| # taz.de -- Boykott und Protest an der TU Darmstadt: Bei den Architekten leckt … | |
| > An der TU Darmstadt besetzten Architekturstudenten ihr Institut. Weil sie | |
| > lieben, was sie tun, ihr Fach aber kaputt gespart wird. | |
| Bild: Kanzlerin Merkel lobte die gute Ausbilung an der TU Darmstadt – bei den… | |
| Auf den ersten Blick klingt alles wie ein schlechter Scherz: | |
| Architekturstudenten in Darmstadt haben gegen ein tropfendes Dach | |
| protestiert. 600 Studenten der Technischen Universität gingen vergangene | |
| Woche auf die Straße, weil seit Monaten der Regen durch das Dach auf ihre | |
| teuren Baumodelle tropft. Es geht um das massive Fakultätsgebäude auf dem | |
| Campus Lichtwiese, entworfen im Stil des Brutalismus, viel roher Beton. | |
| 1968 gebaut und seitdem nur spärlich saniert. | |
| Felix Graf, 26, studiert Architektur in Darmstadt und erzählt von eisigen | |
| Wintermonaten, in denen er dort im dicken Wollmantel über seiner Werkbank | |
| lehnt und mit frostigen Fingern kleine Fenster aus seinen Baumodellen | |
| schneidet. „Es ist einfach immer kalt. Ständig gehen die Aufzüge nicht oder | |
| die Toiletten sind gesperrt.“ Graf hat vergangene Woche mit Freunden die | |
| Studentenproteste in Darmstadt organisiert. Rund tausend Studenten | |
| bestreikten die Lehrveranstaltungen und hielt das Gebäude die Woche über | |
| besetzt. „Wir haben uns lange mit diesen Zuständen arrangiert“, sagt Graf, | |
| „wenn wir aber immer so weitermachen, denkt die Unileitung, es sei alles | |
| nicht so schlimm.“ | |
| Die Studenten streiten aus Leidenschaft für ihr Fach. Bei der Demonstration | |
| am vergangenen Freitag im Stadtzentrum tragen die Studenten als Aufkleber | |
| ein zerbrochenes Herz auf ihrer Brust. „Wir lieben, was wir tun“, sagt | |
| Graf, „aber wir werden hier kaputt gespart.“ | |
| Die Sparmaßnahmen gehen dabei weit über bauliche Fragen hinaus. Von den 19 | |
| Professuren sind derzeit nur 13 regulär besetzt. Wichtige Abschlussmodule | |
| können nicht stattfinden, für die Studenten bedeutet das im Zweifel, länger | |
| studieren zu müssen. Alle zwei, drei Jahre kämen Vertretungsprofessuren. | |
| „Es gibt kaum noch Konsistenz im Lehrplan. Man versucht den Fachbereich | |
| durch permanente Zwischenlösungen am Leben zu halten“, sagt Graf. Wichtige | |
| Unterrichtsfächer kommen regelmäßig zum Erliegen. Zum Beispiel die | |
| Grundrisslehre, das sei in etwa so, „als würde man Mediziner ausbilden, | |
| ohne Chirurgie zu unterrichten“, sagt ein Professor, der seinen Namen nicht | |
| in der Zeitung lesen möchte, weil das Präsidium in dieser Sache Druck auf | |
| alle Lehrenden ausübe und zu Neutralität mahne. | |
| Er berichtet, dass derzeit auch die Professur für Wohnungsbau ruht. „Ein | |
| gravierender Missstand.“ Die Sparpolitik bedrohe die gesellschaftliche | |
| Relevanz der Architektenausbildung. „Unsere Gesellschaft diskutiert über | |
| bezahlbaren Wohnraum als große Herausforderung. Und bei uns ist die | |
| Professur für Wohnungsbau seit dem Sommer verwaist.“ Felix Graf ist sich | |
| sicher, das schlechte Lehrangebot führe irgendwann zu einem Einheitsbrei im | |
| Denken der Studenten. „Irgendwann entwerfen wir alle nur noch | |
| Schwimmbäder.“ | |
| ## Maschinenbauer bekommen Drittmittel in Millionenhöhe | |
| Mit Neid blicken die Architekten ein paar hundert Meter weiter über den | |
| Campus. Dort sitzen die Ingenieurwissenschaften. Im „Center for Smart | |
| Interfaces“ forschen Maschinenbauer zu künstlicher Intelligenz. Für ihre | |
| Arbeit werben sie regelmäßig Drittmittel in Millionenhöhe ein. Kürzlich war | |
| auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Maschinenbauern in Darmstadt zu | |
| Besuch. Darmstadt sei ein „Juwel in Fragen der künstlichen Intelligenz“, | |
| sagte Merkel. Neben ihr steht der Universitätspräsident Hans Jürgen Prömel, | |
| sichtlich stolz. | |
| Angela Merkel lobte die hessische Landesregierung für ihre | |
| Wissenschaftspolitik. Die Entwicklung der TU Darmstadt sei eng mit der | |
| „klugen und mutigen Politik“ der Landesregierung verbunden. „In Hessen wi… | |
| keineswegs irgendetwas kaputt regiert“, sagt Wissenschaftsminister Boris | |
| Rhein (CDU). Man werde Gespräche mit dem Unipräsidium aufnehmen. Das kann | |
| dauern, die Regierung befindet sich nach den Wahlen in den | |
| Sondierungsgesprächen. | |
| „Ich kann mir die TU Darmstadt ohne einen Fachbereich Architektur nicht | |
| vorstellen“, sagte Unipräsident Prömel vor wenigen Monaten. In einer | |
| aktuellen Stellungnahme heißt es, „der dringende Sanierungsbedarf der | |
| Architektur-Gebäude ist unbestritten. Aktuell stehen mehr als vier | |
| Millionen Euro für Baumaßnahmen, etwa die Sanierung der Sanitärbereiche, | |
| bereit.“ Das Professorenkollegium der Architekten hält das für „einen | |
| schlechten Scherz“. | |
| Vor Jahren legten sie bereits Pläne für einen energieeffizienten Umbau vor, | |
| die Gelder waren bereits zugesagt und wurden schließlich so lange in die | |
| Höhe gerechnet, bis das Bauvorhaben am Ende untragbar schien. „Die | |
| Fachbereiche haben hohe Autonomie und tragen Eigenverantwortung für ihre | |
| dezentralen Budgets“, heißt es aus dem Präsidium. Das ist aktuell eben auch | |
| Hochschulpolitik: Alle reden von Autonomie, die einen fördern nur | |
| wirtschaftsnahe Institute, die anderen kämpfen um ihre | |
| gesellschaftspolitische Relevanz, und es tropft durch das Dach. | |
| 7 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Weyrosta | |
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