| # taz.de -- Volksbühne Berlin nach Chris Dercon: Die Zwischenzeit hat begonnen | |
| > Nach dem Rücktritt von Intendant Dercon steht die Volksbühne ohne viel | |
| > Programm da. Viele deutsche Theater helfen aus – mit Gastspielen. | |
| Bild: Immerhin: Als Kulisse für große Auftritte taugt die Volksbühne noch | |
| Wer Edgar Selge in „Unterwerfung“, einem Monolog nach dem Roman von Michel | |
| Houllebecq, sehen wollte, musste bisher nach Hamburg fahren. Dort hat Karin | |
| Baier dieses großartige Solo am Deutschen Schauspielhaus inszeniert. Jetzt | |
| kommt das Stück nach Berlin: Ab Dezember wird die Geschichte um die | |
| gelungene Zusammenarbeit vom Front National und islamischen Funktionären in | |
| Frankreich mehrmals als Gastspiel in der Volksbühne laufen. | |
| So steht es im Spielplan der Spielzeit 2018/19, den die Volksbühne am | |
| Donnerstag bekannt gegeben hat. Auch andere Theater sind eingesprungen, um | |
| wieder mehr Schauspiel in das große Haus zu bringen, dessen Apparat und | |
| ökonomische Struktur im Repertoire und Ensemble-Theater wurzelt. | |
| Vom Schauspiel Stuttgart wird Kay Voges Inszenierung „Das 1. Evangelium“ | |
| übernommen: ein Stück, das sich um das Kino, Pier Paolo Pasolini und das | |
| Evangelium dreht, ständig Bilder produziert und hinterfragt, und mit vielen | |
| Projektionen arbeitet, was alles auch ein wenig an das Castorfsche Theater | |
| erinnern kann. | |
| Organisiert hat diese und weitere Übernahmen Klaus Dörr, designierter | |
| Geschäftsführer ab der Spielzeit 2018/2019, – und bis dahin am Schauspiel | |
| Stuttgart. Als am 13. April Dercon als Intendant der Volksbühne | |
| zurücktreten musste, wurde Dörr von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) als | |
| kommissarischer Intendant berufen. Er soll dies bis 2020 bleiben, um der | |
| Suche nach einer neuen Leitung Luft zu verschaffen. | |
| Zwischenzeit nennt man diese Periode jetzt am Haus, in der sowohl Verträge | |
| aus der Dercon-Zeit weiter erfüllt werden, aber Theaterinszenierungen | |
| kurzfristig dazu gewonnen wurden: Dabei geht es nicht nur um eine dichtere | |
| Bestückung des Spielplans, sondern auch darum, die Offenheit des Hauses für | |
| Schauspiel zu betonen und seinen Apparat zu nutzen, die Werkstätten | |
| auszulasten. Eigentlich ist es ein schöner Gedanke, dass nun Theater aus | |
| Hamburg, Hannover, Bochum und Stuttgart der Berliner Bühne beispringen. | |
| Die Regisseurin Susanne Kennedy, die Chris Dercon an die Volksbühne geholt | |
| hatte, ist weiter dabei, ebenso wie das syrische Regie-Autoren-Team | |
| Mohammad Al Attar und Omar Abussada mit „The Factory“, einem politisch | |
| brisanten Stück über ausländische Investoren im Kriegsland Syrien, über | |
| Warlords, Wegezölle und schmutzigen Bündnisse. Die Spielzeit eröffnet die | |
| Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker mit ihrer Kompagnie Rosas und einer | |
| Uraufführung, „Die sechs Brandenburgischen Konzerte“. | |
| Die Zukunft der Volksbühne ist zu einem Politikum geworden. Was Dercon | |
| wollte, wird von vielen noch immer abgelehnt. Sie als Publikum bei der | |
| Stange zu halten, wird keine kleine Aufgabe von Dörr in der Zwischenzeit | |
| sein. Den ideologisch aufgeladenen Streit wieder auf eine sachliche Ebene | |
| zu bringen, ist eine Sache auch der Kulturpolitik und des öffentlichen | |
| Diskurses. Den Volksbühnentanker derweil ökonomisch auf Kurs zu halten und | |
| beruhigende Signale auszusenden, muss allerdings der Interims-Intendant | |
| bewältigen. | |
| Dörr hat auch eine Heiner-Müller-Inszenierung als Gastspiel eingeladen: | |
| „Der Auftrag“, vom Regie-Team Tom Kühnel/Jürgen Kuttner, produziert vom | |
| Schauspiel Hannover. Zudem ist eine Uraufführung mit Leander Haußmann | |
| verabredt: „Haußmanns Staatssicherheitstheater“ soll eine Komödie über | |
| Verrat, Liebe, Dilettanten und „die Stasi als verlängerter Arm der | |
| kleinbürgerlichen Mittelmäßigkeit“ werden. Auf dass man der Volksbühne | |
| nicht mehr vorwerfen kann, ihrem Standort im Osten und ihrer Geschichte | |
| nicht gerecht zu werden. | |
| 29 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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