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# taz.de -- Der Antisemit braucht keine Juden
> MedienAm Mittwoch wird das Erste die Dokumentation „Auserwählt und
> ausgegrenzt – Der Hass auf die Juden in Europa“ zeigen. Der Film hat
> Mängel, stellt aber das Wesentliche richtig dar: Antisemitismus in
> Gestalt von Antizionismus und Verschwörungstheorie
Bild: Mohammed Amin al-Husseini trifft Soldaten der islamischen Freiwilligenleg…
von Ulrich Gutmair
Das Erste wird am Mittwochabend die TV-Dokumentation „Auserwählt und
ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ zeigen. Anschließend soll die
Gesprächsrunde bei Sandra Maischberger darüber diskutieren. „Dabei werden
auch die vom WDR beanstandeten handwerklichen Mängel der Dokumentation
berücksichtigt“, hieß es bei der ARD.
Die von Arte und WDR bestellte und dann nicht gesendete Dokumentation
„Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf die Juden in Europa“ hat in d…
Tat Mängel. Die Filmemacher beschäftigen sich mit zu vielen Themen,
verlassen sich zu stark auf ihre Interviewpartner und bleiben an manchen
Stellen an der Oberfläche. Sie lassen auf israelischer Seite keine
Historiker und Experten zu Wort kommen, sondern Leute, die mal mehr, mal
weniger fundiert ihre Meinung zum Nahostkonflikt formulieren und dabei auch
widerlegte historische Mythen wiederholen.
Auch hätten die Autoren Sophie Hafner und Joachim Schroeder auf Polemik
verzichten und stattdessen so nüchtern und präzise wie möglich beschreiben,
zitieren und argumentieren sollen.
Dennoch haben die Filmemacher den Kern der Sache korrekt dargestellt: Sie
zeigen, dass der Antisemitismus ein Weltbild bereitstellt, das Menschen aus
sehr unterschiedlichen Gruppen miteinander verbindet. Sie zeigen, dass es
sich dabei um einen Antisemitismus handelt, dessen Narrative oft einem
spezifisch islamistischen Antisemitismus entstammen. Sie zeigen, dass
dieser Antisemitismus eine krude Mischung aus uralten antijüdischen
Stereotypen, antiliberalen und antiemanzipatorischen Ressentiments und
Verschwörungstheorien ist, die häufig im Rahmen eines militanten
Antizionismus formuliert und vom dünnen Mäntelchen der „Israelkritik“
kaschiert werden.
## Der vergiftete Brunnen
Der Antisemit braucht keine Juden. Und auch die neuen antisemitischen
Antizionisten in Europa werden sich durch Kenntnisse der realen
Verhältnisse in Nahost nicht bei der Pflege ihrer Projektionen stören
lassen. Antisemitismus ist die Verdinglichung des Abstrakten in der Figur
des Juden, der die Welt kontrolliert.
Antisemitismus ist daher kein bloßer Rassismus, und er ist selbst in
Kontexten anschlussfähig, die sich selbst als antirassistisch definieren.
Der Antisemitismus schafft einen Rahmen, mit dessen Hilfe eine komplexe
Welt verständlich gemacht werden kann.
Der Film beginnt mit dieser Szene aus dem vergangenen Sommer: Der
Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, wird von
den Mitgliedern des Europäischen Parlaments mit Beifall bedacht, obwohl er
zuvor die uralte Mär von der Brunnenvergiftung zum Besten gegeben hat.
Gerade letzte Woche, erzählte Abbas, hätten israelische Rabbiner wieder
einmal gefordert, das Wasser der Palästinenser zu vergiften: „Ist das nicht
Anstiftung zum Massenmord?“ Dass das niemand gestört zu haben scheint,
Martin Schulz sich stattdessen twitternd für die „inspirierende Rede“
bedankte, ist verstörend. Der entscheidende Punkt ist ein anderer. Denn
Abbas behauptete auch, wenn die Besatzung ende, dann ende der Terror in der
ganzen Welt.
Damit hat er das zentrale Phantasma eines Antizionismus formuliert, der im
Kern antisemitisch ist: Wenn die Israelis erst aus den palästinensischen
Gebieten verschwinden, werde Friede auf Erden herrschen. Abbas gibt dies in
einem historischen Moment von sich, als der syrische Diktator Assad bereits
für den Tod von weit mehr Arabern verantwortlich ist als alle
Kolonialmächte und Israel zusammen, wie der amerikanische
Politikwissenschaftler Moishe Postone im Film sagt.
Warum bleibt Abbas’ Behauptung unwidersprochen? Weil sie eine Hypothese
zuspitzt, die vielen Reportagen und Features über den Nahostkonflikt seit
dem Sechstagekrieg von 1967 zugrunde liegt. Wir kennen diese
disproportionale Denkfigur so gut, dass sie uns in Fleisch und Blut
übergegangen ist: Der Nahostkonflikt ist einer der zentralen Konflikte der
Gegenwart. Israel ist Täter, die Palästinenser sind Opfer. Wäre der
Konflikt gelöst, wäre die Welt ein gerechterer Ort. Eben das macht diese
Dokumentation in Wahrheit so „heikel“ (FAZ).
