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# taz.de -- Arabischer Aufstand 1936: Boykott und Brutalität
> Oren Kessler hat ein Buch über den Aufstand in Palästina im Jahr 1936
> geschrieben. Er entdeckt darin eine übersehene Wurzel des
> Nahostkonflikts.
Bild: Eine Gruppe arabischer Gefangener wird 1938 in der Altstadt von Jerusalem…
Wie sie mit ihren Beiträgen auf Social Media ungewollt dokumentieren, haben
viele Leute wenig Ahnung von der Geschichte jenes schmalen Fleckens am
östlichen Mittelmeer – wissen aber genau, wer am dortigen Elend schuld ist
und wann es angefangen hat: [1][1948].
Den Journalisten Oren Kessler, der in Tel Aviv lebt, hat dieser Umstand
möglicherweise dazu animiert, in seinem eben erschienenen Buch „Palästina
1936. Der Große Aufstand und die Wurzeln des Nahostkonflikts“ vor allem die
Quellen sprechen zu lassen und sich mit Interpretationen des Geschehens
zurückzuhalten. Angesichts der allgegenwärtigen Emotionalisierung eine
kluge Entscheidung.
Der im Jahr 1982 geborene Kessler hat ein vorsichtiges, gut lesbares Buch
geschrieben über ein historisches Kapitel, das wenig beachtet und in der
arabischen Welt verdrängt wurde. Er zitiert den Historiker Mustafa Kabha,
der glaubt, sich auf arabischer Seite mit der Zeit 1936 bis 1939
auseinanderzusetzen, würde „ein viel stärkeres In-sich-Gehen“ erfordern a…
die Erinnerung an die „Nakba“, die Katastrophe von 1948.
Der Aufstand, der 1936 begann, sei „für Israelis und Palästinenser bis
heute nicht vorbei“, meint Kessler. Er hält die drei Jahre währende erste
große arabische Revolte im britischen Mandatsgebiet für die Schablone, der
seitdem alle „jüdisch-arabischen Zusammenstöße“ folgen. Nach der Lektüre
seines Buchs kann man dem kaum widersprechen.
## Der Aufstand ruinierte die arabische Gesellschaft
Der Aufstand, der die zionistische Bewegung ausschalten sollte, scheiterte
und hat „stattdessen die Araber selbst zerschlagen“, wie Kessler schreibt.
Ein sechs Monate dauernder Generalstreik ruinierte die arabische Wirtschaft
in [2][Palästina] und beschleunigte die Unabhängigkeit der jüdischen. Die
jüdische Gemeinschaft konnte bereits damals die demografische, geografische
und politische Basis ihres künftigen Staates konsolidieren.
Zwar brachte der Aufstand unter der arabischen Bevölkerung erstmals eine
starke palästinensische Identität hervor. Es zeigt sich in dessen Verlauf
aber auch ein inzwischen bekanntes Muster palästinensischer Politik.
Bewaffnete Gruppen folgten nicht einem zentralen Befehl, sondern ihrer
eigenen Agenda; die radikale, kompromisslose und antisemitisch geprägte
Politik des Anführers des Aufstands, des Großmuftis von Jerusalem, Mohammed
Amin al-Husseini, brachte den Palästinensern am Ende gar nichts.
Seine Boykottpolitik gegenüber jedem politischen Lösungsvorschlag, der
nicht auf arabische Dominanz hinauslief, war rigoros. Kompromissbereite
arabische Stimmen ließ er ermorden. Das soziale Gefüge der Araber wurde
zerschlagen, der Aufstand trieb die erste Welle von arabischen Flüchtlingen
aus dem Land. „Britische Truppen erledigten den Rest, indem sie den
Aufstand in einer Art und Weise bekämpften, die Tausende von Todesopfern
und Zehntausende an Verwundeten forderte“, schreibt Kessler.
## Die Fehler der Briten
„Palästina 1936“ schreitet chronologisch voran und blickt hinter die
Kulissen der palästinensischen und der jüdischen Nationalbewegung sowie der
britischen Mandatsmacht. Kessler hat sich dafür einige Protagonisten
ausgesucht, darunter die zentralen Figuren des Zionismus jener Zeit wie
Chaim Weizmann und David Ben-Gurion.
Auf britischer Seite treten unter anderem zwei Hochkommissare für
Palästina, zwei Kolonialminister und die Nichte von Arthur Balfour, „Baffy“
Dugdale, auf. Stellvertretend für die palästinensischen Araber stehen die
Figur des Großmufti, der als moderat geltende Musa Alami sowie der
Intellektuelle George Antonius, Autor von „The Arab Awakening“.
Mit fortschreitender Lektüre wird deutlich, dass die sich gegenseitig
ausschließenden politischen Ziele der Kontrahenten zu einem nur schwer
lösbaren Konflikt führen mussten, der durch das Lavieren und eklatante
Fehlentscheidungen der Briten wie die Einsetzung des Eiferers al-Husseini
zum Repräsentanten der Araber im Land noch fatalere Folgen haben würde.
