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# taz.de -- Bergbauschäden in NRW: Am Ende blecht der Steuerzahler
> In Nordrhein-Westfalen sind tausende Schächte und Stollen
> einsturzgefährdet. Ihre Stabilisierung wird hunderte Millionen Euro
> kosten.
Bild: Zwei Garagen und ein Cabrio verschwanden im Jahr 2000 in diesem Kohlekrat…
Bochum taz | Wer heute von Düsseldorf nach Essen mit der S-Bahn fährt
braucht viel Zeit. Mindestens bis Mai geht zwischen Kettwig und dem Essener
Hauptbahnhof nichts mehr – statt Zügen fahren langsame Ersatzbusse durch
die Stadt.
Denn am Haltepunkt Hügel, 1890 vom Großindustriellen Friedrich Alfred Krupp
als Zufahrt zu seiner gleichnamigen palastartigen Villa erbaut, könnte sich
der Boden in einen Krater verwandeln. Elf alte Steinkohleflöze mit
mindestens sieben großen Hohlräumen haben Techniker unter der Strecke
gefunden. Um die zu verfüllen, pressen sie jetzt täglich bis zu 100
Kubikmeter Beton in die Erde – die Kosten gehen in die Millionen.
Vor allem an der Ruhr, im Aachener Kohlerevier und an der Saar dürften
solche Bergschäden in den kommenden Jahrzehnten beinahe alltäglich werden:
Rund 60.000 verlassene „Tagesöffnungen“ gibt es allein in
Nordrhein-Westfalen, schreibt die schwarz-gelbe Landesregierung in einer
Antwort auf eine große Anfrage der Grünen. Für rund 2.500 dieser
aufgegebenen Schächte hat das Land die Verantwortung übernommen – ihre
Betreibergesellschaften sind längst verschwunden, aufgelöst, aus den
Firmenregistern gestrichen.
Bei rund 1.000 dieser Schächte muss mit Einsturz gerechnet werden – sie
gelten als „langfristig nicht zu akzeptierendes Risiko“. Und bei 65 Anlagen
ist nicht einmal die genaue Lage bekannt: „Leider sind während der beiden
Weltkriege zahlreiche Unterlagen – insbesondere Grubenbilder – verloren
gegangen“, so das Wirtschaftsministerium.
„Das sind besorgniserregende Nachrichten“, sagt die grüne Abgeordnete Wibke
Brems. „Wir wissen nun, dass wir nichts wissen.“ Als besonders gefährlich
gilt der oberflächennahe Altbergbau bis zu einer Tiefe von 100 Metern, der
in Nordrhein-Westfalen eine Fläche von 267 Quadratkilometern durchlöchert
hat. Allein in Bochum trifft das knapp 63 Quadratkilometer – das sind 43
Prozent des Stadtgebiets. „Das Ruhrgebiet ist durchlöchert wie ein
Schweizer Käse“, sagt Brems.
## Zwei Garagen und ein Cabrio: weg
Die Folgen sind oft spektakulär: Im Bochumer Stadtteil Wattenscheid
verschwanden im Jahr 2000 zwei Garagen und ein Cabrio in einem 40 Meter
breiten und ebenso tiefen Krater, bergmännisch „Tagesbruch“ genannt. 2012
fuhr auf der A45 bei Dortmund drei Wochen lang kein Auto mehr, nachdem sich
auf dem Mittelstreifen die Erde geöffnet hatte. Und 2013 mussten Teile des
Essener Hauptbahnhofs wegen Löchern im Untergrund gesperrt werden – da
viele Züge nur noch Schrittgeschwindigkeit fahren durften, gab es über
Wochen lange Verspätungen.
Trotzdem soll eine umfassende Risikoanalyse der Bergaufsicht an der Ruhr
erst 2021 abgeschlossen sein. Für das Aachener Revier soll sie sogar noch
zehn Jahre auf sich warten lassen. Aktuell fehlt sogar ein zentrales
Kataster, das erfasst, welche Gefährdungsanalysen und Sicherungsmaßnahmen
Firmen wie ThyssenKrupp, RWE oder Eon als die Rechtsnachfolger ehemaliger
Bergbauunternehmen an alten Zechen eigenständig durchführen lassen. Man
habe daher „nur einen eingeschränkten Überblick über die tatsächliche
Gefährdungssituation in den Bergbaurevieren des Landes“, muss das
Wirtschaftsministerium einräumen.
„Ein solches Kataster wäre sinnvoll“, sagt auch Ulrich Aghte, Sprecher des
einzigen noch aktiven Bergwerksbetreibers RAG. In Bottrop wird „Prosper
Haniel“ als letzte deutsche Steinkohlezeche noch bis Ende 2018 fördern.
Die Landesregierung will eventuell nachbessern: Es werde „eine Verschärfung
der Informationspflichten“ geprüft, so FDP-Wirtschaftsminister Andreas
Pinkwart auf taz-Nachfrage.
