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# taz.de -- Ausstellung zu Denise Scott Brown: Bummel durch die Fake Street
> In einer Wiener Schau kann man die Architektin, Fotografin und Autorin
> Denise Scott Brown entdecken. Postmodernen Ironikern dürfte sie gefallen.
Bild: Denise Scott Brown vor der Skyline von Las Vegas, 1972​
„Is not Main Street almost alright?“ – „Ist die Hauptstraße nicht fast
immer in Ordnung?“ So lautet ein viel zitierter Satz des kürzlich in
Philadelphia verstorbenen Architekten Robert Venturi. Zu finden ist er in
seinem Buch „Komplexität und Widerspruch in der Architektur“ von 1966. Doch
erst mit seiner Untersuchung des Casino-Strips in Las Vegas erlangte der
Satz seine Radikalität: Millionen BesucherInnen können sich nicht irren.
Die 1966 begonnene und 1972 erstmals publizierte Studie „Learning from Las
Vegas“ wurde von Venturis Frau Denise Scott Brown maßgeblich initiiert und
von dem Mitarbeiter Steven Izenour sowie ungenannten Studierenden der Yale
University erarbeitet. Gerade wurde die Erstauflage mit ihrem goldgeprägtem
Titel, dem transparenten Umschlag und den zahlreichen Kartierungen, Fotos
und Skizzen wiederaufgelegt.
Das bis heute Maßstäbe setzende Buch über die zeitgenössische Stadt
markierte einen Paradigmenwechsel in Architektur und Urbanismus. Das
AutorInnenteam führte neue Kategorien des Gewöhnlichen und des Hässlichen
in die damalige Debatte ein.
In der Beachtung von banal wirkenden urbanen Erscheinungsformen weitete
sich das Feld des Architektonischen auf den Alltag und seine ökonomischen
Bedingungen aus: „Der Las Vegas Strip ist keine chaotische Zersiedelung,
sondern eine Reihe von Aktivitäten, deren Muster wie in anderen Städten von
der Technologie der Bewegung und dem wirtschaftlichen Wert des Landes
abhängt.“ Automobilismus und Spekulation treiben die Stadtentwicklung bis
heute vor sich her.
## Eine Denise-Scott-Brown-Personalityshow
Eine Ausstellung im Architekturzentrum Wien will nun der Architektin,
Fotografin und Autorin Denise Scott Brown endlich einen angemessenen Platz
in der Architekturgeschichte zuweisen und widmet ihr eine
Einzelausstellung. Dass dies für die 87-Jährige ihre erste überhaupt ist,
zeigt die Dringlichkeit des Unternehmens.
Jeremy Tenenbaum, ein enger Mitarbeiter der Architektin, hat die Schau
gemeinsam mit Angelika Fitz und Katharina Ritter entworfen – „Denise Scott
Brown Downtown“, so der Titel, ist wie eine Innenstadt gestaltet und ist
zugleich eine Denise-Scott-Brown-Personalityshow. Man schlendert an
thematischen Ladenfronten mit viel Bild, Videos und Text vorbei, kann an
einem monumentalen Brunnen mit Graffiti oder auf Kaffeehausstühlen sitzen,
erlebt eine instagramtaugliche Fotoselbstinzenierung und trifft schließlich
auf den unvermeidbaren Souvenirshop.
Die Ausstellung als Downtown- und urbane Simulation erzählt vom Leben einer
Künstlerin als Inszenierung einer Fantasie von Stadt. Dabei ist diese Schau
so sehr Fake, dass es nur ironisch gemeint sein kann. Etwa der familiär
gehaltene Schaufensterbummel, der mit Mitteln des Theaters argumentiert und
teils intime Plaudereien offenbart.
Das Layout der ausgedruckten Ladenoberflächen mit ihren exzessiven
Infostrecken und wilden Collagen ist ebenso wie der Katalog so gnadenlos
halbprofessionell gestaltet, dass es für postmoderne Ironiker eine wahre
Freude ist. Es gibt sogar eingeschobene Korrekturen bei Fremdtexten wie zu
den Säzzerzeiten der taz. Puristen haben hier nichts zu suchen – die Main
Street ist oft eine Mean Street, also gemein.
Was also soll und will die Ausstellung? Vor allem will sie Denise Scott
Brown wie einen Star vorteilhaft von allen Seiten beleuchten. Sie öffnete
dafür ihre Familien- und Fotoalben, ihre Forschungsmaterialien und
Erinnerungen. Als baltisch-jüdische Südafrikanerin im britisch
kolonisierten Northern Rhodesia geboren, wuchs sie zwischen Nazis im
Apartheid-Johannesburg auf und bewegte sich mit ihren Studien in
Johannesburg, London und Pennsylvania mehr und mehr in die Welt hinaus.
Ihr „afrikanischer Blick“ auf die USA sowie ihre Liebe zur Conceptual und
Pop-Art lassen sie mit distanziertem Staunen auf die Krise der späte
Moderne schauen. Die Reise von Scott Brown und Venturi nach Las Vegas wurde
zum Liebestrip eines fantastischen Paars, das Urbanistik, Fotografie und
immer wieder auch gebaute Architektur zusammen geprägt hat.
Denise Scott Brown übernimmt ein gemeinsames Erbe und weiß zugleich, nicht
mehr im Schatten zu stehen. Sie arbeitet an der Veröffentlichung ihrer
fotografischen Aufnahmen und empfängt im zum Studienzentrum umgewandelten
Familienhaus Fans und Forschende. Sie erklärt aus ihrem Leben heraus die
Welt.
Immer wieder hebt sie den Kampf um die South Street in ihrer heutigen
Heimatstadt Philadelphia hervor, wo schon Robert Venturis Vater seinen
Obstladen hatte. Die ärmliche multiethnische Einkaufs- und Wohnstraße
sollte 1968 durch den Crosstown Expressway bereinigt werden, weshalb Scott
Brown von einer Anwohnerinitiative – letztendlich erfolgreich – gebeten
wurde, dieses Projekt aufzuhalten.
Sie zeichnete dafür mit einer an den seriellen Stadtpanoramen des
US-Künstlers Ed Ruscha geschulten Aufnahmestrategie die innerstädtische
Straße Haus um Haus auf. Sie wurde, was ihrer als Architektin ausgebildete
Mutter noch verwehrt blieb, eine praktizierende, lehrende und forschende
Urbanistin von Weltrang.
Da sie selbst nicht mehr reisen kann, filmte ihr Sohn, IT-Unternehmer und
Dokumentarfilmer James Venturi, die komplette Eröffnungszeremonie mit
seinem Smartphone und übertrug dies sogleich nach Philadelphia.
31 Dec 2018
## AUTOREN
Jochen Becker
## TAGS
Denise Scott Brown
Robert Venturi
Architektur
Las Vegas
NS-Verfolgte
Architektur
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Brutalismus
Architektur
Tempelhofer Feld
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