# taz.de -- VW und Uiguren in China: Die Unerwünschten | |
> Volkswagen hat in Chinas Norden ein Werk eröffnet, Uiguren hofften auf | |
> Arbeit. Doch der Konzern stellt sie nicht ein. Steckt Erpressung | |
> dahinter? | |
Bild: Urumqi: Nach einem Anschlag auf eine Polizeiwache sind die Sicherheitskon… | |
URUMQI taz | Der Wüstensand unter Yussufs* Füßen gibt bei jedem Schritt | |
nach. Er leuchtet mit dem Handy in die endlose Dunkelheit der | |
Taklamakan-Wüste. „Als Jugendlicher bin ich hier nachts öfter allein | |
hingefahren. Einfach so“, hängt er seinen Erinnerungen nach. So wie er auch | |
jetzt nur den Besuchern den sternenübersäten Nachthimmel zeigen will. Dann | |
setzt er sich wieder ins Auto und fährt zurück Richtung Oasenstadt. | |
Plötzlich blenden ihn grelle Scheinwerfer, zwei Polizei-Vans und ein | |
Militärlaster bremsen vor ihm. Bewaffnete Soldaten springen heraus. „Alle | |
raus!“, brüllen sie. Nach einem Wortgefecht lassen sie Yussuf weiterfahren. | |
„Gott sei Dank hat mich einer erkannt, der mit meinem Bruder befreundet | |
ist“, sagt er aufatmend. Die Spannung weicht nur langsam von seinem | |
rundlichen Gesicht mit dem Schnurrbart. | |
In Yussufs Heimat Xinjiang gehören solche nächtlichen Militärkontrollen zur | |
Tagesordnung. Wer durch Chinas größte Provinz im äußersten Westen fährt, | |
passiert einen Checkpoint nach dem anderen. Dem 27-Jährigen machen sie | |
Angst – vor allem wenn ihn Ausländer begleiten. Als Uigure dürfte er sie | |
auch nicht im Lehmhaus seiner Eltern beherbergen. Als er sich am Freitag | |
mit der grünen „Doppa“ auf dem Kopf und Gebetsteppich unter dem Arm auf den | |
Weg zur Moschee macht, bittet er, dass man sich nicht mit ihm auf der | |
Straße zeigt. „Freitags ist immer besonders viel Polizei unterwegs.“ | |
Chinas Sicherheitsapparat läuft in Xinjiang auf Hochtouren. Angeblich saßen | |
Uiguren in dem Auto, das am 28. Oktober auf dem Platz des himmlischen | |
Friedens vor Maos Porträt in Flammen aufging. Laut Regierungsstellen hat | |
die Islamische Partei Turkestan (TIP) die Verantwortung für den Anschlag | |
übernommen. | |
## Ein Jahr ohne Internet | |
Seit Jahren kommt es in Yussufs Heimat zu blutigen Zusammenstößen zwischen | |
den Angehörigen der uigurischen Minderheit und den Han-Chinesen. Früher | |
einmal stellten die Uiguren die Mehrheit der Bevölkerung in Xinjiang, doch | |
die gezielte Ansiedlung von Han-Chinesen hat das Verhältnis mittlerweile | |
umgekehrt. Die Uiguren empfinden die Han als Besatzer. „Sie mögen uns | |
nicht, und wir mögen sie nicht. Xinjiang ist ein anderes Land, nicht | |
China“, sagt Yussuf. Wie viele Uiguren hat er kaum eine Chance, jemals | |
einen Reisepass zu bekommen. | |
Yussuf klingt eher besorgt als wütend. „Ich fürchte, dass unsere Situation | |
sich jetzt noch verschlimmert“, meint er. Xinjiang ist für Chinas Regierung | |
strategisch wichtig und reich an Rohstoffen. 2009 hat es schon einmal | |
heftige Unruhen mit vielen Toten in Urumqi gegeben. Das Internet in | |
Xinjiang war daraufhin ein ganzes Jahr abgeschaltet. Facebook und Twitter | |
sind seitdem in ganz China gesperrt. | |
Einer von Yussufs Brüdern arbeitet für die Lokalregierung und darf nicht in | |
die Moschee. Während des Ramadans muss er tagsüber essen, die Chefs achten | |
