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# taz.de -- Berliner Ensemble nach Claus Peymann: Große Worte, wenig Taten
> Oliver Reese ist vor einem Jahr am Berliner Ensemble angetreten, ein
> neues, zeitgenössisches Autorentheater zu etablieren. Das Ergebnis bisher
> ist mau.
Bild: Ein Jahr nun der erste Mann am Berliner Ensemble: Oliver Reese
Vergangenes Jahr um diese Zeit wurde in Berlin skeptisch gemutmaßt: Würde
sich der neue Volksbühnen-Chef Chris Dercon als kapitale Fehlbesetzung
erweisen, wie so viele prognostiziert hatten? War da nicht noch mit so
manchem vielversprechenden Künstler zu rechnen?
Optimistischer, ja voller Vorfreude blickte man dagegen ein paar hundert
Meter weiter westlich aufs [1][Berliner Ensemble] (BE) unter seinem
designierten Intendanten Oliver Reese: Star-Ensemble an Bord! Viele Ur- und
Erstaufführungen! Neue Heimat für Erfolgsregisseure wie Thalheimer,
Mondtag, Castorf, Nunes, Bösch! Was konnte da überhaupt schiefgehen?
Ein Jahr später: Fassungslosigkeit dort und Ernüchterung hier. Mit welchem
Karacho Dercon die Volksbühne gegen die Wand fuhr, war beinahe schon
spektakulär – wenn es nicht vor allem so tragisch gewesen wäre. Beim
Dauereklat inklusive Hausbesetzung, Kot-Schmiererei und Finanzdebakel samt
kulturpolitischem Komplettversagen prasselte ein derart heftiges Erregungs-
und Empörungsfeuerwerk auf die Verantwortlichen herab, dass fürs Berliner
Ensemble nicht allzu viel Aufmerksamkeit übrig blieb.
Glück für Reese. Denn seine erste Spielzeit blieb deutlich unter dem
zurück, was er mit greller Marketingkampagne als „neu“, als
„Autorentheater“ und „politisches Gegenwartstheater“ (O-Ton Reese) gela…
hatte.
Reese trat an, der Hauptstadt mit ihren postdramatisierten Bühnen ein
Theater der großen Erzählungen wiederzugeben. Schauspieler und Autoren
sollten im Zentrum stehen – Menschen und ihre Geschichten. Schon die
Eröffnung erstickte dann aber am eigenen Anspruch, politische Aussagen zu
treffen, bisherige Zuschauer nicht zu verschrecken, neue hinzuzugewinnen,
die Schauspiel- und Regiestars vorzuzeigen und gleichzeitig neue Namen zu
präsentieren.
Sodass Reeses Schwerpunkt, das Autorentheater, unter die Räder geriet: Beim
Auftakt wurden Camus’ „[2][Caligula]“ (politisch!) und Brechts
„Kaukasischer Kreidekreis“ (Brecht-Tradition!) auf der großen Bühne
gegeben, während das einzige neue Stück, ein schöner, spröder Text von Arne
Lygre, ins Kleine Haus verbannt worden war.
Der junge Regisseur Antú Romero Nunes, bekannt für intelligente,
spielerische Unterhaltsamkeit, verhob sich am düsteren, für ihn viel zu
wuchtigen „Caligula“. Da blieb selbst eine Constanze Becker hinter ihren
Möglichkeiten zurück. Und Michael Thalheimer krempelte ohne Logik den
„Kreidekreis“ zum blutigen Rührstück um ein Bauernmädchen um. Dass die
Inszenierung später beim Türkeigastspiel des BE als „hochpolitisch“
wahrgenommen wurde, weil da ein schuftiger, delirierender Richter mit einem
Eimer Blut übergossen wird, war vor Ort wohl mehr der Wut über Erdoğans
fatale Justiz geschuldet als einem stringenten politischen Ansatz
Thalheimers.
## Manchmal fühlte man sich wie bei Peymann
Der Start am Schiffbauerdamm bot: große Kostüme, Clownsmasken,
Theaterdonner – manchmal konnte man sich an Reeses Vorgänger Claus Peymann
erinnert fühlen. Auch die Inszenierung, die im Winter den Tiefpunkt der
Saison brachte, hantierte mit reinem Budenzauber, inklusive Waffelverkäufer
und Akrobaten im Zuschauerraum.
Ola Mafaalani wollte den Filmklassiker „Kinder des Olymp“ mit dessen
Entstehungsgeschichte 1943 konfrontieren – ließ dann aber die große Ilse
Ritter nur verklärt in romantischen Erinnerungen ihrer Rolle schwelgen. Die
Filmbilder hat Mafalaani dann bis in die Gesten der Figuren hineinkopiert.
Der zeitgeschichtliche Hintergrund, die große Liebesgeschichte? Verschenkt.
Das sah wohl Reese selbst so: Die Arbeit ist bereits aus dem Spielplan
verschwunden.
