# taz.de -- Urteil zu Übergriff an Hamburger Uni: Für Körperverletzung verur… | |
> Fast ein Jahr ist der Vorfall bei einer Antisemitismus-Vorlesung an der | |
> Uni Hamburg her. Nun wurde eine Frau zu zehn Monaten auf Bewährung | |
> verurteilt. | |
Bild: Anlass zur Auseinandersetzung: pro-palästinensischer Protest vor der Uni… | |
Hamburg taz | Im Prozess zu einem [1][gewaltsamen Übergriff nach einer | |
Antisemitismus-Vorlesung an der Uni Hamburg] ist eine junge Frau zu einer | |
zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung | |
ausgesetzt wird. Das Gericht sprach die 27-jährige Ayan M. wegen | |
Körperverletzung, Beleidigung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die | |
Staatsgewalt schuldig. Außerdem muss die Angeklagte 1.500 Euro an die | |
Geschädigte und weitere Summen an Nebenkläger zahlen. | |
Ayan M. war angeklagt worden, weil sie nach einer Ringvorlesung Elisabeth | |
S., ein Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in | |
Hamburg, geschlagen und beleidigt hatte. Die Angeklagte musste sich | |
außerdem wegen eines weiteren Vorfalls wenige Monate später verantworten, | |
bei dem sie als Teilnehmerin des Protestcamps „Finger weg von Rafah“ eine | |
Polizeibeamtin mit der Faust geschlagen und einen weiteren Beamten | |
angespuckt hatte. | |
Die Stimmung ist angespannt an diesem Montagmorgen. Es geht für das | |
Publikum weniger um Ayan M.s Taten, als vielmehr um eine politische | |
Botschaft: Zwei Drittel der Anwesenden im Publikum tragen Kufiyas. Einige | |
verdecken ihre Augen mit Sonnenbrillen. Die restlichen Zuschauer tragen | |
gelbe Anstecknadeln in Schleifenform, ein Zeichen der Solidarität mit den | |
Geiseln in Gaza. | |
Auch Ayan M.s Verteidiger Adnan Aykaç verwandelt sein Plädoyer in eine | |
politische Darbietung. Er zieht einen David-und-Goliath-Vergleich. „David | |
sitzt heute hier“, sagt er und deutet mit dem Finger auf seine Mandantin. | |
Zustimmendes Nicken einerseits und fassungsloses Kopfschütteln | |
andererseits bekommt er aus dem Publikum, als er davon spricht, dass | |
Israelkritik nicht mehr möglich sei, ohne als Antisemit bezeichnet zu | |
werden. Daran beteiligten sich auch Presse und Justiz. | |
## Streit um die Geschichte der Kufiya | |
„Das Blut eines Palästinensers ist im Vergleich zu israelischem Blut nichts | |
wert“, sagt er und pfeffert seine Unterlagen auf den Tisch, ehe er zum | |
Tatbestand zurückkehrt. Währenddessen sitzt Elisabeth S. mit übereinander | |
geschlagenen Beinen am anderen Ende des Saals, kaut Kaugummi und stützt | |
ihren Arm demonstrativ lässig auf die Rückenlehne ihres Stuhls. In anderen | |
Momenten zupft sie nervös ihren roten Schal zurecht. | |
Elisabeth S. warf der Angeklagten vor, sie bis zu 30 Sekunden lang gewürgt | |
und mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben. Anschließend seien beide | |
zu Boden gegangen. Dem vorausgegangen seien Beleidigungen, die S. mit ihrem | |
Handy zu filmen drohte. Daraufhin eskalierte die Situation. | |
Anwalt Aykaç versuchte diese Darstellung mit einem Video zu widerlegen, das | |
er am dritten Prozesstag abspielen ließ. Das ganze Spektakel, wie der | |
Anwalt unter Verweis auf die Aufzeichnung sagt, dauerte nur vier Sekunden. | |
Beleidigungen seien nicht zu hören und ein tätlicher Angriff nicht | |
eindeutig zu sehen. Er macht eine Kunstpause und plädiert im Anschluss auf | |
Freispruch. | |
In der Pause bis zur Urteilsverkündung erreicht die ohnehin aufgeheizte | |
Atmosphäre einen Höhepunkt. Es gibt keine Annäherung im Gerichtssaal. | |
Stattdessen diskutieren die Lager miteinander. Zwei Männer streiten um die | |
Geschichte der [2][Kufiya]. „Was soll ich sonst für die [3][getöteten | |
Kinder] tragen?“, fragt einer. Ein anderer sagt, es gebe keinen jüdischen | |