darauf. Ein anderer Bruder ist Imam, aber ein verdeckter. Er will nicht | |
permanent unter Beobachtung der Regierung stehen und sich seine Predigten | |
absegnen lassen. Also trägt er keinen Bart und backt hauptberuflich das | |
traditionelle Nan-Brot. „Meine Brüder haben unterschiedliche Wege gewählt. | |
Aber Konflikte gibt es deshalb nicht in meiner Familie“, sagt Yussuf. „Wir | |
sind froh, wenn jemand Arbeit hat.“ | |
## Yussuf und seine Brüder | |
Für ihn, den Jüngsten von sechs Geschwistern, ist die Jobsuche schwer, | |
obwohl er ein abgeschlossenes Maschinenbaustudium vorweisen kann. Als im | |
Frühjahr ein deutscher Manager den Campus der Xinjiang University besuchte, | |
schöpfte Yussuf deshalb kurz Hoffnung: Volkswagen eröffnet ein neues Werk | |
in Urumqi, hieß es – als erster Autohersteller überhaupt. Doch ein halbes | |
Jahr später sagt Yussuf ernüchtert: „Auch VW stellt keine Uiguren ein.“ | |
Dabei präsentiert sich der Wolfsburger Konzern als Pionier. Als die | |
damalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon vergangenen Herbst | |
das entstehende Werk in Urumqi besucht, schwärmte sie anschließend, dass VW | |
sich zu einer Beschäftigungsquote von 35 Prozent für ethnische Minderheiten | |
verpflichten wolle. | |
Auf die Quote hat Volkswagen dann verzichtet – einem VW-Insider zufolge, | |
weil der chinesische Joint-Venture-Partner Widerstand leistete. Und der ist | |
auch für die Personalauswahl zuständig. Übrig geblieben ist eine bloße | |
Absichtserklärung. | |
## Wurde VW erpresst? | |
Es ist unter Branchenkennern ein offenes Geheimnis, dass die chinesische | |
Zentralregierung den Wolfsburger Konzern erpresst hat. „VW wurde klar vor | |
die Wahl gestellt: Wollt ihr die Genehmigung für die anderen geplanten | |
Werke, ja oder nein?“, urteilt Jochen Siebert von der Branchenberatung JSC | |
Automotives in Schanghai. „Wenn ja, dann baut auch eines in Urumqi.“ | |
Für Yussuf reichte schon eine kleine Bemerkung, um zu wissen, dass VW kein | |
Interesse an ihm hat. Sie stammt von der chinesischen Kollegin des | |
deutschen Werksleiters. „Sie sagte auf Chinesisch am Ende der Versammlung, | |
sie bräuchten uns Uiguren nicht. Das wurde dann nicht ins Englische | |
übersetzt“, erinnert sich Yussuf. Dem Deutschen ist der Satz also womöglich | |
entgangen. Yussufs Kommilitonin Fatima* gibt den genauen Wortlaut so | |
wieder: „Die Entscheidung ist in unseren Händen. Wir sind nicht sicher, | |
dass wir euch brauchen. Mit ’uns‘ meint sie die Han. ’Euch‘, das sind w… | |
Minderheiten“, sagt die junge Ingenieurin aus der Ölstadt Karamay. | |
Möglich, dass die uigurischen Studenten einen harmlosen Satz missverstanden | |
haben. Fatima schließt jedoch aus dem Verlauf der Bewerbungen, dass Uiguren | |
bei VW keine Chance haben. Schon im Winter reichte die Maschinenbauerin auf | |
einer Jobmesse der Uni bei VW-Vertretern ihren Lebenslauf ein. „Sie sagten, | |
man müsse perfekt Chinesisch sprechen und gutes Englisch. Das trifft auf | |
mich zu“, sagt Fatima auf Englisch. „Ich hatte Selbstvertrauen.“ | |
Von VW hört sie nie wieder. Auch nicht, nachdem sie ihren Lebenslauf nach | |
dem Managerbesuch ein zweites Mal einreicht. „Wir haben uns alle beworben. | |
Aber nur Han-Chinesen haben Interviews bekommen.“ | |
