# taz.de -- Arbeitskampf trotz Berlinale: Warnstreik für mehr Lohn | |
> Während das Filmfestival am Donnerstag beginnt, wird es in den | |
> Lichtspielhäusern der Yorck-Kinogruppe Warnstreiks von Angestellten | |
> geben. | |
Bild: Alles schön hier? Saal 6 im Kino Delphi Lux, das zur Yorck-Kinogruppe ge… | |
BERLIN taz | Die [1][Berlinale] wird ab Donnerstag die halbe Stadt | |
verzücken – und nach dem Corona-Elend soll das Filmfestival auch die | |
hiesigen Kinos wieder verstärkt in den Fokus rücken. Doch nun wird es | |
tatsächlich zu den bereits angedrohten Szenarien kommen, die Christian | |
Bräuer, Geschäftsführer der [2][Yorck-Kinogruppe], lieber vermieden hätte. | |
Denn in den York-Kinos, von denen gleich mehrere den prestigeträchtige | |
Titel „Berlinale-Kino“ tragen, wird es nach den Protesten Ende letzten | |
Jahres erneut Warnstreiks von Angestellten geben. Das hat die Gewerkschaft | |
Verdi angekündigt. | |
In dem Tarifstreit, der seit August letzten Jahres köchelt, habe man sich | |
auch nach nunmehr fünf Gesprächsrunden nicht einigen können, teilte Verdi | |
mit. Die Beschäftigten, die in den 14 zur Yorck-Gruppe gehörenden | |
Programmkinos im Service oder an der Kasse arbeiten, erhalten aktuell etwas | |
mehr als den Mindestlohn, der nach längerer Betriebsangehörigkeit auch um | |
ein paar Cent höher ausfallen kann. Die Gewerkschaft hätte gerne einen um | |
einen Euro höheren Einstiegslohn, der zudem bei der Tätigkeit in einem | |
Kino, das über mehrere Säle verfügt und damit als anspruchsvoller angesehen | |
wird, noch etwas angehoben werden soll. | |
Die Yorck-Kinogruppe lehnt eine solche Staffelung ganz ab und nennt als | |
letztes Angebot nach den Verhandlungen: 25 Cent mehr Stundenlohn, aber erst | |
ab Oktober dieses Jahres und mit einer Mindestlaufzeit von mehr als zwei | |
Jahren. Bis Ende 2024 dürfte dann also niemand noch ein paar Cent mehr | |
fordern, egal, wie sich die Inflation in diesem Zeitraum weiterentwickelt. | |
Die Positionen beider Seiten, so lässt sich das mickrige Ergebnis der | |
bisherigen Verhandlungen deuten, haben sich verhärtet, eine Lösung des | |
Konflikts ist nicht in Sicht. Bräuer argumentiert: Mehr als etwas über dem | |
Mindestlohn würde man in keinem Berliner Kino an der Kasse oder im Service | |
verdienen. | |
## Forderungen zur Unzeit | |
Außerdem würde die Yorck-Kinogruppe jetzt schon mehr zahlen als die | |
Multiplex-Ketten, die nach Corona jedoch wirtschaftlich besser dastünden | |
als die Arthouse-Kinos. Zudem sei man als Kinobetreiber derzeit generell in | |
einer schwierigen Lage, da kämen die Forderungen nach Lohnerhöhungen zur | |
Unzeit. Man leide daran, dass die Auslastungen in den Kinos nach der | |
Pandemie immer noch unter denen aus dem Jahr 2019 lägen. Und ob sich das | |
bald wieder ändern werde, sei ungewiss. Dazu kämen nun auch noch die | |
spürbar gestiegenen Energiekosten. Mit letzterem Argument wiederum | |
untermauern natürlich auch die Beschäftigten der Yorck-Kinogruppe ihre | |
Forderungen. Angesichts der allgemeinen Teuerungen käme man mit dem | |
aktuellen Stundenlohn kaum noch über die Runden. | |
Bräuers grundsätzliches Argument für seine Absage an spürbare | |
Lohnerhöhungen ist, dass die ganze Arthouse-Kinobranche gerade aufgrund der | |
wirtschaftlich nicht eben rosigen Situation bedroht sei, geradezu | |
existenziell. Würde er nun die Lohnkosten erhöhen, könnte das die gesamte | |
Yorck-Kinogruppe in eine ökonomisch prekäre Schieflage bringen. Ob das | |
stimmt, ist von außen schwer zu beurteilen. Immerhin ist die Yorck-Kette | |
ein großer Player auf dem Berliner Kinomarkt, dem renommierte und | |
traditionell gut laufende Kinos wie das International, das Filmtheater am | |
Friedrichshain und der Delphi Filmpalast gehören. | |
Hört man sich bei anderen Programmkinos um, bekommt man freilich bestätigt, | |
