# taz.de -- „Nacht“-Ausstellung in Hamburg: Zum Schlafen zu schade | |
> Sprüher, Spukgestalten und Schichtarbeit: In Hamburg ist der Remix einer | |
> Berliner Ausstellung über „Die Nacht“ zu sehen. | |
Bild: Nachts, wenn die Züge stehen: Betriebspause bei Hamburgs Hochbahn | |
HAMBURG taz | Ob die Schäfchen-Expert*innen da waren? Die Deutsche | |
Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) [1][tagte Anfang | |
des Monats in Hamburg], da war die Sonderausstellung im dortigen [2][Museum | |
der Arbeit] ungefähr seit einer Woche eröffnet. Und die weist im | |
(Unter-)Titel ja genau hin auf das Feld, das diese Fachmediziner*innen | |
beackern: „Alles außer Schlaf“. Also das Feiern, zum Beispiel: Konzipiert | |
und zuerst gezeigt worden ist die Ausstellung im Berliner Museum für | |
Kommunikation – da ist ist 90er-Jahre-Technostandort-Nostalgie wohl ein | |
Muss; zu schweigen vom Berlin-Babylon-Zwischenkriegskitsch, also dieses | |
gute Kapitel deutscher Geschichte, ehe das ganz böse kam. | |
Beides berücksichtigt die Ausstellung gewordene „Reise durch die Nacht“, | |
die Florian Schütz kuratiert hat, ebenso die Nachtgestalten, die uns | |
diverse Künste beschert haben: Hexen und Nachtmahre, Werwolf und Vampir, | |
aber auch die ungleich jüngere, neoromantische Popkulturverästelung namens | |
Gothic. Oder die Sinnstiftung, die der frühe Mensch vornahm angesichts | |
dieses über ihn kommenden Dinkels, sei’s im Mythos, sei’s in der Religion … | |
sei’s in den Wissenschaften: Auf eine überdimensionale Reproduktion der | |
„Himmelsscheibe von Nebra“ sind sie nun einerseits sehr stolz in Hamburg, | |
andererseits: Das rund 4.000 Jahre alte Original bekam [3][vor einigen | |
Jahren] nicht mal das örtliche archäologische Museum ausgeliehen; da sind | |
die Kolleg*innen in Sachsen-Anhalt eigen. | |
[4][Der Trailer zur Ausstellung], sowas muss heute ja auch immer öfter | |
sein, setzt den nächtlichen Luftfrachtumschlag bei DHL zeitgerafft zu | |
Technobeats in Szene – hinter dem Berliner Museum steht ja die Deutsche | |
Post mit ihrem Geld. Dass aber manche arbeiten, arbeiten müssen, wenn | |
andere feiern (oder gar schlafen): Auch davon erzählt diese Ausstellung, | |
die Erfordernisse eines zunehmend globalen, mithin keinen echten Feierabend | |
mehr kennenden Wirtschaftens finden also Berücksichtigung. Dass | |
Schichtarbeit körperliche Folgen haben kann, und zwar kaum gesunde: so wahr | |
wie überraschend in einer doch zuallererst kulturgeschichtlich angelegten | |
Ausstellung. | |
Und dabei löst sich die Hamburger Ausstellungsvariante dann auch von der in | |
Berlin: Hinzugekommen sind etwa Fotos, die über mehrere Jahrzehnte der | |
örtliche Nahverkehrsbetrieb, die Hochbahn, in Auftrag gab. Was passiert, | |
wenn die U-Bahn-Züge stillstehen? Dass sie nämlich durchfahren, zumindest | |
am Wochenende: So viel Großstadt ist Hamburg so schrecklich lange noch gar | |
nicht. | |
Zwei andere nun berücksichtigte Fotoserien entstanden für das Hamburger | |
[5][Straßenmagazin Hinz & Kunzt], eine dritte schoss CP Krenkler bei der | |
Begleitung von Polizeibeamt*innen der überlokal bekannten Davidwache: Kaum | |
also lässt sich der Ausstellung vorwerfen, sie verschlösse die Augen vor | |
der Ambivalenz des Nächtlichen, von gern Übersehenem oder auch das Licht | |
Scheuendem. Nacht und Arbeit aber, und das in Streifengangreichweite von | |
Deutschlands prominentestem Polizeirevier? Ja, auch die Prostitution hat | |
hier ihren Auftritt, und das übrigens nicht erst in Hamburg, wo man ja | |
manchmal nicht so genau weiß, wie sehr dieses besondere Gewerbe nun zu | |
verdammen ist – oder nicht vielmehr eine Art Tourismusfaktor. | |
Noch so ein Ambivalentes, das zum allergrößten Teil im Schutz von | |
Dunkelheit oder wenigstens dünner Personaldecke geschieht: Graffiti. Ein | |
eigens beauftragtes Piece ziert nun eine Wand im Ausstellungsraum; daneben | |
Fotos von Sprühern in Aktion, die lieber nicht erkannt werden wollten – | |
anders als die lokalen Szenegrößen, von denen einige zur | |
Ausstellungseröffnung anwesend waren. Ein neues Buch stellen [6][Mirko | |
Reisser alias „Daim“], Oliver Nebel ([7][„Davis One“]), Andreas Timm | |
(„Cario“) und Frank Petering vom Magazin Backspin dann im Frühjahr vor: | |
[8][„Eine Stadt wird bunt – Hamburg Graffiti History 1980–1999“]. | |
21 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /!5633965/ | |
[2] https://shmh.de/de/ueber-das-museum-der-arbeit | |
[3] /!5140553/ | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=7A8oFuBbi84 | |
[5] https://www.hinzundkunzt.de/ | |
[6] https://mirkoreisser.de/ | |
[7] http://davisone.de/ | |
[8] https://www.youtube.com/watch?v=EC-nobDzYQo | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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