| # taz.de -- Ausgleich für den CO2-Fußabdruck: Geschäft mit dem schlechten Ge… | |
| > Nach dem Hitzesommer wollen mehr Menschen, Firmen und Behörden ihren | |
| > Beitrag zum Treibhauseffekt kompensieren. Was hilft das? | |
| Bild: Nix Rasen: Der Platz vor dem Bundestag vermittelte im Sommer direkte Klim… | |
| Berlin taz | Der Hitzesommer 2018 hatte sehr unterschiedliche Auswirkungen. | |
| Nach Schätzungen des Karlsruher Institut für Technologie richtete er in | |
| Deutschland Schäden „im zweistelligen Milliardenbereich“ an: Vor allem die | |
| Landwirtschaft litt unter der Dürre, aber auch die Schifffahrt wurde wegen | |
| der leeren Flüssen eingeschränkt. | |
| Für Freibäder, Bierverkäufer und Eisdielen dagegen brachten die | |
| Rekordtemperaturen Rekordumsätze. Und noch eine Branche erlebte 2018 einen | |
| Boom: die Anbieter von CO2-Kompensationen für den Ausstoß von | |
| Treibhausgasen. | |
| Offenbar hat die lange Hitzewelle das schlechte Gewissen von Privatleuten, | |
| Unternehmen und Behörden befeuert. „2018 war für uns ein Rekordjahr“, sagt | |
| Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer des Marktführers [1][atmosfair] der | |
| taz. Sein Unternehmen habe den Umsatz von gut 7 Millionen Euro 2017 um 45 | |
| Prozent gesteigert und 2018 insgesamt etwa 800.000 Tonnen CO2 durch | |
| Öko-Projekte ausgeglichen. Vor allem Privatleute hätten verstärkt versucht, | |
| ihre Reisen klimaneutral zu stellen. | |
| „Der Zuwachs geht 2019 bisher weiter“, so Brockhagen. „Ich habe die | |
| Hoffnung, dass wir auch jenseits der Öko-Nische die Leute erreichen.“ | |
| Atmosfair sucht inzwischen neue Mitarbeiter. Das Projekt war 2008 vom Forum | |
| anders Reisen und der Entwicklungsorganisation Germanwatch gegründet | |
| worden. | |
| ## Weg vom „Ablass“-Image | |
| Das Geschäft mit dem schlechten Klimagewissen läuft also. Verschiedene | |
| Firmen bieten ihren Kunden oder Spendern die Gelegenheit, ihren | |
| „CO2-Fußabdruck“ für Flugreisen, Autofahrten oder ihre Geschäftstätigke… | |
| zu berechnen und „auszugleichen“. Für eine Spende an ein Klimaschutzprojekt | |
| soll die CO2-Menge, die zum Beispiel aus einem Hin- und Rückflug nach New | |
| York anfällt (circa 3,6 Tonnen), anderswo eingespart werden – etwa durch | |
| eine Biogasanlage in Nepal, die mit Ernteresten und Abfall läuft und so | |
| fossile Brennstoffe vermeidet oder durch effiziente Kochöfen in Sambia, die | |
| den Wald schonen. | |
| Die Geschäftsidee – zu Beginn ab und zu als „Klima-Ablass“ gescholten �… | |
| sich etabliert. Die Anbieter legen Wert darauf, ihren Kunden und Spendern | |
| Beratung anzubieten, wie sie CO2-Emissionen zuerst vermeiden oder | |
| reduzieren, ehe sie ans „Kompensieren“ denken. Das kann zum Beispiel | |
| heißen, mehr Telefon- oder Videokonferenzen zu organisieren. Und vor einem | |
| Jahr bekamen die vier wichtigsten Kompensierer auf dem deutschen Markt, die | |
| alle gemeinnützig arbeiten, im [2][Magazin Finanztest gute Noten:] | |
| Testsieger Atmosfair wurde wie die [3][Klimakollekte] und Prima Klima mit | |
| „Sehr gut“ bewertet, der Anbieter [4][myclimate] noch mit „gut“. | |
| Den großen Zuwachs bei der Nachfrage bestätigen in einer Umfrage der taz | |
| auch die anderen Kompensierer. Ein Umsatzplus von „30 bis 40 Prozent“ im | |
| letzten Jahr registriert die Geschäftsführerin der Klima-Kollekte, Olivia | |
| Henke, wo Kirchen und kirchliche Organisationen zu klimafreundlichem | |
| Handeln aufrufen und Ausgleichsprojekte anbieten. Auch bei Privatkunden | |
| sieht sie ein Plus von 25 bis 30 Prozent, 35.000 Tonnen CO2 seien | |
| kompensiert worden. | |
| Die Zahl der Privatspender und die Einnahmen hätten sich „verdreifacht“, | |
| heißt es auch bei [5][PrimaKlima]. Die Firma pflanzt nach eigenen Angaben | |
| für den CO2-Ausstoß ihrer Spender Bäume – im letzten Jahr 193.000 und damit | |
| 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei myclimate liege der Zuwachs ebenfalls | |
| bei „mindestens einem Drittel“, sagte Geschäftsführer Stefan Baumeister. | |
| Das Wachstum liege deutlich über dem ohnehin steigenden Trend. | |
| Als Grund sieht Baumeister, dass viele Unternehmen die Kompensation ihres | |
| [6][CO2-Fußabdrucks] in ihr Geschäftsmodell integrieren – aber auch die | |
| Debatte über den heißen Sommer und den Klimawandel. „Das ist in den Köpfen | |
| angekommen und geht auch nicht mehr weg.“ Auch myclimate schreibt Stellen | |
