# taz.de -- Ausstellung in Hannover über rechte Gewalt: Anerkennung für die T… | |
> „Erinnern heißt Kämpfen!“ erinnert an die Opfer rechter Gewalt in | |
> Niedersachsen. Zwei von ihnen sind Arkan Hussein Khalaf und Alexander | |
> Selchow. | |
Bild: Trauerzug durch Celle nach dem Mord an Arkan Hussein Khalaf | |
„Schreiben Sie endlich, dass das ein Nazi war!“, fordert Kochar Khidir die | |
Pressevertreter auf. Gemeint ist der Mann, der vor drei Jahren ihren | |
15-jährigen Sohn [1][Arkan Hussein Khalaf] in der Celler Innenstadt | |
erstochen hat. „Wenn mein Sohn blonde Haare gehabt hätte, würde er noch | |
leben. Da waren 15 andere Leute an dieser Fußgängerampel, die er nicht | |
angerührt hat. Da war der Taxifahrer, mit dem er vor der Tat in der Gegend | |
herum gefahren ist. Bei keinem von denen hat er das Messer aus der Tasche | |
gezogen. Nur bei meinem Sohn. Obwohl die sich gar nicht kannten.“ | |
Der Täter ist längst verurteilt und auf unbestimmte Zeit in die Psychiatrie | |
eingewiesen, doch für die Familie ist es damit nicht getan. Von Anfang an | |
hatten sie das Gefühl, dass die Frage nach der Gesinnung des Täters keine | |
Rolle spielen sollte – als die Polizei schon kurz nach der Tat verlauten | |
ließ, es gäbe keine Hinweise auf ein politisches Motiv, als vor Gericht der | |
Drogenkonsum und die psychische Erkrankung des Täters im Zentrum der | |
Verhandlung stand. | |
Stets waren es zivilgesellschaftliche und journalistische Recherchen, die | |
zu Tage förderten, dass der Täter gern von „Kanaken“ sprach, Beiträge zum | |
Attentat von Halle likete, sich auf rechtsextremistischen und | |
verschwörungstheoretischen Seiten tummelte. Bis heute kämpft die Familie | |
darum, dass die Tat als rassistisch und rechtsextrem anerkannt und | |
eingestuft wird – deshalb sitzt Kochar Khidir nun wieder auf einem Podium | |
und spricht in Mikrofone. | |
Eingeladen hat sie die [2][Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus], | |
die eine Wanderausstellung zum Thema „[3][Erinnern heißt Kämpfen!] Zwischen | |
Anerkennung und Vergessen. Todesopfer rechter Gewalt in Niedersachsen seit | |
1990“ kuratiert hat und nun in Hannover vorstellen möchte. Es ist nicht so, | |
dass sich durch die Anerkennung für die Familie materiell irgendetwas | |
ändert. Der Schmerz wird nicht kleiner, das Kind nicht wieder lebendig. Und | |
doch: „Es ist die Wahrheit. Man muss doch die Wahrheit sagen. Sonst | |
passiert es wieder“, sagt Kochar Khidir mit der Hilfe von Behiye Uca, die | |
für sie übersetzt. Die Kommunalpolitikerin von der Linken hat die Familie | |
schon 2016 unterstützt, als sie in Deutschland ankam. | |
Auch das gehört zu den Dingen, die den Fall so bitter machen: Für diese | |
jesidische Familie reiht sich der Tod des jüngsten Kindes ein in eine | |
lange, traumatische Geschichte aus Folter, Flucht und Vertreibung. Nur dass | |
sie für einen Moment geglaubt hatten, in Deutschland sicher zu sein. | |
Dass das Beschweigen einer solchen Tat niemandem gut tut, davon ist auch | |
Karsten Knigge überzeugt. Er gehört zu einer Initiative, die sich in | |
Rosdorf bei Göttingen aufgemacht hat, um an einen sehr viel älteren Fall zu | |
erinnern. [4][Alexander Selchow] wurde in der Silvesternacht 1990/91 von | |
zwei Neonazis erstochen. Die Verurteilung der Täter nach Jugendstrafrecht | |
fiel milde aus – auch weil das Gericht von gefährlicher Körperverletzung | |
und nicht von Mord ausging. | |
Die politische Motivlage spielte im Prozess keine Rolle – obwohl die beiden | |
Skinheads erklärtermaßen unterwegs waren, um „herumschwirrende Linke | |
durchzuklopfen“ und Selchow als solcher bekannt und durch sein | |
Gruftie-Outfit auch leicht zu identifizieren war. Trotzdem wurde das Ganze | |
eher wie eine eskalierte Auseinandersetzung unter Jugendlichen behandelt. | |
Die Bürgerinitiative hat nun einen Erinnerungsweg angelegt. Dazu haben | |
Abiturienten, die erst nach diesen „Baseballschläger-Jahren“ geboren | |
wurden, Zeitzeugen-Interviews geführt, die an den Stationen des Rundganges | |
durch den Ort abrufbar sind. | |
Bis heute ist der Mord an Selchow nicht als politische Tat anerkannt und | |
das ist nicht der einzige. Zehn Fälle zeichnet die Ausstellung nach. Zehn | |
Fälle, bei denen – nicht zuletzt aufgrund der Aufarbeitung in einer | |
Langzeitrecherche von „Zeit online“ und des Tagesspiegels – davon | |
ausgegangen werden kann, dass rechte Motive eine entscheidende Rolle | |
spielten. Nur zwei von ihnen werden offiziell rechter Gewalt zugeschrieben. | |
Eine wissenschaftliche Neubewertung alter Fälle, wie sie in Brandenburg und | |
Thüringen auf den Weg gebracht wurde, steht in Niedersachsen aus, obwohl | |
die Grünen dies lange forderten. Im neuen rot-grünen Koalitionsvertrag ist | |
nur die Rede davon, neun strittige Altfälle überprüfen zu lassen, sofern | |
Angehörige dies wünschen. | |
5 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nds-fluerat.org/43585/aktuelles/gedenken-an-getoeteten-15-jaehr… | |
[2] https://mbt-niedersachsen.de/ | |
[3] https://erinnern-heisst-kaempfen-nds.de/ | |
[4] /Gemeinde-startet-Gedenkprojekt/!5846499 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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