Vom neuen Autorentheater war wenig zu sehen. Die Stücke der Briten Duncan
Macmillan (eine sozialdidaktische Lehrstunde über Drogenentzug) und Dennis
Kelly (ein etwas simpler Feministinnenmonolog) konnten nicht überzeugen und
gingen zu Recht nur im Kleinen Haus über die Bühne. Dort präsentierte der
gefeierte Ersan Mondtag ebenfalls eine schwache Arbeit zum Thema Altern und
Sterben.
Neue Dramatik schaffte es nur ein einziges Mal auf die Große Bühne: David
Bösch inszenierte Tracy Letts’ „Eine Frau“ – ein Stück, das das beweg…
Leben einer Amerikanerin wie ein Fotoalbum aufblättert. Bösch setzt
kalkuliert auf Gefühl und Atmosphäre – und auf seine Schauspieler. Hier
durfte man sie alle bewundern: Bettina Hoppe, Corinna Kirchhoff, Martin
Rentzsch, Sascha Nathan. Kein Großereignis, aber ein schöner, berührender
Abend.
Man mag auch noch die Adaption von Benjamin von Stuckrad-Barres
Autobiografie „Panikherz“ und Barbara Bürks und Clemens Sienknechts
„Ballroom Schmitz“ zu den Uraufführungen zählen, beide missrieten
allerdings auf der Bühne zu ziemlich seichten Musicals. Stuckrad-Barres
eindrücklicher Abgesang auf die ironieverseuchte Medienkultur der
Harald-Schmidt-Ära reduzierte Regisseur Reese in seiner ersten BE-Arbeit
auf die Drogenexzesse von Koksnase „Stuckiman“.
Robert Borgmanns kunstangestrengte Inszenierung des Goetz-Stücks „Krieg“
polarisierte, Thomas Bo Nilssons immersive Eigenwelt im „Dekameron“
dümpelte (jedenfalls zur Premiere) flach vor sich hin – trotzdem gut, Goetz
und Nilsson wieder in Berlin zu wissen.
## Nicht alles harmonisch
Warum das von Moritz Rinke geleitete Autorenprogramm keine neuen Stoffe
hervorgebracht hatte, erfuhr man erst am Saisonende: Rinke verlässt
aufgrund „unterschiedlicher künstlerischer Auffassungen“ das Haus. Zwei
bereits erarbeitete Stücke stehen aber für 2019 an. Offenbar war Reeses
Faible für angelsächsische Plays letztlich doch nicht mit Rinkes
Dramenverständnis kompatibel. Auch in der Dramaturgie sucht man jetzt neues
Personal – es scheint, als sei nicht alles harmonisch verlaufen.
Zusätzlich gab’s Knatsch mit dem ehemaligen Hausherrn. Reese beschwerte
sich öffentlich, Peymann habe ihm eine „Bruchbude“ samt einer Million Euro
Schulden hinterlassen. Der konterte, Reese habe eben zu viele Kündigungen
ausgesprochen und über einen teuren Sozialplan ausgleichen müssen. Außerdem
produziere er Inszenierungen wie eine Fabrik. Peymann empfahl: „Suchen Sie
das Herz des BE!“ Eine Million Euro Schulden sind kein Pappenstiel. Doch
bei ordentlichen 83 Prozent Auslastung und deutlich teureren Karten als
unter Peymann wird Reese das Geld schon eintreiben.
Zurück zur Kunst. Ausgerechnet ein Stoff, der gar nicht so recht in Reeses
Programmatik passte, bescherte dem Haus noch einen späten Erfolg: Tennessee
Williams’ „Endstation Sehnsucht“ inszenierte Thalheimer als düsteres,
archaisches Ringen um sexuelle Begierde und Hörigkeit, die in jene
menschlichen Widersprüche vordringt, in die sich keine #Metoo-Debatte wagt.
Hier kam es endlich zur Geltung: das Ensemble der großen Stars. Mit welcher
Ambivalenz Cordelia Wege die affektierte, prüde Südstaatenschönheit spielt
– und sich gleichzeitig, ohne Rücksicht auf Verluste, nimmt, was sie
braucht, ist grandios. Stark auch Andreas Döhler, Sina Martens, Peter
Moltzen.
Aufs Ganze der Saison jedoch bleibt der Eindruck bestehen, dass das
Ensemble noch nicht wirklich zusammengefunden hat. Große Einzelleistungen –
ja; große Gesamtleistungen – weit weniger. 28 Stars machen eben noch kein
optimales Team.
Für die nächste Spielzeit kündigt Reese etliche Autoren-Regisseure an, die
ihre Stoffe auf den Proben entwickeln: Kay Voges wird inszenieren, Árpád
Schilling, Simon Stone, Karen Breece. Aber auch neue Stücke von Fritz
Kater, Marlene Streeruwitz, Tracy Letts stehen auf dem Programm. Vielleicht
wird sich das Berliner Ensemble damit Reeses Versprechen annähern, ein
„zeitgenössisches, politisch relevantes, spielfreudiges“ Theater zu
kreieren. Bisher, da muss man Peymann recht geben, hat Reese das Herz des
BE noch nicht zum Schlagen gebracht.
7 Jul 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Barbara Behrendt
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