# taz.de -- Barbie überwacht das Kinderzimmer: Hey, Puppe | |
> Die neue „Hello Barbie“ zeichnet die Unterhaltungen auf, die sie mit | |
> ihrer Besitzerin führt. Überwacht werden wir aber nicht nur hier. | |
Bild: Barbie hat immer ein offenes Ohr. Wirklich immer | |
Einmal auf den Gürtel drücken, dann läuft die Aufnahme. Dann zeichnet die | |
neue „Hello Barbie“ auf, was die Besitzerin ihr erzählt – und schickt die | |
Audioaufnahmen übers WLAN nach San Francisco. Die Puppe merkt sich so, was | |
das Kind ihr über seine Familie erzählt, über seine Vorliebe für Taylor | |
Swift oder die Farbe Lila – und kann seine Besitzerin auch Wochen später | |
noch einmal darauf ansprechen, weil alle Aufzeichnungen auf den Servern der | |
US-Firma ToyTalk zusammenlaufen. Dort werden die Aufzeichnungen der Dialoge | |
zwischen Kind und Puppe, die sich am Gürtel an- und ausschalten lassen, | |
nicht nur gespeichert, sondern sind auch für die Eltern abrufbar. | |
Das Internet der Dinge trifft Siri, sozusagen: Die „Hello Barbie“, die seit | |
November für 75 Dollar in den USA erhältlich ist, hört zu und antwortet | |
dank jeder Menge Technik, die im Spielzeug verbaut ist: ein Mikrofon im | |
Nacken, WLAN-Schnittstelle, USB-Ports, umhüllt von ein bisschen | |
Barbie-Plastik. Plus eine künstliche Intelligenz auf den Servern von | |
Mattels Kooperationspartner, der Firma ToyTalk aus San Francisco, die | |
Barbie 8.000 vorbereitete Dialogsätze in den Mund legt – und sich eben auch | |
Informationen über das Kind merken kann. | |
Seit Monaten erntet das, was Mattel laut einer Entwicklerin als „besten | |
Babysitter der Welt“ konzipieren wollte, jede Menge Kritik. Und zwar weit | |
jenseits des Prinzips Barbie, das schon seit der Einführung der Puppe in | |
den Fünfzigern ein pinkes Tuch für Eltern, Pädagogen und Feministinnen ist | |
– ob wegen ihrer grotesken Körpermaße, Diättipps für Minderjährige oder | |
ihres modefixierten Dummchen-Mindset. | |
Als „Stasi-Barbie“ und „Überwachungspuppe“ wurde die Hello Barbie | |
geschmäht. Eine Sammelklage in den USA läuft schon – angestrebt unter | |
anderem von einer Mutter, deren Tochter bei einer Geburtstagsparty vom | |
Puppengerät einer Freundin einfach mitaufgezeichnet wurde. Technikforscher | |
wie Sherry Turkle vom Massachusetts Institute of Technology in Boston sehen | |
sie als Tor zur „Sozialisierung von Kindern dahingehend, Objekte als | |
adäquate Unterhaltungspartner zu sehen“. Und Bildungsforscherin Doris | |
Bergen von der Miami-Universität in Ohio kritisierte im Magazin der New | |
York Times in Bezug auf ähnlich konzipierte Roboter, gerade für junge | |
Kinder „sei es sehr schwierig, zu unterscheiden, was real ist und was | |
nicht“. | |
## Aufzeichnungen werden zwei Jahre lang gespeichert | |
Auch wenn Mattel und ToyTalk beteuern, dass die Daten nicht zu Werbezwecken | |
verwendet werden, laufen Kinderrechtsorganisationen in den USA Sturm gegen | |
das Produkt – unter anderem, weil die Verbindung zwischen der Puppe, die | |
gezielt nach Vorlieben, Interessen und Familie der Besitzerin fragt, und | |
Marktforschungszwecken für den Mattel-Konzern doch allzu naheliegend | |
scheint. | |
Datenschützer sind ebenso wenig amüsiert: ToyTalk und Mattel geben zwar an, | |
die Aufzeichnungen der Kinder würden zwei Jahre lang gespeichert – oder bis | |
die Eltern per App die Löschung verlangen. Fraglich ist allerdings, wie | |
vollständig sich das praktisch umsetzen lässt, wenn ToyTalk ebendiese Daten | |