## Das Kopftuch als Protestnote | |
Bis auf wenige Straßen, in denen die Kadaver geschlachteter Schafe hängen | |
und Männer mit grünen Kappen Brot backen, ähnelt die Hauptstadt Urumqi | |
jeder beliebigen chinesischen Großstadt. Wer auf dem Highway 1.300 | |
Kilometer durch die Taklamakan-Wüste nach Südwesten bis Hotan fährt, | |
erreicht hingegen die traditionellste Ecke von Xinjiang. Auf den staubigen, | |
von Pappeln gesäumten Straßen tragen viele Frauen Kopftuch oder sind tief | |
verschleiert. Manche haben vor einigen Jahren damit angefangen – aus | |
Protest gegen die religiösen Einschränkungen und polizeiliche Überwachung. | |
Die Staatsmacht nimmt diese subversiven Gesten nicht einfach hin. In der | |
alten Handelsstadt Kashgar sitzen am Rande einer Baustelle zwei Uigurinnen | |
an einem Pult. „Wir leisten hier Ideologiearbeit“, geben sie freundlich | |
Auskunft. Sie sollen andere davon überzeugen, den Schleier abzulegen. „Sie | |
bekommen so die Chance auf einen Job in der Regierung“, sagt eine der | |
Beraterinnen. Sie selbst tragen das Haar offen und wurden vom Militär in | |
Südchina trainiert. Die Damen geben zu, dass ihre Ideologiearbeit bei den | |
Bewohnern wenig populär ist. „Den Vollverschleierten reißen Polizisten | |
manchmal das Tuch vom Kopf. Dann wird der Ehemann wütend und ersticht den | |
Polizisten“, bemerkt Yussuf mit ruhiger Stimme. Er sagt es, als sei das | |
etwas völlig Alltägliches. | |
Bemerkenswert findet Yussuf eher, wie die Lokalregierung mit den neu | |
zugezogenen Han umgeht. Sein Bruder hat ihm von einer | |
Mitarbeiterversammlung erzählt. „Es hieß, sie dürften den Han keinerlei | |
Fragen zu ihrem Studium oder ihrer Uni stellen“, sagt Yussuf. Er schließt | |
daraus, dass es mit ihrer Bildung nicht so weit her sein kann. Die | |
Han-Chinesen, die die Anreize der Regierung in Anspruch nehmen und nach | |
Xinjiang ziehen, gehören eher zu den Verlierern der Gesellschaft. | |
## Angeblich mehr Schulungsbedarf | |
Yussuf hoffte, mit seinem Ingenieursstudium einmal zu den Gewinnern zu | |
gehören. Bisher hat er vergebens auf Rückmeldung gewartet. VW verkündete im | |
August in deutschen Medien, dass die Angehörigen der ethnischen | |
Minderheiten noch geschult werden müssten. In der Aus- und Weiterbildung | |
liege ihr Anteil schon bei etwa 30 Prozent. Über die Zahl der uigurischen | |
Mitarbeiter schweigt sich der Autobauer auch auf ausdrückliche Nachfrage | |
aus. | |
Warum ausgerechnet die Uiguren mehr Schulungsbedarf haben sollen, versteht | |
Yussuf nicht. Er hat die gleichen Prüfungen absolviert wie seine | |
Han-Kommilitonen. Neben seiner Muttersprache Uigurisch spricht er fließend | |
Mandarin. Nur Englisch lernt er erst seit der Uni. | |
Mangels Alternativen hat er nun die staatliche Prüfung für eine | |
Beamtenlaufbahn absolviert – und mit Bestnote abgeschnitten. Er liebt Autos | |
und würde gerne als Maschinenbauer arbeiten. Nun wird er wohl Lehrer in | |
seiner alten Heimat und damit Teil des Systems. Er kehrt dann wieder in die | |
Familie zurück. Aber in die Moschee wird er nicht mehr gehen dürfen. | |
* Namen geändert | |
7 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Ruth Fend | |
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