# taz.de -- Anthropomorphe Roboter: Der Automat schaut traurig | |
> Der neue Kollege ist ein Roboter: Dem Modell „Baxter“ ist anzusehen, wenn | |
> ihm etwas misslingt. Er lernt durch Zeigen und Vorspielen. | |
Bild: Schaut mit großen Augen in die Welt: Baxter am Fließband. | |
Im Gegensatz zu den streng funktionalen traditionellen Industrierobotern | |
ist der Baxter menschenähnlich proportioniert. Er hat zwei Arme, deren | |
Schultergelenke sich auf der gleichen Höhe wie bei einem ausgewachsenen | |
Menschen befinden. Dort, wo beim Menschen der Kopf wäre, hat der Baxter | |
einen Bildschirm, auf dem im Normalbetrieb zwei Augen zu sehen sind, die | |
dorthin blicken, wo der Roboter als nächstes hingreifen wird. | |
Geht etwas schief, wird das Gesicht auf dem Bildschirm traurig, oder es | |
schaut verwirrt drein. Der Roboter wird nicht irgendwo fest installiert, | |
sondern er steht auf einem Gestell mit Rollen, das einfach am jeweils | |
vorgesehenen Arbeitsort arretiert wird. Über verschiedene Kameras, die am | |
Rumpf und an den Armen integriert sind, orientiert sich Baxter in seiner | |
Umgebung. | |
Es gibt drei verschiedene Methoden der Programmierung von Baxter, von denen | |
die einfachste gleichzeitig die derzeit spektakulärste ist: Wenn man den | |
Roboter etwa darauf programmieren will, Werkstücke vom Band in Kisten zu | |
sortieren, ruft man die entsprechende Funktion auf dem Bildschirm auf, | |
greift sich einen der Arme und zeigt der Maschine direkt, von welcher | |
ungefähren Zone des Fließbandes sie Teile einsammeln soll. | |
Die Assoziation zum Zeigen und Vorspielen bei Kindern ist naheliegend. | |
Danach zeigt man dem Roboter noch, wie die einzusammelnden Teile aussehen | |
und wo die Kiste steht, in der sie landen sollen. Eine solche einfache | |
Programmierung dauert keine halbe Stunde und kann – und das ist der | |
entscheidende Punkt – von jedem durchschnittlich intelligenten Menschen in | |
kürzester Zeit erlernt werden. | |
Nicht mehr spezialisierte Ingenieure oder Experten, die viel Geld kosten | |
und oftmals nicht in ausreichender Zahl verfügbar sind, sollen Roboter | |
programmieren, sondern die Menschen, deren Arbeitsplatz sie ersetzen. | |
Rodney Brooks, der Gründer von Rethink Robotics verwendet dabei natürlich | |
das Wort „ergänzen“ statt „ersetzen“. | |
## Kollege statt Konkurrent | |
Denn der Baxter, den seine Firma herstellt, soll ein neuer Kollege werden, | |
kein Konkurrent. Und tatsächlich scheinen die ersten Erfahrungen mit den | |
bereits ausgelieferten Robotern darauf hinzuweisen, daß die freundlichen, | |
von jedermann programmierbaren Maschinen einige unumkehrbar geglaubte | |
Trends verändern. In der Folge wird sich die zukünftige Struktur der Arbeit | |
grundlegend wandeln. | |
Wenn tatsächlich die Kontrolle über die Maschinen nicht mehr ausschließlich | |
in den Händen einer hochspezialisierten Ingenieurskaste liegt, sondern | |
wieder Aspekte der täglichen Arbeit, die mit Kreativität, Verantwortung und | |
eigenständigem Denken zu tun haben, an die „normalen“ Mitarbeiter delegiert | |
werden, kann der von uns vielerorts beobachtete Trend zur Spaltung der | |
Arbeitswelt abgeschwächt oder aufgehalten werden. | |
Eine häufige Folge von Automatisierung, die wir auf der Reise beobachtet | |
haben, ist ja der Wegfall von Tätigkeiten mit mittlerer oder geringer | |
Qualifizierung. Das kürzlich angekündigte erste Fast-Food-Restaurant, | |
dessen Burger von Robotern gebraten werden sollen, wäre dafür ein Beispiel. | |
Neue Jobs hingegen entstehen bisher überwiegend im hochqualifizierten | |
Bereich und bei den austauschbaren und durch Zeitarbeit erledigbaren | |
Tätigkeiten, für die Roboter gerade noch so zu teuer sind. | |
Laut Brooks finden sich aber in praktisch jedem Betrieb, an den seine Firma | |
ihre neuartigen Roboter liefert, Mitarbeiter, die sich intensiv mit dem | |
neuen digitalen Kollegen beschäftigen. Oft seien es Menschen, bei denen | |
eigentlich niemand damit gerechnet hätte, weil sie für einfache, wenig | |
anspruchsvolle Tätigkeiten eingestellt worden waren. | |
## Kampfpreis von 20.000 Dollar | |
Ein weiterer gravierender Unterschied von Baxter und ähnlichen Robotertypen | |