laut eigenen Aussagen an Dritte für Forschungs- und Entwicklungszwecke | |
weiterleitet. Von möglichen IT-Sicherheitsproblemen ganz zu schweigen. | |
Selbst in Deutschland, wo die Puppe noch gar nicht erhältlich ist und es | |
nach Aussagen von Mattel auch gar nicht werden soll, kocht die Diskussion | |
hoch: „Hello Barbie“ fand Erwähnung in einem Vortrag mit dem Titel | |
„Sicherheits-Alpträume“ auf dem Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs. Und | |
wurde bereits im April von den Bielefelder Bürgerrechtlern | |
[1][Digitalcourage aus Bielefeld mit dem „Big Brother Award“] ausgezeichnet | |
– einem Negativpreis für besonders hanebüchene Einschnitte in die | |
Privatsphäre. „Kinder lernen Freiheit nicht mehr“, kritisiert | |
Digitalcourage-Kopf Padeluun zum Barbie-Gerät. | |
„Hello Barbie“, mit der Mattel seine sinkenden Puppen-Absätze stoppen | |
wollte, ist längst nicht das einzige Spielzeug, das über das Internet | |
vernetzt den Nachwuchs bespaßen soll. Schon 2014 debütierte die etwas | |
primitivere Puppe „My Friend Cayla“ auf dem US-Markt, die sich mit | |
Smartphones verband. Und aktuell laufen die Vorbestellungen für Cognitoys, | |
kleine Plastik-Dinosaurier einer Firma Elemental Path, die sich mit Kindern | |
unterhalten können soll – gestützt durch IBMs Supercomputer Watson. Auch | |
vTech, ein Hersteller aus Hongkong, verkauft Lerncomputer und vernetzte | |
Spielwaren – auch in Deutschland. Und zog Ende 2015 viel Aufmerksamkeit auf | |
sich, weil Hacker [2][Millionen Nutzerdaten, Fotos und Chataufzeichnungen] | |
von Eltern und Kinder erbeuteten. | |
## Kinder, die unter ständiger Überwachung aufwachsen | |
Viel diskutiert werden vernetzte Spielzeuge wie „Hello Barbie“ aber vor | |
allem deshalb, weil sie alle Probleme des sogenannten Internet of Things – | |
omnipräsenten Alltagsgegenständen mit Sensoren und Internetschnittstellen – | |
mit dem Schutz Minderjähriger und mit grundsätzlichen Fragen zu künstlicher | |
Intelligenz verknüpfen. Fragen wie: Ist es nicht gruselig, wenn ein | |
Unternehmen und Eltern mithören, was Kinder ihrem Spielzeug anvertrauen? | |
Überwiegt der Nutzen, den der Dialog mit der vernetzten Barbie hat, | |
tatsächlich das Risiko, dass mit den Daten nicht gut umgegangen wird, dass | |
sie vielleicht entwendet werden? Und: wie wirkt es sich eigentlich auf | |
Kinder aus, wenn sie unter ständiger Überwachung aufwachsen? | |
Unterhaltungselektronik als Dauerzuhörer im eigenen Wohnzimmer – das ist | |
eigentlich schon nichts Neues mehr: Samsung-Fernseher tun es, der | |
Amazon-Befehlsempfänger „Echo“, der auf Wunsch Einkaufslisten erstellt, | |
Infos im Internet googelt oder Musik abzuspielt, ebenfalls. Die | |
Spielekonsole XboxOne ging 2013 sogar noch einen Schritt weiter – sie kann | |
auch Gesichter und Körperhaltung ihrer Besitzer auf dem Sofa erkennen und | |
analysieren. Und auch Smartphone-Kommunikationsassistenten wie Siri oder | |
Hello Google kommunizieren nicht nur mit ihren Nutzern, sondern speichern | |
die Dialoge auch. | |
Der Unterschied: All diese Geräte werden in der Regel von Erwachsenen | |
angeschafft, denen man zutrauen kann, eine zumindest einigermaßen bewusste | |
Entscheidung zu treffen. Anders als Minderjährigen. | |
Eine Stufe darunter sind noch viel mehr Geräte im Haushalt internetfähig | |
und telefonieren fleißig Daten nach Hause, auf die Server von Herstellern | |
