung unterstreicht diese Dramaturgie mit tastenden, neugierigen | |
Einstellungen. | |
Ist die weinende junge Frau im Arbeitszimmer des Großvaters seine | |
Patientin? Und er der Therapeut? Mit einer elektronischen Sprechhilfe gibt | |
der ältere Herr knappe, knarrende Kommentare. Für die spirituellen | |
Reinigungsrituale seiner Tochter Alejandra hat er jedenfalls kein | |
Verständnis. Konzentriert widmet er sich lieber der Pflege der Bonsai. | |
Derweil laboriert Nuri seit Stunden mit ihrer kleinen Tochter in der Küche. | |
Die erste Geburtstagstorte ist ihnen schon verbrannt. Doch die Zeit | |
schreitet unaufhaltsam voran. Das große Fest wird auch ein Abschied sein. | |
Langsam füllt sich das Haus. | |
## Für ihr Debüt wurde Avilés ausgezeichnet | |
„Tótem“ ist der zweite Langfilm der 1982 geborenen Regisseurin, | |
Drehbuchautorin und ehemaligen Schauspielerin Lila Avilés. Für ihr Debüt | |
„La camarista“ (2018) wurde sie 2019 mit dem Premio Ariel für den besten | |
mexikanischen Nachwuchsfilm ausgezeichnet, der aus der Perspektive eines | |
Zimmermädchens den Alltag in einem Luxushotel schildert. | |
Die Protagonisten ihres jüngsten Spielfilms gehören dagegen einer | |
künstlerisch-intellektuellen Mittelschicht an. Doch spätestens durch die | |
Krankheit des Bruders sind die finanziellen Möglichkeiten der Familie | |
ausgeschöpft. So soll das Fest auch dazu dienen, Spenden zu sammeln. | |
Nur unter Schmerzen und mit Morphium betäubt bereitet sich Tonatiuh endlich | |
darauf vor, sein Zimmer zu verlassen, um der Familie und den Freunden | |
entgegenzutreten. Und endlich gelingt es auch Sol, einen kurzen intimen | |
Moment mit Vater und Mutter zu genießen, bevor draußen im Patio trotz | |
allseitiger Erschöpfung ein schillerndes, rauschhaftes Fest beginnt und ein | |
Zyklus der Zeit unwiderruflich zu Ende geht. | |
20 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlinale.de/de/festival/sektionen/wettbewerb.html | |
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## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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