zur bisherigen Automatisierungstechnik ist schlicht der Preis. Während | |
selbst relativ einfache Industrieroboter inklusive Programmierung praktisch | |
nicht für Kosten unter hunderttausend Euro zu bekommen sind, geht Rethink | |
Robotics mit einem Kampfpreis von zwanzigtausend Dollar in den Markt und | |
macht dabei sogar noch satte Gewinne. | |
Natürlich ist der Baxter längst nicht so stark, schnell, auch nicht so | |
präzise wie ein fünfmal so teurer konventioneller Industrieroboter, denn | |
zaubern kann Rodney Brooks nicht. Seine Strategie, billige und von | |
jedermann programmierbare Roboter zu bauen, fußt zu einem Teil auf der | |
Kunst der Beschränkung. Viele Tätigkeiten in den Firmen, auf die der Baxter | |
zielt, benötigen die Eigenschaften der ingenieurtechnisch hochgezüchteten | |
großen Systeme gar nicht. | |
Die Begrenzung von Tragegewicht und Bewegungsgeschwindigkeit macht die | |
Verwendung leichter und billigerer Komponenten möglich. Den Mangel an | |
Präzision gleicht Baxter durch clevere Software aus, die zum Beispiel das | |
Aufnehmen eines Werkstücks ähnlich erledigt wie ein Mensch, der, ohne | |
hinzusehen, nach einem Gegenstand greift. | |
Statt hochpräzise auf einen zehntel Millimeter genau zuzugreifen, bewegt | |
Baxter seine Greifer so, daß sich das Zielobjekt sicher zwischen den Zangen | |
befindet. Beim Schließen des Greifers registriert ein Kraftsensor, welche | |
Seite den Gegenstand zuerst berührt, und korrigiert die Armposition | |
entsprechend. Für den Betrachter sieht es so aus, als würde sich der | |
Roboter nach dem Zugreifen den Gegenstand zurechtrütteln. | |
Dem Verfahren fehlt die präzise, auch ein wenig furchteinflößende Eleganz | |
und Kraft der großen Industrieroboter. Dafür ist es jedoch konkurrenzlos | |
billig und funktioniert in vielen Anwendungsfällen ausreichend gut. | |
## Perspektiven für Hochlohnländer | |
Die Folgen einer Automatisierungstechnik, die praktisch von jedermann | |
programmiert und bedient werden kann, für die Arbeitswelt werden erheblich | |
sein. Wenn flexible, einfach zu programmierende Roboter und eine neue | |
Generation von computergesteuerten Fertigungsmaschinen miteinander | |
kombiniert werden, öffnen sich völlig andere Perspektiven für die | |
Produktion in ehemaligen Hochlohnländern. So wirbt Rethink Robotics auch | |
damit, Industrieproduktion, die einstmals nach China verlagert wurde, | |
wieder zurück in die USA zu holen. | |
Die Vision von Rodney Brooks für die Zukunft der amerikanischen | |
Fertigungsindustrie klingt verdächtig nach dem Vorbild der Arbeitsweise des | |
deutschen Mittelstands. Netzwerke kleiner, digital vernetzter, flexibel | |
automatisierter Betriebe stellen die vielen verschiedenen komplexen Teile | |
her, die dann vom Hersteller, der sich vorrangig um Verkauf, Service und | |
Aufrechterhaltung des Markennamens kümmert, zu einem Produkt zusammengebaut | |
werden. | |
Das Bestreben, die für die Produktion notwendigen Menschen noch weiter zu | |
reduzieren, ist beileibe keine typisch westliche Eigenschaft mehr. Auch | |
Foxconn, einer der größten Elektronikproduzenten der Welt, bei dem unter | |
anderem fast alle iPhones des amerikanischen Herstellers Apple und viele | |
weitere Elektronik und Computerprodukte von westlichen Marken hergestellt | |
werden, hat angekündigt, aufgrund steigender Lohnkosten und lästiger | |
Streiks in China eine Million Roboter installieren zu wollen. | |
Bei Lichte betrachtet, ist die Ankündigung vielleicht noch etwas | |
vollmundig, da Roboter, die menschliche Fingerfertigkeit vollständig | |
ersetzen können, gerade erst in den Labors Gestalt annehmen. Die Intention | |
ist jedoch klar: weiter konkurrenzfähig zu bleiben, auch wenn die eigenen | |
Lohnkosten steigen, indem man die Anzahl der Menschen reduziert. | |
13 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Constanze Kurz | |
Frank Rieger | |
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Roboter | |
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Schwerpunkt Chaos Computer Club | |
Constanze Kurz | |
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