Der oben skizzierte Antisemitismus ist eine Reaktion auf die Moderne. Seine
Popularität verdankt er auch den über den NS-Kurzwellensender Radio Zeesen
seit 1941 auf Arabisch, Farsi, Türkisch und Hindi ausgestrahlten
antisemitischen Propagandaprogrammen. Diese richteten sich gezielt an
Muslime. Der Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, der von 1941 bis 1945
von Berlin aus die muslimisch-bosnischen SS-Divisionen befehligte, war für
diese Programme mitverantwortlich.
Sie fügten dem antimodernen Antisemitismus eine europäische,
nationalsozialistische Komponente hinzu, die sich als höchst erfolgreich
erweisen sollte, wie der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel gezeigt
hat: Die Muslime hatten die Juden traditionell nur als minderwertig und
deswegen eher als bemitleidens- denn hassenswert betrachtet. Nun aber
wurden sie als extrem mächtige Feinde des Islam, als Verkörperung der
Moderne inszeniert. Die Bilder und Narrative dieses Antisemitismus sind ein
Bumerang, der nach Europa zurückgekehrt ist. Die Filmemacher zeigen etwa
eine große Auswahl von Musikvideos aus Deutschland und Frankreich, die sich
in Hasspropaganda und Vernichtungsfantasien gegenüber Israel und Juden
ergehen.
## Der zwölfte Imam
Die antisemitische Ideologie der Nazis wurde auch von den Muslimbrüdern
rezipiert, sie hat die Politik der PLO genauso wie Ajatollah Chomeinis
islamische Revolution beeinflusst. In der politischen Theologie des
iranischen Gottesstaats hat der Hass auf die Juden auch eine
messianische Dimension: Wenn der zwölfte Imam erscheint, wird Israel
vernichtet werden.
Einen entscheidenden Punkt in diesem Zusammenhang erwähnen die Filmemacher
leider nicht: Dieser Antisemitismus gehört zum ideologischen Kernbestand
von Regimen im Mittleren Osten, denen an der Verstetigung des
Nahostkonflikts gelegen ist, weil er als zentrales Motiv einer Propaganda
dient, die von eigener Misswirtschaft, von Korruption, Terror und
Menschenrechtsverletzungen ablenken soll.
Der Film widmet sich dem Umstand, dass sich eine ganze Armada von NGOs in
den palästinensischen Gebieten und Israel betätigt. Diese leisten zum Teil
notwendige Arbeit, manche verfolgen aber eine Politik, die kontraproduktiv,
wenn nicht ethisch fragwürdig ist, etwa wenn sie die internationale
Boykottbewegung unterstützt.
Wenn man nach Gaza reist, sollte man fairerweise auch den anderen Teil der
Geschichte erwähnen: Natürlich gibt es auch in Israel Interessen, die es
wünschenswert erscheinen lassen, dass alles so bleibt, wie es ist. Darauf
hinzuweisen, haben die Autoren leider verzichtet. Sie hätten zumindest
erklären müssen: Es gibt nicht nur Gaza, sondern auch das Westjordanland.
Es gibt gute Gründe, ein Ende der israelischen Besatzung zu fordern. Das
Phänomen des Antisemitismus aber wird nicht mit der Besatzung verschwinden,
weil es mit ihr ursächlich nichts zu tun hat.
Teile der Aufnahmen aus Gaza-Stadt sind erhellend. Die Filmemacher
berichten von Menschen, die ihnen erklären, die Europäer sollten ihre
Zahlungen an das Hamas-Regime einstellen, bis es zusammenbreche. Das ist
eine Forderung, die den Stereotypen widerspricht, die nicht nur die
selbsternannten Freunde der Palästinenser in Europa – seien sie
friedensbewegte Protestanten, BDS-Aktivisten, Verschwörungstheoretiker,
Pegidisten, Antiimperialisten oder rappende Hassprediger – aufrufen, wenn
sie das Bild vom „Freiluftgefängnis Gaza“ oder gar vom „Ghetto Gaza“
zeichnen.
Der Antisemitismus richtet sich gegen die liberale, moderne Gesellschaft
als solche. Hafner und Schroeder stellen in ihrem Film in Bezug auf einige
der großen Anschläge in Frankreich, etwa auf den koscheren Supermarkt und
das Bataclan in Paris eine wichtige Frage: „Warum tut sich die
gesellschaftliche Mehrheit so schwer, antisemitischen Terror auch so zu
benennen?“
Gegen Ende der Doku lassen die Filmemacher François Pupponi, den
sozialistischen Bürgermeister von Sarcelles an der Pariser Peripherie, zu
Wort kommen. In seiner Kommune leben traditionell Christen, Muslime und
Juden zusammen, über viele Jahrzehnte ohne größere Probleme. Doch wegen
massiver Anfeindungen verlassen nun immer mehr Juden den Ort in Richtung
Israel. Pupponi sagt: „Die französischen Juden glauben, dass sie in
Frankreich keine Zukunft haben. Ich bitte sie, zu bleiben, weil wenn sie
gehen, ist Frankreich tot. Wenn ein Jude seinen Glauben hier nicht mehr
leben kann, dann gibt es unsere säkulare Republik, unsere Idee von
Religionsfreiheit nicht mehr.“
19 Jun 2017
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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