# taz.de -- Antisemitimsmus im Kulturbetrieb: Kein Problem zum wegsignieren | |
> Die Klausel der Berliner Kulturverwaltung gegen Diskriminierungen stößt | |
> auf harte Kritik. Künstler*innen sehen einen Trend zum | |
> Bekenntniszwang. | |
Bild: Staatlich geförderte Aufführung am Berliner Ensemble – künftig nur n… | |
BERLIN taz | Mit seiner [1][Klausel gegen Diskriminierung] wähnt sich | |
Kultursenator Joe Chialo (CDU) derzeit als Vorreiter, der handelt und | |
Verantwortung übernimmt im Kampf gegen Antisemitismus. [2][Seine | |
„Antidiskriminierungsklausel“] müssen in Zukunft alle unterschreiben, die | |
von der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt | |
Geld für ihre Arbeit und für Projekte beantragen. Chialo will so | |
insbesondere Antisemitismus aus dem Kulturbetrieb verbannen und Rassismus, | |
Sexismus, Queerfeindlichkeit und Antiziganismus gleich dazu. Antisemitismus | |
steht deshalb im Fokus, weil es der einzige Punkt ist, den die Klausel | |
ausdrücklich definiert (siehe Kasten). | |
Doch für die Idee erntet Chialo bisher vor allem Kritik – auch von denen, | |
die das Anliegen mit ihm teilen: die sich selbstverständlich zur offenen | |
Gesellschaft bekennen und die sich einer Arbeit gegen jegliche | |
Diskriminierung verpflichtet sehen. | |
Die Entscheidung der Senatsverwaltung, sich diesem Thema zu widmen, sei ein | |
wertvoller Schritt, dürfe aber nicht zu einer Falle werden, sagt etwa Sonia | |
Simmenauer, Musikagentin und Präsidentin des Bundesverbands der Konzert- | |
und Veranstaltungswirtschaft. Es sähe „alles danach aus, dass es gar zu | |
einem Bumerang wird“. Simmenauer ist eine von vier Kulturproduzent*innen, | |
die der Senator selbst in den Kulturausschuss am Montag eingeladen hatte zu | |
einer Anhörung zu Antisemitismus und der Verantwortung von Kunst und | |
Kultur. | |
Für Simmenauer ist die Klausel selbst das Problem. Denn eine | |
Selbstverpflichtung oder unterschriebene Erklärung beendet nicht | |
antisemitisches Handeln und Denken. Man schreibe der Klausel aber | |
„offensichtlich magische Fähigkeiten“ zu, als ob Diskriminierung allein | |
davon verschwinden könnte, wenn jemand so eine Klausel unterschreibt. | |
## Priorisierung erzeugt Abwehr | |
Ganz im Gegenteil: Indem der Senator eine Klausel präsentiert, an der sich | |
nun viele abarbeiten, geraten wirklich wirksame Maßnahmen gegen | |
Antisemitismus aus dem Blick. Dazu gehöre es auch, Dissens auszuhalten. Die | |
Klausel sei „ein Schlag gegen die Demokratie, ein beliebtes Instrument von | |
Diktaturen und die Legitimierung von Denunziation“, sagt Simmenauer. Sie | |
befürchtet, dass sie gar mehr Antisemitismus erzeugen könnte, weil sie ihn | |
so priorisiert und damit Abwehr hervorruft. Sie drohe, die wirklichen | |
Aufgaben im Kampf gegen Diskriminierungen zu vernebeln. | |
Chialo verteidigt seine Klausel damit, dass auch andere Bundesländer und | |
der Bund Ähnliches vorbereiten. [3][Schleswig-Holstein verlangt bereits | |
seit Juni 2023] von Fördergeldempfänger*innen, dass sie eine Klausel gegen | |
Antisemitismus unterzeichnen. | |
Die Idee ist nicht neu: 2011 hatte [4][CDU-Bundesfamilienministerin | |
Kristina Schröder eine Extremismusklausel] eingeführt. Organisationen, die | |
sich mit staatlichen Fördergeldern aus drei Bundesprogrammen gegen | |
Rechtsextremismus und für Demokratie und Toleranz engagieren, sollten eine | |
Erklärung für die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ unterzeichnen. | |
