# taz.de -- Ausweitung der Frauenquote: Diskussionsorgien in der CDU | |
> Nach langem Hin und Her will die CDU-Spitze für mehr Diversität in der | |
> Partei sorgen. Selbst die Junge Union stimmte für das Quotenpapier. | |
Bild: Zwei Frauen ganz oben in der CDU – aber wahrscheinlich nicht mehr lange | |
BERLIN taz | „Man muss nicht jeden Schmarrn mitmachen.“ Der Passauer | |
Delegierte beim CSU-Parteitag im Oktober letzten Jahres klingt empört. Das | |
Ziel der Parteiführung, eine Frauenquote in der Satzung zu verankern, sei | |
„wunderbar – aber mit der Brechstange geht das nicht.“ Am Ende wird die | |
„Brechstange“ beiseitegelegt. Die Delegierten billigen zwar eine | |
Ausweitung der Frauenquote – allerdings nur in arg abgeschwächter Form. | |
Der Kompromiss nimmt den sehr vielen Männern in der CSU kaum etwas weg und | |
[1][gesteht den wenigen Frauen nur das Nötigste zu]. Der Vorgang ist auch | |
eine Lehre für CSU-Chef Markus Söder, sich nicht mehr beim [2][beim Thema | |
Frauenquote zu verkämpfen]. | |
Eine vergleichbare Debatte und ein ähnliches Ergebnis darf man nach den | |
aktuellen Entwicklungen in der CDU auch für deren Parteitag Anfang Dezember | |
erwarten. Die Gemengelage ist der der Schwesterpartei CSU ähnlich. In der | |
Nacht zum Mittwoch hat eine eigens von der CDU gebildete Satzungs- und | |
Strukturkommission Beschlussempfehlungen an die Delegierten vorgelegt. | |
Zentrale Punkte sind eine verbindliche Frauenquote und die formelle | |
Einbindung der Lesben und Schwulen in die Parteiarbeit. Insgesamt sind für | |
den Parteitag in Stuttgart mehr als 50 Satzungsänderungen geplant. Das | |
Quotenthema – so viel steht fest – wird das meist beachtete sein. | |
Die Frauenquote ist in der CDU mit ihrem Frauenanteil von nur 26 Prozent | |
[3][heftig umstritten]. Mal heißt es, die Frauen wollten ja nicht, es sei | |
fast ein Ding der Unmöglichkeit, für Ämter und Mandate geeignete | |
Kandidatinnen zu finden. Dann wieder verweist man auf die Freiwilligkeit | |
und verwahrt sich gegen Zwangsmaßnahmen. Eine seit einem | |
Vierteljahrhundert geltende „Quorum“ genannte 33-Prozent-Quote für Frauen | |
wird permanent unterlaufen. Gerade dieser Parteitag, bei dem die | |
Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer verabschiedet und ein – nach | |
heutigem Stand – männlicher Kandidat gewählt wird, könnte ein bisschen | |
Profilierung auf Kosten von Frauen bieten. Wären da nicht die WählerInnen. | |
2017 wurde die CDU mit 30 Prozent von deutlich mehr Frauen als Männern (23 | |
Prozent) gewählt. Das lag nicht unerheblich an der Sichtbarkeit von Frauen | |
wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damaligen Verteidigungsministerin | |
Ursula von der Leyen. Die CDU hat sich deshalb selbst verordnet, | |
[4][jünger, diverser, vor allem aber eben weiblicher zu werden]. | |
Nun hat sich also die eigens für strittige Satzungsfragen gegründete | |
Kommission auf den Vorschlag an die 1.001 Delegierten geeinigt. Bei | |
Schnittchen und Gazpacho hatten im Berliner Konrad-Adenauer-Haus 52 | |
TeilnehmerInnen diskutiert. Am Mittwoch gegen ein Uhr nachts war das | |
Quotenpapier fertig. Es wurde mit 34 Ja- und 7 Neinstimmen sowie 5 | |
Enthaltungen angenommen. Selbst die Junge Union mit ihrem Vorsitzenden | |
Tilman Kuban hatte zugestimmt (was, nebenbei bemerkt, eine Krisensitzung am | |
Mittwochvormittag nach sich zog). | |
## Möglichkeit der Abweichung bleibt | |
Das Papier sieht vor, dass es eine schrittweise Anhebung der Quote für | |
Vorstandswahlen ab der Kreisebene gibt. Ab 1. Januar 2021 soll eine | |
Frauenquote von 30 Prozent gelten, ab 1. Januar 2023 eine Quote von 40 | |
Prozent. Zum Jahresanfang 2025 gilt dann eine Frauenquote von 50 Prozent. | |
