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# taz.de -- AstraZenecas Corona-Impfstoff: Von der Mangelware zum Ladenhüter
> Trotz des weltweiten Engpasses bei Impfstoffen werden einige Zentren ihre
> Dosen nicht los. Nun gibt es eine Lockerung der Impfstoffreihenfolge.
Bild: Lüften hilft gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Impfen ist aber bess…
Berlin taz | Ralf Reinhardt weiß um die Kritik,
Verwaltungsmitarbeiter*innen vorab zu impfen. Er habe auch zunächst
den priorisierten Personengruppen Bescheid gegeben, beteuert der Landrat
des brandenburgischen Kreises Ostprignitz-Ruppin. Trotz dieser Bemühungen
seien Impftermine unbesetzt geblieben. Allein am vorigen Donnerstag seien
von 280 Impfmöglichkeiten nur 53 gebucht worden, sagt Reinhardt. Daraufhin
habe er veranlasst, dass kurzfristig interessierten
Verwaltungsmitarbeitern, aber auch Feuerwehrleuten oder Kita-Mitarbeitern
eine außerplanmäßige Impfung angeboten wird. Der Impfstoff solle
schließlich nicht verfallen, sagte der SPD-Politiker.
Obwohl Milliarden Menschen in aller Welt sehnsüchtig darauf warten, gegen
das Coronavirus geimpft zu werden, häufen sich in Deutschland die Berichte
über Pflege- und Klinikpersonal, das eine Impfung ablehnt. Die Skepsis geht
offenbar nicht zuletzt auf das Vakzin [1][des britisch-schwedischen
Pharmaherstellers AstraZeneca] zurück, einen der drei bislang zugelassenen
Corona-Impfstoffe. Dessen Wirksamkeit liegt bei 70 Prozent – was als sehr
gut für einen Impfstoff gilt. Die extrem hohe Wirksamkeit des Vakzins des
[2][Mainzer Unternehmens Biontech] mit mehr als 90 Prozent hat jedoch dazu
geführt, dass einige wählerisch werden.
Die Gesundheitsministerien in Ländern wie Nordrhein-Westfalen oder
Baden-Württemberg widersprechen zwar vehement dem Eindruck, dass aus dem
Impfstoff von AstraZeneca nun ein Ladenhüter geworden sei, und bezeichnen
die nicht wahrgenommenen Impftermine beim Personal in Kliniken als
Einzelfälle.
Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium verweist auf Zahlen der
Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVN), denen zufolge im Zeitraum
zwischen dem 10. und 15. Februar beim Impfstoff von AstraZeneca rund 600
Impftermine nicht wahrgenommen worden seien. Bei rund 18.100 geplanten
Impfungen mit AstraZeneca ergebe das eine Quote von gerade einmal rund 3,4
Prozent.
Dennoch wollten die Gesundheitsminister*innen von Bund und Ländern
Montag, am späten Nachmittag, darüber beraten, die bislang streng
gehandhabte Impfstoffreihenfolge zu lockern und angesichts der in zehn
Bundesländern begonnenen Schulöffnungen auch Grundschullehrer und Erzieher
früher zu impfen. Das Ergebnis lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben aber bereits angekündigt,
dass sie nun auch Lehrer*innen und Erzieher*innen in den kommenden
Tagen bevorzugt impfen lassen wollen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte im Februar die Reihenfolge
der Impfungen festgelegt. Höchste Priorität haben danach über 80-Jährige,
Pflegeheimbewohner und Pflegekräfte sowie Medizinpersonal mit erhöhtem
Corona-Ansteckungsrisiko. Doch die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte
das Vakzin des schwedisch-britischen Pharmaunternehmens bei der EU-weiten
Zulassung Ende Januar zunächst einmal nur für Personen bis zu 64 Jahren
empfohlen mit der Begründung, für Senior*innen über 65 hätten noch nicht
ausreichend Daten vorgelegen.
Damit rutschen automatisch unter 65-Jährige wie Pflegepersonal mit in die
Höchstpriorität und können nun geimpft werden. Doch nicht alle nehmen das
Angebot an.
Auch die nun stetig steigende Lieferung an Impfdosen verändert die Debatte.
Bis Ende dieser Woche wird der Bund 10 Millionen Impfdosen an die 16
Bundesländer übergeben haben. Spahn hat die Länder aufgefordert, sich
darauf vorzubereiten, viel höhere Zahlen von Patienten pro Tag impfen zu
lassen. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) spricht
davon, dass die Kapazität bis Ende März von 200.000 auf 300.000 Impfungen
pro Tag ausgeweitet werden müsse. Dazu kommen Impfungen über die rund
50.000 Hausärzte. Spätestens im Juni sollen 1 Million Impfungen pro Tag
möglich sein. Auch deswegen drückt die Politik aufs Tempo.
Die ursprünglich erst in Impfgruppe 3 vorgesehenen Lehrer*innen und
Erzieher*innen kommen nun also mutmaßlich als nächste Gruppe zum Zug.
Über 690.000 Lehrkräfte arbeiten in Deutschland. Knapp 205.000 von ihnen
sind an Grundschulen und knapp 70.000 an Förderschulen tätig. Rund 82.000
Lehrer*innen sind über 60 und gelten damit als gefährdeter für einen
schweren Verlauf von Covid-19. Noch dringlicher erscheint die baldige
Impfung für die rund 675.000 Erzieher*innen in Kindertagesstätten. Für
sie ist Abstand halten unmöglich.
Während diese beiden Gruppen bei einer entsprechenden Änderung der
Impfverordnung in der Impfreihenfolge nach vorne rutschen, bleibt eine
Gruppe hingegen weiter ein blinder Fleck. Rund 450.000 Menschen leben mit
den beiden höchsten Pflegegraden zu Hause, werden betreut von Pflege- und
Assistenzkräften oder Angehörigen. Sie können sich nicht isolieren und sind
häufig aufgrund ihrer Erkrankung besonders gefährdet für einen schweren
oder tödlichen Verlauf von Covid-19. In der Impfstrategie sind die Jüngeren
von ihnen bislang frühestens in Gruppe 3, viele auch gar nicht priorisiert
vorgesehen.
Eigentlich sollten zwar gerade die am meisten gefährdeten Menschen den
besten Impfstoff bekommen, sagt eine Berliner Betroffene. Aber sie würde
sich nach einem Jahr Angst auch mit AstraZeneca impfen lassen. „Besser als
gar keine Impfung.“
23 Feb 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Manuela Heim
Felix Lee
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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Impfstoff
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