Staat, als es darum geht, ob Israel und das Judentum getrennt voneinander | |
betrachtet werden können. | |
Während die Richterin das Urteil verliest, dreht die Angeklagte | |
unauffällig unter dem Tisch Perle für Perle einer Gebetskette. Sie bleibt | |
ruhig, ist aber sichtlich getroffen von den Anschuldigungen. „Es geht hier | |
heute nicht um einen [4][politischen Konflikt,] sondern um konkrete | |
Sachverhalte“, beginnt die Richterin die Begründung ihres Urteils. | |
Das Video, Zeugenaussagen und ein medizinisches Gutachten würden die | |
Version von Elisabeth S. stützen. Dass diese sich in Dauer und Intensität | |
der Attacke möglicherweise geirrt habe, mache ihre Aussage nicht weniger | |
glaubhaft: Zeitliche Einschätzungen seien in solchen Fällen häufig | |
fehlerhaft. | |
Ohnehin bewertet die Richterin die Aussagen von S. als glaubwürdig. Ihre | |
Aussagen in der Hauptverhandlung, bei der Polizei und in Presse-Interviews | |
würden einander gleichen. Jedoch seien nicht alle Spätfolgen, von denen S. | |
berichtet – vermindertes Sehvermögen auf dem linken Auge sowie starke Kopf- | |
und linksseitige Ohrenschmerzen –, auf die Auseinandersetzung | |
zurückzuführen. | |
Die Richterin geht das Video in ihrem Urteil durch: In Sekunde zehn falle | |
die erste Beleidigung: „Sieht aus wie eine Hexe.“ Anschließend | |
Schlaggeräusche und die Wortfetzen: „… in mein Gesicht getreten“. Der Gr… | |
in den Hals- und Nackenbereich sei zu sehen, ein Würgen aber nicht. In | |
Minute eins gingen beide Frauen zu Boden, wiederholt sei „Bitte nicht!“ zu | |
hören. Das Video sei vor allem eine akustische Wiedergabe des Konflikts, | |
außerdem lückenhaft, so die Richterin. Gefüllt wurden diese durch | |
Zeugenaussagen. | |
Während die Richterin ihr Urteil begründet, stöhnen und seufzen Leute aus | |
dem Publikum: Dass Ayan M. nicht vorbestraft ist und die Stimmung emotional | |
aufgeheizt war, hat die Richterin mildernd in ihr Urteil einfließen lassen. | |
Der Versuch von Elisabeth S., Ayan M. zu filmen, sei zudem eine Provokation | |
gewesen. | |
Die Angeklagte hätte laut der Richterin ihr Urteil beeinflussen können, | |
wenn sie selbst gesprochen hätte. Ayan M. äußerte sich jedoch | |
ausschließlich über ihren Anwalt. Nachfragen ließ sie nicht zu. Nun hat sie | |
eine Woche Zeit, in Berufung zu gehen. | |
28 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Gewaltsamer-Uebergriff-an-der-Uni/!6081224 | |
[2] /Die-Linke-und-der-Nahost-Konflikt/!6060057 | |
[3] /Gaza-Tagebuch/!6079762 | |
[4] /Entwicklungsforscher-ueber-Gaza/!5967225 | |
## AUTOREN | |
Karoline Gebhardt | |
## TAGS | |
Antisemitismus | |
Palästina | |
Urteil | |
Justiz | |
Universität Hamburg | |
Schule gegen Rassismus | |
Antisemitismus | |
Alltagsrassismus | |
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Religiöse Konflikte an Hamburgs Schulen: Religionsgemeinschaften und Schulbeh�… | |
Nach Klagen über das Verhalten von Muslimen an Hamburger Schulen machen | |
sich Politiker und Religionsvertreter für ein respektvolles Miteinander | |
stark. | |
Gewaltsamer Übergriff an der Uni: Nahostkonflikt vor dem Amtsgericht | |
Fast ein Jahr nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung bei einer | |
Antisemitismus-Vorlesung an der Uni Hamburg sprach nun das Opfer vor | |
Gericht. | |
Meldestellen für Menschenfeindlichkeit: Neuer Höchststand an diskriminierende… | |
In der Bilanz der Berliner Register stehen antisemitische Vorfälle erstmals | |
an erster Stelle. Auch rechtsextreme und rassistische Übergriffe nehmen zu. | |
Arabischer Aufstand 1936: Boykott und Brutalität | |
Oren Kessler hat ein Buch über den Aufstand in Palästina im Jahr 1936 | |
geschrieben. Er entdeckt darin eine übersehene Wurzel des Nahostkonflikts. |