# taz.de -- Autonomes Hausprojekt in Berlin: Rigaer Straße 94 vor dem Aus | |
> Erfolge der Eigentümer vor Gericht und Nahost-Streit: Alt-Mieter wollen | |
> sich nicht weiter gegen Räumungsklagen wehren – dem Projekt droht das | |
> Aus. | |
Bild: Rigaer Straße 94 während der polizeilichen Begehung im Oktober 2021 | |
Berlin taz | Seit 34 Jahren trotzt die Rigaer Straße 94 der Aufwertung im | |
Friedrichshainer Nordkiez und den Auflösungserscheinungen der autonomen | |
Szene. Nun aber steht das seit Jahren umkämpfte Hausprojekt, das als | |
linksradikales Symbol weit über Berlin hinaus bekannt ist, vor dem Aus. | |
Nach Informationen der taz will eine Gruppe ehemaliger Bewohner:innen, die | |
immer noch im Besitz von Mietverträgen sind, auf eine weitere juristische | |
Gegenwehr gegen die Räumungsklagen des Eigentümers verzichten. Betroffen | |
wäre ein Großteil der Wohnungen im Seitenflügel und Hinterhaus – der Kern | |
des linksradikalen Projekts. Hintergrund sind sowohl juristische Risiken | |
angesichts einer neuen Linie der Berliner Gerichte als auch ein Streit über | |
den Nahostkonflikt. | |
Wie Alexander von Aretin, einer der beiden Anwälte der Eigentümerfirma | |
Lafone Investments Limited, der taz sagte, sei man aktuell „in Gesprächen | |
mit Mietern und deren Vertretern“. Dabei gehe es um die Unterzeichnung von | |
„Aufhebungsverträgen“. | |
Die Alt-Mieter:innen, die seit 1992 im Besitz der Mietverträge sind, wollen | |
demnach darauf verzichten, weiterhin gegen die gegen sie gerichteten | |
Räumungsklagen vorzugehen. Die laufenden Berufungsverfahren vor dem | |
Landgericht – in erster Instanz hatte das Amtsgericht Kreuzberg noch gegen | |
die Räumungsklagen entschieden – würden damit beendet werden. | |
## Juristischer Wind hat sich gedreht | |
Nach Jahren der juristischen Auseinandersetzungen, in denen die | |
Briefkastenfirma Lafone viele Niederlagen einstecken musste, hätte sie die | |
angestrebten Räumungstitel. „Wir hoffen, dass da ein Ende in Sicht ist“, | |
sagt von Aretin, der die Eigentümer in öffentlich-rechtlichen Verfahren, | |
aber nicht in den Räumungsverfahren vertritt. Eine endgültige Einigung der | |
Parteien und eine Anerkennung des Landgerichts stehe aber noch aus. Doch | |
von Aretin gibt sich zuversichtlich: „Wenn man da lange nicht mehr lebt, | |
ist es nachvollziehbar, dass man das beenden will.“ | |
Ende 2022 schien der Konflikt noch [1][zugunsten des Hausprojekts beendet | |
zu sein]. Damals hatte das Kammergericht als höchstes Berliner Gericht eine | |
Berufung der Eigentümer gegen eine vor dem Landgericht [2][wiederholt | |
verlorene Räumungsklage gegen die Rigaer 94-Kneipe Kadterschmiede] | |
zurückgewiesen. | |
Die Prozessfähigkeit der Lafone stand infrage: Weder die Beglaubigung des | |
damaligen und inzwischen ausgetauschten Geschäftsführers, ein eingesetzter | |
Strohmann, noch die Prozessvollmacht für den Anwalt Markus Bernau sei | |
glaubhaft gemacht worden. Eine Beschwerde der Eigentümerseite vor dem | |
Bundesgerichtshof blieb erfolglos. Das Konstrukt der Briefkastenfirma, | |
hinter der [3][der Berliner Geschäftsmann Leonid Medved] stehen soll, war | |
für die Eigentümerseite zum Problem geworden. | |
Inzwischen aber sieht dieselbe Kammer des Kammergerichts die Dinge anders. | |
In einem Beschluss vom Juli wird die Unternehmenstätigkeit der britischen | |
Firma und ihrer Geschäftsführung aufgrund neuer Glaubhaftmachungen erstmals | |
nicht mehr angezweifelt. | |
Zudem heißt es: „Die Klägerin hat auch substantiiert dargelegt und | |
nachgewiesen, ihren Prozessvertreter wirksam mit der Prozessführung | |
beauftragt zu haben.“ Im Ergebnis entschied das Gericht, dass eine beklagte | |
vermeintliche Bewohnerin eine Waschküche im Hinterhaus der Rigaer 94 | |
herausgeben müsse. Von der Person waren bei einer [4][polizeilichen | |
Begehung des Hauses im Oktober 2021] persönlichen Unterlagen und Dokumente | |
in dem Raum gefunden worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Für alle | |
weiteren Klagen bedeutet das eine erhöhte Gefahr, dass weitere | |
Räumungsurteile ergehen. | |
## Mehr als Kostenrisiko | |
Für die betroffenen Bewohner:innen wie Alt-Mieter:innen geht damit das | |
Risiko einher, nicht nur Prozesse zu verlieren und Gerichtskosten tragen zu | |
müssen, sondern auch schadensersatzpflichtig zu sein. Zuletzt zweifelte das | |
Landgericht in zwei weiteren Verfahren gegen Mieter:innen des | |
Vorderhauses die Rechtmäßigkeit der Lafone nicht an. Eine Mieterin wurde | |
dazu verurteilt, 7.000 Euro Miete nachzuzahlen. | |
Auch gegen den Sportraum des Hauses gab es jüngst ein Räumungsurteil, wie | |
die Rigaer 94 auf ihrer Website erklärte. Dort heißt es auch: „Seit einigen | |
Monaten scheint die Justiz einen anderen Kurs einschlagen zu wollen.“ | |
Gleichwohl gibt man sich kämpferisch, wie eh und je: „Auch wenn | |
Richter:innen also entscheiden sollten, dass ein Briefkasten, | |
irgendein:e Schlipsträger:in oder wer auch immer Eigentümer:in | |
unseres Hauses sein sollen, wollen wir daran erinnern, dass wir uns nicht | |
an ihre Spielregeln halten werden.“ | |
Auf die Füße fällt der Rigaer 94 aber wohl etwas anderes. Am 1. November | |
veröffentlichte das Haus auf seiner Website einen vor allem in der | |
linskradikalen Szene vielfach scharf kritisierten Beitrag unter der | |
Überschrift: „Einige Gedanken zum Ausbruch aus dem größten Gefängnis der | |
Welt“, womit das Hamas-Massaker am 7. Oktober auf Israel gemeint war. Darin | |
heißt es: „Der deutsche Staat, Politiker*innen und manchmal sogar | |
unsere Mitstreiter*innen sorgen sich sehr darum, wie nah oder fern man | |
sich zu den Ideen der Hamas positioniert.“ | |
Dem Vernehmen nach hat die Haltung des Hauses, in dem auch der Livestream | |
des abgebrochenen Palästina-Kongresses übertragen werden sollte, auch bei | |
einigen Alt-Mieter:innen für Unmut gesorgt. Auch dies soll dazu beigetragen | |
haben, nicht mehr den Kopf in juristisch hoch risikoreichen Verfahren für | |
die aktuellen Bewohner:innen hinhalten zu wollen. | |
8 Aug 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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