## Pogrome gingen dem Aufstand voraus
Die Einwanderung von Juden nach Palästina hatte bereits 1920, 1921 und 1929
antijüdische Pogrome provoziert. Die arabische Oberschicht agitierte zwar
gern gegen jüdische Einwanderung, profitierte aber zugleich davon, indem
sie Juden Land verkaufte.
An einem Schabbat im August 1929, dem Krawalle vorausgegangen waren,
„spielten sich Gräueltaten ab, wie Palästina sie bislang nicht gesehen
hatte“, schreibt Kessler. An einem einzigen Tag wurden 67 Menschen getötet
und mehr als fünfzig verwundet. Inmitten der Grausamkeit habe es aber auch
„Fälle von Heldenmut“ gegeben: „Insgesamt öffneten zwei Dutzend Araber …
Häuser und retteten so mindestens 250 Juden.“
Ben-Gurion hatte den Juden im Land stets „Havlagah“, Zurückhaltung,
verordnet. Wenn sich die Juden besonnen zeigten, würden die Briten sie
eines Tages zur Selbstverteidigung ermächtigen. Die Rechnung ging auf.
Radikalen Anhängern von Zeev Jabotinskys revisionistischem Zionismus
genügte das nicht. Sie griffen nun selbst zum Mittel des Terrors und ließen
Bomben, etwa auf dem Gemüsemarkt von Haifa, explodieren. Eine 65 Pfund
schwere Landmine tötete mindestens 53 Araber und verwundete beinahe ebenso
viele.
## Ben-Gurion verstand die Motive
Ben-Gurion analysierte den Aufstand kühl. Im Zentrum der Revolte stehe die
Frage der Einwanderung. Er äußerte daher Verständnis: „Es ist
unvorstellbar, dass sich ein Volk dazu entschließen würde, eine Minderheit
zu werden.“ Das hebräische Wort „am“ für Volk hatte er dabei laut Kessl…
mit Bedacht genutzt.
Im Geiste der „Balfour-Deklaration“ von 1917, die den Juden eine „nationa…
Heimstatt“ versprochen hatte, hieß das britische Mandatsgebiet offiziell
„Palästina/Eretz Israel“: auf Stempeln und Briefmarken waren hinter
„Filastin“ die hebräischen Buchstaben Alef und Jud zu lesen, für „Eretz
Israel“.
Bereits das empfanden die meisten Araber als Verrat. Sie beriefen sich auf
einen Briefwechsel zwischen dem britischen Hochkommissar für Ägypten, Henry
McMahon, und Hussein, dem Scherif der haschemitischen Dynastie zu Beginn
des Ersten Weltkriegs. Die Krone werde die arabische Unabhängigkeit
anerkennen, mit Ausnahme von Teilen Syriens westlich der Distrikte
Damaskus, Homs, Hama und Aleppo, die nicht ausschließlich von Arabern
bewohnt würden, hieß es darin. Die Briten behaupteten, damit sei auch
Palästina gemeint gewesen.
## Eine „unrühmliche Persönlichkeit“
Der Aufstand von 1936 schreckte die Briten auf, die Peel-Kommission wurde
einberufen. Zwar hatten die Briten die Quote für jüdische Einwanderer schon
drastisch gesenkt, was die Zionisten erboste, weil das Leben für Juden in
Europa immer gefährlicher wurde und niemand sie aufnehmen wollte, doch
einmal mehr boykottierte der Großmufti den Versuch, eine Lösung zu finden.
Die Peel-Kommission schlug erstmals einen Teilungsplan für das Land vor.
Ihn hießen Emir Abdullah von Transjordanien und einige Palästinenser gut –
bis der Großmufti sie als Verräter brandmarkte.
Al-Husseini hatte bereits 1933 Kontakt mit den neuen deutschen Machthabern
aufgenommen. 1941 floh er nach Berlin, wo er von Hitler empfangen wurde und
Heinrich Himmler kennenlernte. [3][Über den Sender Zeesen verbreitete
al-Husseini eine Mischung aus NS-Rassenantisemitismus, arabischem
Nationalismus und islamistischer Propaganda in der arabischen und
muslimischen Welt.]
Kessler widmet sich der Ideologie al-Husseinis nur am Rand, macht aber
mittels eines Zitats des libanesischen Gelehrten Gilbert Achcar deutlich,
dass al-Husseini auch nach dem Krieg eine unheilvolle Rolle spielte: „Durch
die zahlreichen Niederlagen unter Husseinis verhängnisvoller Führung hätten
die Palästinenser nach 1945 die Katastrophe der Nakba nur verhindern
können, wenn sie den politischen Einfluss dieser unrühmlichen
Persönlichkeit ein für alle Mal gebrochen hätten. Dieser Weg wurde nicht
eingeschlagen.“
Nach dem Krieg besorgte al-Husseini Nazis neue Jobs in arabischen Regimen,
brachte eine neue arabische Übersetzung von Hitlers „Mein Kampf“ auf den
Weg und ließ sich als Vorkämpfer der Dekolonisierung feiern.
28 Mar 2025
## LINKS
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[3] /!5418753
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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