dass die Situation derzeit schwierig ist. Verena von Stackelberg, | |
Betreiberin des [3][Programmkinos Wolf] in Neukölln, sagt: „Man muss gerade | |
verdammt vorsichtig sein und ich mache wir wirklich große Sorgen, wie es | |
weitergehen soll.“ Mehr als den Mindestlohn bekäme bei ihr niemand im | |
Service und an der Kasse, weil einfach auch nicht mehr drin sei. Anders als | |
Bräuer sagt sie jedoch: „Das Kino läuft gerade wirklich gut, das Publikum | |
ist wieder da.“ Und sie fügt hinzu: „Weil wegen der Inflation auch für uns | |
alles so teuer geworden ist, stehen wir viel schlechter da als 2019.“ | |
Zum Thema Tarifstreit bei der Yorck-Kinogruppe äußert sich die Betreiberin | |
des Kinos Wolf so: „Ich verstehe auch die schwierige Situation der | |
Arbeitnehmer. Aber wenn man als Geschäftsführer nicht aufpasst, sind ganz | |
schnell die Kinos geschlossen und dann hat niemand mehr einen Job.“ | |
## Mindest- ist auch der Einheitslohn | |
Christian Suhren, Mitbetreiber des Kreuzberger [4][Arthouse-Kinos FSK], | |
sagt, sein Haus könne man nicht mit den Strukturen der Yorck-Kinogruppe | |
vergleichen, bei der es beispielsweise Monats- und Jahresabos gebe und eine | |
ganze andere Kundenbindung als bei ihm. Angesichts dessen sei es „bestimmt | |
legitim, wenn die Angestellten etwas mehr Lohn bekommen wollen“. In seinem | |
Kino sei aber die Bezahlung des Mindestlohns „schon eine Herausforderung“. | |
Wenigstens bekäme bei ihm aber niemand mehr als diesen, auch er selbst und | |
seine beiden Kino-Mitbetreiber nicht. Beim FSK sei demnach der Mindest- | |
auch der Einheitslohn für alle. | |
Reich wird man im Arthouse-Kino also ganz offensichtlich nicht einmal als | |
Betreiber. Und wer als Angestellter lieber an der Kinokasse Popcorn | |
verkauft als im Supermarkt Regale einräumt, sollte vielleicht den Satz von | |
Verena von Stackelberg bedenken: „Man muss wissen, wenn man in einem | |
Kulturbetrieb arbeitet, dass es da finanzielle Grenzen gibt.“ | |
Aber wenn man sich mit Salome K. unterhält, die für die Yorck-Kinogruppe 60 | |
Stunden im Monat im Filmtheater am Friedrichshain arbeitet, bekommt man | |
nicht den Eindruck, dass sie das nicht wüsste. Ganz im Gegenteil. Die | |
Studentin, die sagt, sie sei finanziell abhängig von ihrer Arbeit im Kino, | |
kann sehr reflektiert ihre eigene Situation mit der ihres Arbeitgebers in | |
Bezug setzen. Man spricht mit jemandem, der filminteressiert ist und | |
deswegen ganz bewusst im Kino arbeitet, und das eigentlich auch gerne. | |
Und K. sagt, bei den meisten der Kolleg:innen sei das genauso: „Wir | |
haben einen Sinn für das Ganze, aber auch wir müssen schauen, wo wir | |
bleiben.“ Eine Sache, die K. selbst betrifft, ist ihr in dem Konflikt | |
besonders wichtig. Nicht nur für einen etwas höheren Stundenlohn würden sie | |
und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen kämpfen, sondern auch für die | |
Entfristung vieler Arbeitsverträge. | |
Gemäß den Vereinbarungen mit der Gewerkschaft, so Jörg Reichel von Verdi, | |
seien 10 Prozent befristete Arbeitsverträge erlaubt, bei der | |
Yorck-Kinogruppe aber käme man auf eine Quote von 40 Prozent. „Das erzeugt | |
eine massive Unsicherheit, viele der befristet Angestellten sind bei dem | |
aktuellen Arbeitskampf eingeschüchtert“, sagt K. Für sie gelte das aber | |
nicht. Deswegen äußert sie sich öffentlich mit Namen und wird bei den nun | |
kommenden Warnstreiks wieder mit dabei sein. Auch wenn sie befürchten muss, | |
dass bereits kurz nach der Berlinale ihr auslaufender Arbeitsvertrag | |
einfach nicht verlängert wird. | |
16 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlinale.de/de/home.html | |
[2] https://www.yorck.de/ | |
[3] https://wolfberlin.org/de | |
[4] https://www.kinokompendium.de/fsk_am_oranienplatz_kino_berlin.htm | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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