Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Soziologin über Gewalt gegen Roma: „Es gibt eine Kultur der Stra…
> Bei einem Angriff auf Roma in der Nähe von Lwiw haben Vermummte einen
> Mann getötet. Die Soziologin Hanna Hrytsenko über die Lage in der
> Ukraine.
Bild: In der Roma-Siedlung Barkasovo nahe Mukatschewo im westukrainischen Bezir…
Frau Hrytsenko, [1][in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni attackierten
Maskierte ein Roma-Camp in der Nähe der westukrainischen Stadt Lwiw]. Sie
töteten einen Mann und verletzten andere. Das ist nicht die erste Attacke
in diesem Jahr. Nimmt die Gewalt gegen Roma in der Ukraine zu?
Hanna Hrytsenko: Ja in diesem Jahr haben die Attacken zugenommen. Wir haben
keine genauen Zahlen für die ganze Ukraine, aber wir wissen von mindestens
[2][fünf anderen Attacken auf Roma in den letzten zwei Monaten]: drei in
Kyiv, eine in Ternopil und eine andere in Lwiw.
Können Sie sagen, warum solche Angriffe zunehmen?
Darüber gibt es viele Vermutungen. Soweit ich weiß, gibt es keine neue
Strategie der Rechtsextremen oder einen Aufruf zu mehr Gewalt. Es gibt aber
auch kein komplettes Monitoring aller rechtsradikalen Gruppen in der
Ukraine. Vielleicht hat es etwas mit den Wahlen zu tun, 2019 wählen die
Ukrainer ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten. Vielleicht
versucht da jemand Punkte bei den Wählern zu machen oder anderweitig
Einfluss zu nehmen.
Warum werden insbesondere Roma attackiert?
Sie sind die einfachsten Ziele, wenn man einen Sündenbock für die schlechte
Lage in der Ukraine sucht. Wie in vielen europäischen Ländern sind sie
schlecht integriert, sie leben oft am Rand der Städte. Viele haben nach dem
Zusammenbruch der alten Industrien keine Jobs als ungelernte Fabrikarbeiter
mehr. Die Politikerinnen und Politiker an der Macht geben auch kein Geld
aus, um das zu ändern. Hetze gegen die Roma ist viel billiger. Und wenn
Roma aus einer Notlage heraus dann wirklich einmal stehlen oder etwas
anderes tun, das gegen das Gesetz ist, dann gibt es sicher auch mal Unmut
bei der lokalen Bevölkerung. Und das nutzen rechtsradikale Gruppen aus, um
sich als Retter zu präsentieren.
Wer sind diese rechtsradikalen Gruppen, und wer sind ihre Unterstützer?
Meistens sind es junge Männer, ihre Unterstützer kommen aus der Szene der
Fußballfans, aus dem Umfeld des Militärs und mancher Freiwilligengruppen,
die die ukrainische Armee im Krieg in der Ostukraine unterstützen. Die
Gruppen, die ich kenne sind meistens eher klein, meistens machen da in etwa
zehn bis zwanzig Männer mit. Auf ihren Internetauftritten und bei Facebook
sehe ich stets die gleichen Gesichter. Aber diese Gruppen vergeben keine
offiziellen Mitgliedschaften, es ist also schwer exakt zu sagen, wie viele
da wirklich mitmachen.
Sind es bestimmte Fußballclubs, die sich dabei hervortun?
Viele Fußballclubs haben Anhänger aus dem rechtsradikalen Spektrum. Eine
Ausnahme ist Arsenal Kyiw, ein vor zehn Jahren gegründeter Verein. Die
haben sich ein explizit linkes Profil gegeben.
In der Ukraine gibt es, zumindest wenn man die Programme als Anhaltspunkt
nimmt, keine rechtsradikale Partei in der Werchowna Rada, dem Parlament.
Hat sich das geändert? Haben sich Parteien radikalisiert?
Nein, es gibt keine rechtsradikalen Parteien im Parlament. Die Partei
Swoboda ist nicht drin und wird es wohl auch 2019 nicht schaffen. Und die
Partei Nationales Korps bekommt derzeit laut Umfragen maximal ein Prozent,
also werden auch sie es nicht schaffen. Was es aber gibt, dass sind
einzelne Abgeordnete in vielen Parteien, die rechtsradikales Gedankengut
entweder tolerieren oder sogar befürworten. Da die meisten ukrainischen
Parteien nicht auf Programmen sondern auf persönlichen Loyalitäten
aufbauen, ist so etwas möglich.
Daneben gibt es personelle Verflechtungen der Sicherheitsbehörden mit dem
rechtsradikalen bis rechtsextremen Lager. Vadim Trojan, ein früherer
Vizekommandeur, des mit vielen Rechtsradikalen durchsetzten Batallions Asow
ist stellvertretender Polizeichef des Landes. Der ebenfalls aus dem
Asow-Batallion kommende [3][Sergei Korotkykh] bekleidet auch einen hohen
Posten bei der Nationalpolizei. Ist es eine Strategie der ukrainischen
Rechtsextremen, Macht über den Sicherheitsapparat zu erlangen, weil sie die
im Parlament nicht bekommen?
[4][Zumindest ist auffällig, dass Straftaten von Rechtsextremen gegen Roma
und gegen LGBT oder andere Andersdenkende nicht wirklich verfolgt werden.]
Es gibt eine Kultur der Straflosigkeit gegenüber Rechtsextremen. Das geht
sogar soweit, dass sich Männer, die sich in der Datenbank der Polizei für
Gewalttäter finden lassen, nach Attacken nicht festgenommen werden. Das
habe ich zum Beispiel bei Volodymyr Zagazey, einem Aktivisten des Rechten
Sektors, nach einem Angriff auf eine LGBT-Diskussion selbst gesehen.