und Serviceanbietern: intelligente Stromzähler etwa, Thermostate, die | |
ferngesteuert werden können, oder Smarte Kühlschränke. Bequemlichkeit und | |
Komfort soll das bieten – liefert den Herstellern der Geräte aber eben auch | |
umfangreiche Daten, aus denen diese jede Menge Privates auswerten. Etwa | |
anhand des zeitgenauen Energieverbrauchs, wann jemand wie lange zu Hause | |
war, welche Elektrogeräte er eingeschaltet hat. | |
## Messen Google-Thermostate, ob Bewohner Sex haben? | |
Googles Thermostat Nest misst Temperaturschwankungen, Luftfeuchtigkeit und | |
ein paar weitere Parameter so genau, dass nachvollzogen werden kann, in | |
welchem Raum einer Wohnung sich Personen aufhalten, vielleicht sogar, ob | |
sie Sex haben. Auch das sind keine harmlosen, irrelevanten Informationen | |
über das Verhalten im eigenen Zuhause – vergleichbar vielleicht mit den | |
Metadaten, die beim E-Mail-Verkehr anfallen: So wie Letztere zwar nichts | |
über den Inhalt der Mail verraten, sehr wohl aber über Standort, Zeit und | |
Kommunikationspartner, verraten auch viele von smarten Geräten im eigenen | |
Heim erhobene Daten mehr über das eigene Verhalten, als man auf den ersten | |
Blick annehmen könnte. | |
Das derzeit größte Problem beim Internet der Dinge ist jedoch die | |
Datensicherheit. Weil die Geschwindigkeit bei der Entwicklung von Smarten | |
Geräten derzeit groß ist, kritisieren IT-Sicherheitsleute immer wieder, wie | |
schlampig Datenbanken und Zugänge für Internet-of-Things-Anwendungen | |
abgesichert und wie einfach Systeme manipulierbar sind. Kombiniert mit | |
sorglosen Nutzern, die sich nicht die Mühe machen, ihren Smart Devices | |
eigene Passwörter zu verpassen oder ihre Software upzudaten, reichen oft | |
schon einfachste Methoden, um Daten abzuzapfen oder sich Zugriff auf Geräte | |
zu verschaffen. | |
Das zeigt nicht zuletzt die Webseite Shodan, eine selbsternannte | |
Suchmaschine für das Internet der Dinge. Die veröffentlicht immer wieder | |
Informationen von ungesicherten Geräten – jüngst etwa Aufnahmen von | |
Webkameras weltweit. Die zum Beispiel auch den Blick in das eine oder | |
andere Kinderzimmer zuließen. | |
## Daten gehackt | |
Auch bei der „Hello Barbie“ fanden Sicherheitsforscher bereits wenige Tage | |
nach Verkaufsstart mehrere Einfallstore für Hackerangriffe – mit deren | |
Hilfe Daten, die von der Puppe zu den Servern von ToyTalk übertragen | |
werden, abgefangen werden könnten. | |
Ein Fehler, den ToyTalk schnell behob – allerdings wurden vor wenigen Tagen | |
neue Sicherheitslücken publik. Was einen der beteiligten | |
Sicherheitsforscher im Vice-Magazin zu der Aussage verleitete, der beste | |
Rat an Eltern sei, „vorsichtig zu sein und sich darüber bewusst zu werden, | |
welche Informationen über diese vernetzten Geräte übertragen werden.“ | |
Die Hersteller der Cognitoys wollen scheinbar aus den Problemen gelernt | |
haben. Wortreich beschreiben sie auf ihrer Homepage die Sorgfalt, die sie | |
für die Sicherheit ihrer Systeme und in die Verschlüsselung der Daten | |
aufgewendet haben. Wie viel da tatsächlich dran ist, wird sich erst im März | |
zeigen – wenn das vernetzte Spielzeug ausgeliefert wird. | |
28 Jan 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://digitalcourage.de/blog/2016/stasi-barbie-der-spion-in-der-spielzeug… | |
[2] http://www.bbc.com/news/technology-34971337 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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