Die Regelung soll für Gruppenwahlen von Vorständen etwa für | |
stellvertretende Vorsitzende und Beisitzer gelten. Für Einzelwahlen von | |
Vorsitzenden, Mitgliederbeauftragten oder Schatzmeistern auf Bundesebene | |
aber nicht. | |
Von der Frauenquote soll nur dann abgewichen werden können, wenn nicht | |
genug weibliche BewerberInnen kandidieren. In diesem Fall bestimme die | |
Anzahl der kandidierenden Frauen die Quote, heißt es in dem Beschluss. | |
Werde sie nicht eingehalten, bleibe der eigentlich von einer Frau zu | |
besetzende Platz leer. | |
Bei der Wahl von Delegierten für Parteitage auf Landes- und Bundesebene | |
soll es eine dynamische Frauenquote geben. Hier soll vom 1. Januar 2021 an | |
eine Quote von 30 Prozent gelten. Von einem weiblichen Mitgliederanteil ab | |
30 Prozent soll in Landesverbänden eine Quote von 40 Prozent gelten. Ab | |
einem Mitgliederanteil von 40 Prozent Frauen soll es eine Quote von 50 | |
Prozent geben. Hintergrund ist, dass Parteitage künftig realistischer als | |
bisher die Mitgliedschaft abbilden sollen. | |
Bei Listenaufstellungen soll es von Anfang 2021 an, bezogen auf die ersten | |
zehn Plätze, eine Frauenquote von 30 Prozent oder mindestens drei Frauen | |
geben. Ab 2023 ist demnach eine Quote von 40 Prozent, also vier Plätze, | |
vorgesehen, von 2025 an dann 50 Prozent, also fünf Plätze. Die Regeln | |
sollen für Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen gelten. Es handelt sich | |
allerdings nur um eine „Sollbestimmung“, also keine verpflichtende | |
Regelung. | |
Letzteres würde bedeuten, dass Männer weiter die besten Listenplätze und | |
Ämter in der Partei anstreben und übernehmen könnten, ohne dass sie damit | |
gegen die Satzung verstießen. Es sei denn, die CDU fände zum Prinzip der | |
paritätisch besetzten Doppelspitze. Aber das dürfte angesichts des schon | |
jetzt heftigen Streits im Bereich der Fantasie bleiben. | |
## Hochstimmung bei Lesben und Schwulen | |
Dass die Delegierten dem Vorschlag der Antragskommission zustimmen werden, | |
ist alles andere als ausgemacht. Dennoch, für CDU-Verhältnisse ist der | |
Kompromiss ein riesiger Schritt in Richtung Teilhabe und Repräsentanz von | |
Frauen. Die Vorsitzende der Frauen-Union in Brandenburg, Kristy Augustin, | |
freut sich am Telefon hörbar über den „guten und erkämpften Erfolg“. Sie | |
war die ganze Nacht im Konrad-Adenauer-Haus dabei und findet: „Wir haben | |
lange genug gewartet, es ist höchste Zeit.“ | |
Tatsächlich hatte die Bundes-Frauen-Union noch 2019 beim Leipziger | |
CDU-Parteitag eine schlechte Figur abgegeben. Ohne die große öffentliche | |
Bühne für ihr Quotenanliegen zu nutzen, hatte FU-Chefin Annette | |
Widmann-Mauz der Parteitagsregie durchgehen lassen, dass der | |
Quotierungsantrag in den Ausschuss verwiesen wird. Der Eindruck war | |
verheerend. Heute sagt die Brandenburger FU-Vorsitzende Augustin, bis 2025 | |
hätten die CDU-Verbände ausreichend Zeit. „Ab Kreisverband sollte es | |
möglich sein, die gute Frauen finden.“ Ihre Bundesvorsitzende Widmann-Mauz | |
sagte dem ZDF, der Beschluss sei ein wichtiger Etappenerfolg. „Aber wir | |
sind noch lange nicht am Ziel.“ | |
In Hochstimmung ist Alexander Vogt. Der Vorsitzende der Lesben und Schwulen | |
(LSU) hatte „einen Kloß im Hals“, als die Entscheidung kam. Zweiundzwanzig | |
Jahre nach Gründung soll die LSU als „Sonderorganisation“ fest in der | |
Partei verankert werden. Das Wort klingt ungut, dennoch wäre die | |
Anerkennung der Interessen von Lesben und Schwulen ein großer Schritt. Vogt | |
führt den LSU seit zehn Jahren; bei Parteitagen hat man ihn und seine | |
Verbündeten mit ihrem Stand gerne mal in dieselbe Ecke wie die | |