| aus, sagt Baumeister, „der Trend wird anhalten“. | |
| ## Nur der BND macht nicht mit | |
| Für nachhaltige Nachfrage auf dem Markt sorgt auch die Bundesregierung. Die | |
| gleicht inzwischen alle CO2-Schulden bei den Dienstreisen aller | |
| Bundesministerien und nachgeordneter Behörden mit Klimaschutz-Projekten | |
| aus. Insgesamt 121 Stellen in der Verwaltung des Bundes machen mit. Einzige | |
| Ausnahme: der Bundesnachrichtendienst BND. | |
| Für insgesamt 300.000 Tonnen CO2 habe der Bund 1,7 Millionen Euro Ausgleich | |
| gezahlt, erklärt das Umweltministerium. „Wir suchen bewusst kleine | |
| Projekte, die einen besonders hohen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in | |
| den am wenigsten entwickelten Ländern liefern“, sagte Maria Krautzberger, | |
| Chefin des Umweltbundesamts, das die Planungen koordiniert. „Klimaschonende | |
| Dienstreisen haben beim Bund einen festen Platz.“ | |
| Allerdings nur bei der Exekutive. Denn obwohl der Bundestag der Regierung | |
| im Bundeshaushalt das Geld für die Kompensationen bewilligt, hat er für | |
| seine Abgeordneten und Angestellten selbst keine solche Regelung. Das war | |
| anders zwischen 2008 und 2012, aber dann sparte sich das Parlament das | |
| ökologische Gewissen. | |
| Auch ein Antrag der Grünen von 2014 konnte es nicht umstimmen. Die | |
| Ökopartei kompensiert zentral die Reisen ihrer Mitarbeiter und Referenten. | |
| Ihre Abgeordneten machend das individuell und auf Eigeninitiative, weil | |
| eine einheitliche Regel für MdBs fehlt. Die anderen Fraktionen allerdings | |
| hoffen auf das Öko-Gewissen ihrer Mitarbeiter und darauf, dass Bahnfahren | |
| für Abgeordnete kostenlos bleibt. | |
| ## Möglichkeiten gibt es viele | |
| Auch die Bundesländer tun sich schwer. Das grün-schwarz regierte | |
| Baden-Württemberg immerhin kompensiert seit 2008 seine Flugreisen, Hessen | |
| arbeitet insgesamt an einer „klimaneutralen Verwaltung“, Berlin investiert | |
| in die Erhaltung von Mooren, um seinen CO2-Fußbadruck bei Dienstflügen zu | |
| verringern. Aber eine einheitliche Linie gibt es nicht. | |
| Nicht einmal die Vorhut der Klimaschützer unter den deutschen Unternehmen | |
| hat eine abgestimmte Praxis. In der [7][„Initiative 2 Grad“], in der sich | |
| deutsche Konzerne zum Klimaschutz bekennen, stehen die Mitglieder ganz | |
| unterschiedlich zu ihren eigenen Reise- Emissionen. Während Firmen wie die | |
| Kreuzfahrtgesellschaft Aida oder Aldi Süd erklären, sie kompensierten | |
| bereits, zeigen andere weniger Ehrgeiz. Die Deutsche Telekom etwa gleicht | |
| nur die Emissionen bei ihren Veranstaltungen und verweist auf Dienstreisen | |
| mit der Bahn, die Deutsche Bahn natürlich ebenso. Die Otto-Group, einer der | |
| großen Sponsoren von Öko-Projekten, kommt bei Dienstreisen für „jede fünf… | |
| Tonne“ auf. Und auch EnBW kompensiert das CO2 aus seinen Dienstreisen | |
| nicht. | |
| ## „Nur als letztes Mittel“ | |
| Grundsätzlich kritisch sieht der Geschäftsführer der [8][Deutschen | |
| Umwelthilfe DUH], Sascha Müller-Kraenner, die Idee der Kompensation: „Es | |
| ist eine Illusion zu denken, man könne die Umweltschäden durchs Fliegen | |
| kompensieren“, sagt er. Zwar sei der CO2-Ausgleich als letztes Mittel | |
| gerechtfertigt, wenn sich eine Reise nicht vermeiden lasse, „aber das kann | |
| nicht für das gute Gewissen für den Urlaubsflug nach Mallorca gelten“. Auch | |
| sei fraglich, ob Unternehmen nach einer Beratung durch die Kompensierer | |
| wirklich ihren CO2-Ausstoß senkten, indem sie etwa mehr Telekonferenzen | |
| abhielten und weniger im Flugzeug säßen. | |
| Tatsächlich deckt auch ein schnell wachsender Markt für die Kompensatoren | |
| nur einen Bruchteil der Emissionen aus Deutschland. Großzügig gerechnet | |
| glichen die Anbieter 2018 etwa 2 Millionen Tonnen CO2 aus – insgesamt | |
| belastete Deutschland aber die Atmosphäre mit etwa 900 Millionen Tonnen. | |
| 12 Feb 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.atmosfair.de/de/ | |
| [2] https://www.test.de/CO2-Kompensation-Diese-Anbieter-tun-am-meisten-fuer-den… | |
| [3] https://klima-kollekte.de/ | |
| [4] https://de.myclimate.org/de/ | |
| [5] https://www.primaklima.org/ | |
| [6] http://www.uba.co2-rechner.de/de_DE/ | |
| [7] https://www.stiftung2grad.de/ | |
| [8] https://www.duh.de/themen/energie-klima/klimaschutz/ | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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