## Kosten von 130 Millionen Euro
Völlig unklar bleibt aber, wer für die Bergschäden der kommenden Jahrzehnte
zahlen wird. Klar ist: Für jeden sanierten Schacht unter Landesaufsicht hat
Nordrhein-Westfalen zwischen 2007 und 2016 im Schnitt knapp 129.000 Euro
ausgegeben. Allein für die schon heute bekannten weiteren rund 1.000
einsturzgefährdeten Anlagen in Landeszuständigkeit kommen damit Kosten von
130 Millionen Euro auf die SteuerzahlerInnen zu.
Allerdings: Für knapp 10.000 Schächte und Stollen tragen die
Rechtsnachfolger der Altgesellschaften, also RAG, ThyssenKrupp, RWE, Eon
und andere die Verantwortung. Zur Höhe der Kosten und dafür zur Seite
gelegter Rückstellungen wollen die Unternehmen jedoch keine konkreten
Angaben machen.
Die Firma Littelfuse als Rechtsnachfolger der Heinrich Industrie hat der
Landesregierung sogar mitgeteilt, selbst die Zahl ihrer „potenziell zu
sanierenden Schachtanlagen“ sei schlicht „unbekannt“.
Die grüne Abgeordnete Brems fordert daher, die einstigen Bergbaufirmen zur
Offenlegung ihrer Kalkulationen zu zwingen. „Die Landesregierung sollte
kontrollieren, ob die Rückstellungen ausreichend sind. Sonst bleibt der
Steuerzahler auf den Kosten hängen.“
## „Ganze Regionen haben sich abgesenkt“
Die Tagesbrüche sind nur die spektakulärsten Schäden, die der
Steinkohlebergbau hinterlassen hat: Hinzu kommen die sogenannten
Ewigkeitskosten, die auf 220 Millionen Euro pro Jahr geschätzt und noch
jahrhundertelang anfallen werden.
Der Grund: Der Boden im Ruhrgebiet hat nachgegeben, weil die Kohle entfernt
wurde und Stollen eingestürzt sind. „Ganze Regionen haben sich abgesenkt,
in extremen Fällen bis zu 25 Meter“, räumt die RAG-Stiftung ein, die die
Ewigkeitskosten finanziell absichern soll. Ein Beispiel: Die Essener
Innenstadt lag vor hundert Jahren unvorstellbare 16 Meter höher als heute.
Völlig verändert wurde damit der Wasserhaushalt: Jährlich müssen Millionen
Kubikmeter Wasser abgepumpt werden, damit sich das nördliche Ruhrgebiet
nicht in eine Seenlandschaft verwandelt. Denn es liegt im ehemaligen
Sumpflandschaft der Emscher.
Hinzu kommen massive Umweltprobleme: In den alten Schächten und Stollen
steckt nicht nur hochgiftiges PCB, das aus Hydraulikölen der
Fördermaschinen stammt. In mindestens vier Zechen wurden auch rund 700.000
Tonnen giftiger Filterstäube aus Müllverbrennungsanlagen eingelagert. Damit
sich das Gift nicht mit dem Grundwasser vermengt, müssen die 1.000 Meter
tiefen Schächte dauerhaft trocken gehalten werden – diese sogenannte
Grubenwasserhaltung muss bis in alle Ewigkeit laufen – und das abgepumpte
Wasser aufwendig gereinigt werden.
Die Kosten sollen durch das Vermögen der RAG-Stiftung finanziert werden,
das sich auf über 10 Milliarden Euro beläuft. Doch schon 2006 hatte die
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ein Kapital von 13 Milliarden Euro
für nötig gehalten, um die Ewigkeitskosten zu finanzieren – und
ausdrücklich auf eine mögliche Gefährdung des Trinkwassers hingewiesen.
## Ewig erfolgreiche Evonik
In der aktuellen Nullzinsphase aber sind solche Berechnungen illusionär. Um
die Ewigkeitskosten von jährlich 220 Millionen Euro einzuspielen, sei
derzeit ein Kapital von unglaublichen 400 bis 500 Milliarden Euro nötig,
hat RAG-Stiftungschef Müller eingeräumt.
Von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit will Stiftungssprecherin Sabrina
Manz dennoch nichts wissen: Die Steigerung des nötigen Kapitals von „13 auf
450 Milliarden“ sei lediglich ein „zinsmathematisches Phänomen“. Manz
verweist auf die Dividende des Spezialchemieunternehmens Evonik AG; der
einstige „weiße Bereich“ der RAG wurde der Stiftung 2007 zur Absicherung
übertragen. 2016 habe die Stiftung „ein Ergebnis von 393 Millionen Euro
verzeichnet“, betont Manz – davon „gut 360 Millionen Euro an Dividende von
Evonik“.
Anders gesagt: Um die Ewigkeitskosten zu finanzieren, muss Evonik ewig
erfolgreich sein.
28 Dec 2017
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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