Sie sollten für sich sowie ihre Partner bestätigen, mit ihrer Arbeit den | |
Zielen des Grundgesetzes förderlich zu sein. | |
Die Extremismusklausel war damals von Jurist*innen und | |
Politiker*innen als Gesinnungscheck kritisiert worden, auch aus der | |
CDU selbst. Sie erzeuge ein „Klima des Misstrauens“ und behindere die | |
Arbeit gegen Rechtsextremismus. Die damalige rot-rote Regierung Berlins war | |
für [5][Initiativen, die die Unterschrift verweigerten und denen damit | |
Bundesförderungen wegbrachen, eingesprungen]. Das [6][Verwaltungsgericht | |
Dresden erklärte sie 2012 für rechtswidrig]. Schröders Nachfolgerin Manuela | |
Schwesig (SPD) schaffte sie wieder ab. | |
## Bekenntnisse dagegen statt Bewußtsein für Antisemitismus | |
Anders als die Klausel damals soll sich die nun geplante [7][nur auf die | |
direkten Empfänger der Förderung beziehen]: Sie bedeute nicht, dass man als | |
Fördergeldempfänger*in auch sicherstellen muss, dass alle, die man | |
einlädt, mit denen man zusammenarbeitet oder an die man Räume vermietet, | |
sich entsprechend bekennen müssen, stellte eine Sprecherin der | |
Kulturverwaltung auf Nachfrage klar. | |
Kulturarbeiter*innen sowie Politiker*innen kritisieren dennoch | |
die Effekte. Guido Möbius, Musiker und Promoter, spricht von einem „Trend | |
zu Bekenntniszwängen“. Die Klausel reihe sich ein in Aufforderungen durch | |
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie Bundespräsident | |
[8][Frank-Walter Steinmeier (SPD) an Muslim*innen, sich gegen | |
Antisemitismus und gegen Terrorismus zu positionieren], die Bekenntnisse | |
zum Existenzrecht Israels und Antisemitismus als Voraussetzung für | |
Einbürgerung. | |
„Ich möchte eine Erklärung gegen Antisemitismus gern aus fester Überzeugung | |
unterschreiben – freiwillig“, sagt Oliver Reese, Intendant des Berliner | |
Ensembles, der ebenfalls im Kulturausschuss gehört wurde. „Wenn ich sie | |
quasi unterschreiben muss, weil das alle müssen, die die Gelder für ihre | |
Einrichtung nicht gefährden wollen, ist mir diese Chance genommen.“ Am | |
Berliner Ensemble hätten sie vor zwei Jahren gemeinsam einen | |
Verhaltenscodex für ein freiheitliches und respektvolles Miteinander | |
entwickelt, der auch allen Verträgen beigelegt werde und mit dem sich die | |
Mitarbeiter*innen einer Arbeit gegen Diskriminierung verpflichten. | |
Reese sagt, er hätte sich den Dialog über eine Klausel vor deren Einführung | |
gewünscht. | |
„So eine Klausel lenkt doch nur davon ab, eine wirkliche Lösung zu suchen. | |
Sie lenkt ab von den kleinen Schritten, die zu Wahrnehmung und Bewusstsein | |
von Antisemitismus führen“, sagt Simmenauer. Und kritisiert, dass Chialo | |
damit genau das verhindert, was er eigentlich befördern will: den Dialog. | |
11 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitismus-im-Kulturbetrieb/!5982151 | |
[2] https://www.berlin.de/aktuelles/8644688-958090-neue-klausel-gegen-diskrimin… | |
[3] https://www.ndr.de/kultur/kulturdebatte/Antisemitismus-Klausel-Karin-Prien-… | |
[4] /Wissenschaftler-gegen-Extremismusklausel/!5125438 | |
[5] /CDU-setzt-in-Mitte-Extremismusklausel-durch/!5109546 | |
[6] /Extremismusklausel-ist-rechtswidrig/!5095300 | |
[7] /Kritik-an-Schroeders-Extremismusklausel/!5095200 | |
[8] /Debatte-um-den-Nahost-Konflikt/!5973156 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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