LebensschützerInnen von „Christdemokraten für das Leben“ platziert. Erst … | |
den letzten Jahren wurde es besser: Die Bundespartei stellte ihre Zentrale | |
in Berlin als Ort für den LSU-Jahresempfang zur Verfügung. | |
## #mehrmädels – so sieht die Junge Union Gleichstellung | |
Vogt freut sich vor allem für die Mitglieder. „Viele haben einen schweren | |
Weg hinter sich, gerade die Älteren.“ Um die Zustimmung der | |
Parteitagsdelegierten für die Satzungsänderung zu bekommen, sieht er „viel | |
Überzeugungsarbeit auf uns zukommen“. Von der Satzungskommission ist der | |
Antrag auf den LSU-„Sonderstatus“ mit mehr Stimmen als der Quotenantrag der | |
Frauen-Union durchgegangen: Bei 35 Jastimmen gab es gerade mal 1 Nein und 2 | |
Enthaltungen. Dennoch erwartet Alexander Vogt Gegenwind. „Ich würde mich | |
eher wundern, wenn es keine Gegenrede gibt. Sachlicher Streit ist | |
Wesensmerkmal der CDU.“ Bislang ist keinerlei Widerwort zu hören. | |
Für die vorgeschlagene Quotenregelung hingegen setzt es bereits Kritik. Die | |
Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrates, Astrid Hamker bezeichnet die Pläne | |
als „ziemlich übermotiviert und unrealistisch“. So wie keine | |
Führungspositionen in den Betrieben von oben angeordnet werden könnten, so | |
verhalte es sich auch mit weiblichen Kandidatinnen in einer Partei, sagt | |
sie der Passauer Neuen Presse. Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union, | |
sieht eine „intensive Debatte“ auf seine JU zukommen. Beim Deutschlandtag | |
2019 wurden noch Sticker mit dem Hashtag #mehrmaedels verteilt. [5][So ist | |
beim Parteinachwuchs die Sicht auf Gleichstellung.] | |
Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz hingegen schreibt auf | |
Twitter, er erwarte von den Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz, „dass sie | |
sich jetzt zur Einführung einer Frauenquote bei der CDU positionieren, und | |
nicht erst abwarten, wie sich die Stimmung in der Partei entwickelt. | |
Führung verlangt, Farbe zu bekennen.“ | |
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Textversion war die Zahl der | |
LSU-Mitglieder falsch angegeben und wurde nun korrigiert. | |
8 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Vorschlag-zur-Frauenquote-in-der-CDU/!5694090 | |
[2] /Acht-Fragen-zur-Zukunft-der-CSU/!5563959 | |
[3] /Junge-Frauen-in-der-CDU/!5660045 | |
[4] /Lammert-ueber-Konflikte-in-der-CDU/!5638339 | |
[5] /Der-CDU-Parteitag-und-die-Frauenquote/!5640416 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
## TAGS | |
CDU/CSU | |
Frauenquote | |
Diversität | |
Junge Union | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Frauenquote | |
CDU-Parteivorsitzende | |
Frauenquote | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tagebuch des taz-Wahlcamps: Generation Tilman | |
Man kann es sich leicht machen und die Junge Union cringy finden. Man kann | |
aber auch versuchen, diese jungen Leute zu verstehen. | |
Otto Wulff über CDU-Gründung: „Meine Mutter kochte Erbsensuppe“ | |
Er könne sich genau an die Gründung der Partei erinnern, sagt der Chef der | |
Senioren-Union. Ein Gespräch über Corona, 75 Jahre CDU und die Frauenquote. | |
Frauenquote für die CDU: Spitze will 50 Prozent | |
Ab 2025 sollen die CDU-Parteivorstände zur Hälfte mit Frauen besetzt sein. | |
Der Wirtschaftsflügel der Partei sieht die Pläne kritisch. | |
Vorschlag zur Frauenquote in der CDU: Starke Gegenkräfte | |
AKK will eine verbindliche Frauenquote durchsetzen. Selbst wenn das klappt: | |
Es bleibt schwierig für CDU-Frauen. | |
Ostdeutsche in Leitungsfunktionen: Eine Quote macht keinen Sinn | |
Ostdeutsche sind in Wirtschaft, Politik und Forschung nach wie vor | |
benachteiligt. Nur: Rechtfertigt das eine Quotenregelung? Mitnichten. |