Der amtierende Innenminister Arsen Awakow hat das „Asow“-Bataillon 2014 zu
einem Sondereinsatz-Regiment erweitert und dann in die Nationalgarde
eingegliedert. Ist er ein Teil des Problems?
Ob er selbst ein Rechtsextremer ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber duldet
Rechtsextreme und er hat ganz offenbar kein Problem damit, wenn sie hohe
Positionen in den Sicherheitsbehörden bekommen. Das festigt die Kultur der
Straflosigkeit für Rechtsextreme und es gibt ihnen das Gefühl, sie seien
nicht angreifbar. Arsen Awakow ist ein Teil des Problems.
Können Sie erklären, warum er dann noch der Regierung angehört?
Er ist ein sehr mächtiger Politiker, ein Gegenspieler des amtierenden
Präsidenten Petro Poroschenko. Erinnern Sie sich daran, was ich vorhin
gesagt habe: Es sind bald Wahlen. Vielleicht dienen die Attacken auch ganz
zynisch dazu, das Ansehen Poroschenkos zu beschädigen. Belegen kann ich das
nicht, aber in der ukrainischen Politik sind solche Manöver denkbar. Awakow
ist selbst ein reicher Mann. Und er hat viele Unterstützer in- und
außerhalb des Parlaments. Poroschenko kann ihn wahrscheinlich nicht einfach
entlassen.
Gibt es Belege für die in der Ukraine verbreitete Theorie, der Geheimdienst
SBU oder die Polizei versuchten, die Rechtsextremen an sich zu binden, um
sie unter Kontrolle zu halten und sie lenken zu können?
Es gibt in einigen Städten und einem Stadtbezirk von Kyiw Abkommen zwischen
der lokalen Verwaltung und rechtsradikalen Gruppen, zusammen mit der
Polizei [5][auf Patrouille zu gehen]. Allerdings sind diese Gruppen dann
dort gar nicht allzu präsent. Es ist schwer zu sagen, ob das nicht meist
nur Propagandazwecken dient, dazu, sich selbst bekannt zu machen.
[6][Ewgenij Karas, der Anführer der rechtsradikalen Gruppe S 14 hat
behauptet, er arbeite mit dem SBU zusammen.] Der SBU hat das, soweit ich
weiß, nicht kommentiert.
Sie sind eine der wenigen, die sich in der Ukraine wissenschaftlich mit
Rechtsextremismus beschäftigen. Wie arbeiten Sie?
Ich lese die Veröffentlichungen der Rechtsradikalen. Und ich gehe auf die
Veranstaltungen, bei denen sie ebenfalls auftauchen. Treffen der LGBT-Szene
zum Beispiel. Da sehe ich sie dann meistens von der anderen Seite der
Barrikade, wenn Sie so wollen. Ich habe zudem einige Informanten, das sind
Leute, die sich als Nationalisten sehen oder als Patrioten, die aber diese
Gewalt nicht gutheißen. Auch die erzählen mir einiges, allerdings muss ich
Gerüchte erst prüfen bevor ich sie wirklich als gesichert ansehe.
Ist das für Sie gefährlich?
Derzeit nicht, das glaube ich zumindest. In der Ukraine habe ich eine
gewisse Öffentlichkeit. Es wäre wahrscheinlich gefährlich, wenn ich einfach
so auf einer Veranstaltung der Rechtsextremen auftauchen würde. Aber ich
bin vorsichtig.
3 Jul 2018
## LINKS
[1] https://en.hromadske.ua/posts/one-dead-four-injured-in-roma-camp-attack
[2] https://www.hrw.org/news/2018/06/26/ukraine-fatal-attack-roma-settlement
[3] http://khpg.org/en/index.php?id=1517799808
[4] http://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/ukraine-s-got-a-real-prob…
[5] /Rechtsradikale-in-der-Ukraine/!5482011
[6] http://news.liga.net/politics/interview/s14_kto_oni_i_pochemu_im_pozvoleno_…
## AUTOREN
Daniel Schulz
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Rechtsextremismus
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Neonazis
Sinti und Roma
Ukraine
Kyjiw
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Antisemitismus
Proteste in der Ukraine
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ukrainischer Fußballprofi in Spanien: Prekäre Verehrung
In Spanien wird der ukrainische Fußballer Roman Sosulja als Nazi
angefeindet. Die Regierung in Kiew feiert ihn als Patrioten.
Pogrome gegen Roma in der Ukraine: Rechte Gewalt als Kavaliersdelikt
Ein Rechtsradikaler hat mußmaßlich ein Roma-Lager in Kiew in Brand
gesteckt. Jetzt wurden die Auflagen seines Hausarrests stark gelockert.
Rechtsextreme in der Ukraine: Neonazis bekommen Staatsgeld
In der Ukraine bekommen Rechtsextreme finanzielle Unterstützung aus
Steuergeldern. Eine der Gruppen hat ein Roma-Lager zerstört.
Ukrainischer Konsul in Hamburg: Nazi-Diplomat muss gehen
Der ukrainische Konsul in Hamburg wird wegen haarsträubender Posts auf
Facebook suspendiert. Seine Freunde im Ministerium merkten nichts.
Rechtsradikale in der Ukraine: Eine Antwort auf die „Patrioten“
Knapp 200 Menschen haben in Kiew gegen eine paramilitärische
„Volksbürgerwehr“ demonstriert, die sich als Law-and-Order-Truppe
aufspielt.
Antiziganismus in der Ukraine: „Geschossen, bis einer tot war“
Bei einer Bluttat in einem Provinzstädtchen stirbt der Sprecher der
örtlichen Roma. Der Hauptverdächtige ist der Ex-Bürgermeister.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.