# taz.de -- In Hannover stirbt ein Mann Nachts im Freien: Der Frost tötet auf … | |
> Viele Obdachlose meiden trotz der Kälte die städtischen Unterkünfte, weil | |
> sie dort nicht zur Ruhe kommen. Dabei wäre dort noch Platz. | |
Bild: Zuflucht bei Minusgraden: Eisenbahnunterführung an der Königstraße in … | |
HANNOVER taz | „Gott lässt mich nicht so schnell sterben“, sagt Thorsten, | |
der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er sieht ein | |
bisschen aus wie ein Nachtwächter, wenn er durch Hannover zieht. Er trägt | |
einen langen, speckigen Ledermantel und eine Uschanka, eine dieser | |
russischen Mützen mit Fell. In der rechten Hand hat er tatsächlich eine | |
Metalllaterne mit einer LED-Kerze darin. Mit der linken zieht er einen | |
Rollkoffer hinter sich her, auf den zwei Schlafsäcke, eine Wolldecke und | |
eine aufgerollte Isomatte gebunden sind. Das ist alles, was Thorsten nachts | |
warm hält. | |
Der 50-Jährige möchte nicht in einer städtischen Unterkunft übernachten und | |
auch das Angebot der Üstra, die seit Wochen nachts Obdachlose in der | |
Haltestelle am Kröpcke schlafen lässt, will er nicht annehmen. „Ich war | |
einmal dort und wurde gleich beklaut“, sagt er. „Außerdem stinkt es nach | |
Urin.“ | |
Die Nächte unter freiem Himmel sind gefährlich. In Hannover ist am | |
Montagmorgen der erste Obdachlose in diesem Jahr wegen der Kälte gestorben. | |
Thorsten sagt, dass er Thomas noch lebend am Kröpcke gefunden und den | |
Rettungswagen gerufen habe. „Er konnte nicht mehr aufstehen“, sagt | |
Thorsten. | |
Die Polizei erklärt, dass die Rettungskräfte den 54-jährigen Mann mit dem | |
Verdacht auf eine Alkoholvergiftung und Erfrierungserscheinungen in ein | |
Krankenhaus gebracht hätten. Er sei zunächst ansprechbar gewesen, dort aber | |
am Montag gestorben. | |
## Von der Üstra rausgeschmissen | |
„Wenn man auf der Straße lebt, muss man grundsätzlich ein bisschen trinken, | |
damit es einem gut geht“, sagt Thorsten. „Gerade bei der Kälte.“ Er zieht | |
einen silbernen Flachmann aus dem Mantel und nimmt einen Schluck. „Wichtig | |
ist nur, dass man nicht besoffen ist.“ | |
Thorsten hat gehört, dass Thomas zwei Tage zuvor ein Hausverbot vom | |
Sicherheitsdienst der Üstra für die Station am Kröpcke bekommen haben soll. | |
„Der hatte neben seinem Schlafplatz sein kleines und großes Geschäft | |
verrichtet“, sagt Thorsten. „Da haben sie ihn rausgeschmissen.“ | |
Üstra-Sprecher Udo Iwannek findet auf diesen Vorfall „keinen Hinweis in den | |
Aufzeichnungen“. Grundsätzlich sei es aber möglich, dass der | |
Sicherheitsdienst von seinem Hausrecht Gebrauch mache, wenn jemand in der | |
Station Betäubungsmittel konsumiere oder neben seinen Schlafplatz kote. | |
„Auch damit kein Streit in der Gruppe entsteht“, sagt Iwannek. | |
Etwa ein Dutzend Menschen schlafen nachts unter der Rolltreppe in der | |
Station. Auch die Marktkirche öffnet seit Donnerstag ihre Türen für | |
Obdachlose. Stadtsprecherin Michaela Steigerwald sagt zudem, dass es | |
derzeit „noch ausreichend Plätze“ in den Notschlafstellen gebe. | |
Verlässliche Zahlen darüber, wie viele Menschen in Hannover auf der Straße | |
schlafen, hat die Stadt nicht. 1.246 Menschen leben in städtischen | |
Obdachlosenunterkünften. | |
Dana Jörk und ihr Team von den Johannitern fahren in Hannover bei | |
Minusgraden jeden Tag mit dem Kältebus an zwei Anlaufpunkte in der Stadt. | |
Sie kochen Chili con Carne oder Grünkohl mit Kartoffeln und verteilen die | |
heiße Mahlzeit und Tee an die Menschen auf der Straße. Jörk kennt Thomas. | |
„Er kam regelmäßig, um sich etwas zu essen, einen Schal oder eine Mütze zu | |
holen“, sagt sie. | |
Vor seinem Tod sei er bereits erkältet gewesen, sagt Jörk. Aber die | |
Helfer*innen könnten und wollen die Obdachlosen nicht zwingen, die Nacht in | |
einer Unterkunft zu verbringen. „Das sind Menschen mit einem freien | |
Willen“, sagt die Ehrenamtliche. „Sie können selbst entscheiden.“ | |
## Auf Unterdrückung ausgelegt | |
Stefanie Menzel hat sich ebenfalls gegen eine städtische Unterkunft | |
entschieden. Dabei hatte sie einen festen Platz in einem Wohnheim. Trotzdem | |
schläft sie lieber mit ihrem Freund in einer Gartenlaube. „Das ganze | |
Reglement in den Unterkünften ist nur auf Unterdrückung ausgelegt“, sagt | |
sie. Menzel kritisiert zum Beispiel die Besuchszeiten oder | |
Zimmerkontrollen. „Es geht hier um erwachsene Menschen, keine kleinen | |
Kinder.“ | |
Außerdem sei es schwierig, sich mit fremden Menschen ein Zimmer zu teilen. | |
„Meine Zimmernachbarn sind völlig abgegangen.“ Eine habe psychotische | |
Schübe gehabt. „Solche Leute provozieren andere, weil sie mit sich selbst | |
nicht klar kommen“, sagt Menzel. | |
Es bedeute Stress und Schlaflosigkeit, in den Unterkünften zu übernachten. | |
In der Gartenlaube hält sie ein Gasofen warm. „Aber ich weiß nicht, wie | |
lange ich dort bleiben kann“, sagt sie. | |
Auch Jörk von den Johannitern bestätigt, dass einige Obdachlose die | |
Unterkünfte meiden, weil der Zustand teilweise schlecht sei. Notwendig | |
seien mehr Einzelzimmer und mehr Personal, sagt Jörk. Aber das ist teuer. | |
## Ein neues Konzept: Tiny House | |
Die Diakonie in Hannover hat gerade ein anderes Konzept vorgestellt: ein | |
Tiny House. Das sieht aus wie ein kleines Holzhaus auf Rädern. Drinnen | |
stehen ein Bett, ein klappbarer Tisch, zwei Stühle, eine Kochnische und | |
eine Dusche. Nächste Woche soll ein obdachloser Mensch in die sechseinhalb | |
Quadratmeter einziehen. | |
Zwei weitere Tiny Houses gebe es schon. Die Dachstiftung Diakonie bittet | |
Privatleute und Firmen, Stellplätze anzubieten. „Das beseitigt die | |
Wohnungsnot nicht flächendeckend“, sagt Sven Quittkat von der Diakonie. | |
„Aber es ist ein Zeichen.“ | |
24 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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