# taz.de -- Bedrohung von Politiker*innen: Keine Einzelfälle | |
> Gewalt gegen KomunalpolitikerInnen nimmt zu. Das lässt sich politisch und | |
> juristisch bekämpfen – wenn man will. | |
Bild: Die stellvertretende Landesvorsitzende Katharina Zacharias (SPD) in Asche… | |
Katharina Zacharias fand Ende Januar einen Zettel in ihrem Briefkasten. Er | |
ähnelte, mit ein paar groben Strichen, einer Kinderzeichnung und wirkte | |
erst mal irgendwie harmlos. Er zeigte eine Figur mit langen Haaren, die am | |
Galgen baumelt. Die 29-jährige ist SPD-Stadträtin in Haldensleben in | |
Sachsen-Anhalt. Sie hatte zuvor eine rassistische Karnevalsrede öffentlich | |
kritisiert. Offenbar war dies eine Reaktion. Sie nahm den Zetteln ernst und | |
wertete ihn als Morddrohung. | |
Fälle wie diese häufen sich. Einer [1][Umfrage der Zeitschrift Kommunal], | |
Organ des Deutschen Städte- und Gemeindetags, zufolge wurden 64 Prozent der | |
Bürgermeister hierzulande schon beleidigt oder bedroht. Ein Jahr zuvor | |
waren es der gleichen Umfrage zufolge (an der sich allerdings weniger als | |
halb so viele beteiligt hatten) 41 Prozent gewesen. Körperlich attackiert | |
wurden 9 Prozent, im Jahr zuvor berichteten 7 Prozent davon. Den Begriff | |
körperliche Attacke fasst die Umfrage weit, von angespuckt werden über | |
Rangelei bis zu Schlägen. | |
Die Tendenz, die diese Umfragen seit 2016 anzeigen, ist deutlich. Die | |
spektakulären Fälle wie der [2][Mord an Walter Lübcke], das [3][Attentat | |
auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker], die [4][Morddrohung | |
gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby] sind keine Einzelfälle. | |
Die Hemmschwelle für [5][Beleidigungen und Gewaltandrohungen gegenüber | |
Repräsentanten von Kommunen, Städten und Ländern] sinkt. | |
Warum? Man kann dies als Symptom allgemeiner Enthemmung und Gewaltneigung | |
lesen. Allerdings kommt man damit nicht weit. Laut Statistik ist die | |
Kriminalität hierzulande im gleichen Zeitraum zurückgegangen. Dass immer | |
alles schlimmer wird, ist eben ein medial katalysiertes Vorurteil. Der | |
zweite Verdächtige ist die Revolte von 68, die für einen Autoritätsverlust | |
von jedweden Vertretern des Staates gesorgt habe, dessen Nachtseite man nun | |
sehe. 68 wird gern für Verfallserscheinungen aller Art in Haft genommen – | |
doch eine Erklärung, warum fünfzig Jahre später das Aggressionslevel gegen | |
Stadträte steigt, ist dies keineswegs. | |
## Kein Alarmismus | |
Eine plausiblere Erklärung ist, dass die Bedrohungen mit einer diskursiven | |
Verschiebung nach rechts zu tun haben. Rechtsextreme und sogenannte | |
Reichsbürger treten seit ein paar Jahren offener auf und lassen ihren | |
Aggressionen dreist freien Lauf. Typisch für die Bedrohungen ist auch: Sie | |
sind ein städtisches Phänomen, weniger eines von Dörfern. Ein dichtes | |
soziales Kontrollnetz macht die Hürde für Ausfälligkeiten höher. | |
Ist all das schlimm für die Demokratie? Ja, natürlich, aber kein Anlass für | |
Alarmismus. Es stimmt: Mancherorts will niemand mehr Bürgermeister oder | |
Stadtrat werden. Doch für die Vermutung, dass die wachsenden Bedrohungen | |
ein wesentlicher Grund dafür sind, spricht nicht viel. Laut der | |
Kommunal-Umfrage will nur eine verschwindende Minderheit von Mandatsträgern | |
deswegen nicht mehr kandidieren. Weit mehr stört das nervtötende | |
Anspruchsdenken der BürgerInnen. Und der entscheidende Grund für den | |
Unwillen, in Dörfern und Gemeinden Ämter zu übernehmen, ist profunden | |
Umfragen zufolge ein ganz anderer: Zeitmangel. Job und Familie und | |
Gemeinderat ist vielen zu viel. | |
Ein kulturkritischer Seufzer ist angesichts der Bedrohungen naheliegend, | |
nutzt aber nichts. Um der Bedrohungs- und Gewaltphänome, die ein Angriff | |
auf die Basis der Demokratie sind, Herr zu werden sind drei Schritte nötig. | |
Betroffene wie Katharina Zacharias brauchen, gerade weil solche Attacken | |
verunsichern, eine zentrale Anlaufstelle und praktische Beratung. Das | |
Spektrum reicht ja von Pöbeleien im Netz bis zu handfesten Drohungen, die | |
harte, schnelle Reaktionen erfordern. Zudem gibt es zwar zaghafte Ansätze | |
für ein Bündnis von Union bis Linkspartei, das diesem Thema mehr | |
Aufmerksamkeit zukommen lässt. Angriffe auf KommunalpolitikerInnen sind im | |
Relevanzranking aber noch immer zu weit unten angesiedelt. | |
Zudem ist nötig, was Linksliberale eher nicht mögen: schärfere Gesetze. Und | |
die sind, das ist die gute Nachricht, auf dem Weg. Justizministerin | |
Lambrecht will die Strafen für Beleidigungen im Netz verdoppeln, für | |
öffentliche Morddrohungen soll es bis zu drei Jahren Knast geben. Es ist | |
keine Raketenwissenschaft, diese Bedrohung in den Griff zu bekommen. Mit | |
harten Gesetzen, einer empfindsamen demokratischen Öffentlichkeit und einer | |
Justiz, die entschlossen handelt, wird das gelingen. Wenn man es will. | |
10 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://kommunal.de/kommunalpolitiker-umfrage-2020 | |
[2] /Ermittlungen-im-Mordfall-Luebcke/!5605879 | |
[3] /Prozess-um-Attentat-auf-Henriette-Reker/!5314060 | |
[4] /Nach-Schuessen-aufs-Buero/!5659205 | |
[5] /Angriffe-auf-Lokalpolitiker/!5648696 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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