Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jahreskongress des Chaos Computer Club: Der Innenminister als Troll
> Beim CCC-Jahresrückblick ging es um Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren,
> Polizeigewalt - und weitere Hacks. Die Anzahl der Internetausdrucker
> nehme ab.
Bild: Im Hintergrund die Installation "ACAB" (All colors are beautiful).
INTERNET taz | Der Chaos Computer Club hat bei seinem Kongress eine
positive Bilanz des Jahres 2010 gezogen. Man sei nicht nur bei diversen
Klagen als "Sieger" vom Platz gegangen, auch würde dem CCC endlich
zugehört. Netzpolitik sei im politischen Mainstream angekommen und ein
Politikfeld wie alle anderen auch. Es gebe in allen Parteien inzwischen
eine relevante Anzahl von Politikern, die das Netz bedienen könnten.
"Internetausdrucker", die auf ihre Netz-Inkompetenz auch noch stolz seien,
seien selten geworden.
Innenminister Thomas de Maiziere bekam von CCC-Sprecher Frank Rieger
"begnadete Fähigkeiten als Troll" attestiert. Damit meint Rieger de
Maizieres Eigenart, Thesen in den Raum zu stellen und die Reaktionen darauf
zu beobachten. CCC-Sprecherin Constanze Kurz lobte die "Besonnenheit" des
Bundesinnenministers. Sprecher Andreas Bogk meinte, mit dem Abtritt des
vorherigen Innenministers Schäuble sei "ein Feind abhanden gekommen", man
müsse jedoch "aufpassen".
Seit diesem Jahr sitzt Club-Sprecherin Kurz für die Linkspartei in der
Enquete-Kommission zum Thema Internet und digitale Gesellschaft, die von
allen Fraktionen des Bundestags einberufen wurde. Man habe im Club lange
diskutiert, welcher Parteien-Einladung man folgen wolle – und sich am Ende
für die Linkspartei entschieden, weil diese dem CCC am glaubhaftesten
zugesichert hatte, sich nicht in die Arbeit der von ihnen entsandten
Experten einzumischen.
Man spreche mit allen Parteien, auch wenn diese, wie die CSU, nach außen
nur vorgäben, nicht mit dem CCC zu sprechen. Einzige Ausnahme: Neonazis.
Die klare Abgrenzung nach Rechts dürfte der CCC auch weiterhin beibehalten.
Zwar distanzierten sich die Sprecher beim Jahresrückblick von dem Leak von
Kundenlisten des Herstellers "Thor Steinar" – hier sah sich der Club auch
mit Rechtsstreitigkeiten konfrontiert –, jedoch haben auch in diesem Jahr
wieder Hacker neonazistische Seiten ins Visier genommen. Die Kameradschaft
Altmühltal nahm ihre Seite gar präventiv vom Netz – garniert mit einem Gruß
an die "CCCP", die "CCC Pussies".
Dran blieb der CCC im Jahr 2010 auch am Thema Polizeigewalt. Der Club hatte
sich nach der Freiheit statt Angst Demonstration im Jahr 2009 für die
Aufklärung eines Falls von Polizei-Prügelei eingesetzt und einen Vorgang
mithilfe von Videoaufnahmen rekonstruiert. Den Beschluss des Berliner
Abgeordnetenhauses, Polizisten bei Einsätzen individuell zu kennzeichnen,
feierte der CCC beim Jahresrückblick auch als eigenen politischen Erfolg.
Sprecher Andy Müller-Maguhn hat zudem eine "kulturelle Veränderung" auf
Demonstrationen festgestellt, viele Teilnehmer würden nun bei brenzligen
Situationen "mit Handys draufhalten" und filmen. "Die Polizei ist nicht
mehr im rechtsfreien Raum", glaubt Müller-Maguhn und freut sich auf den
Tag, "an dem er die Ermittlungsakten ins Netz stellen kann".
Eine Absage hingegen erteilte das Podium der Idee "Post Privacy". Constanze
Kurz bezeichnete ihre Verfechter mehrfach als "Post-Privacy-Spackos" und
sagte: "Wir haben ja nichts dagegen, dass sich Leute im Netz nackig machen
können. Man soll es nur nicht als Lebensstil, als soziale Norm
propagieren". Frank Rieger machte klar: "Wir halten Post Privacy als
Lebensstil für einen Irrweg", ein "ziemlich durchsichtiges Manöver von
Google und Facebook". Zu Google Streetview habe man sich als CCC allerdings
nicht geäußert, da es keine einheitliche Position zum Thema gebe.
Große Themen auch im kommenden Jahr bleiben für den CCC die Kritik an der
Überwachung durch den Staat und die Rezipientenfreiheit. Das Urteil zur
Vorratsdatenspeicherung aus dem März 2010 beurteilten die Sprecher auf dem
Podium eher positiv, man zeigte sich überdies überrascht, dass es sich so
differenziert mit der Datensicherheit auseinandersetze. Kompromisse, so wie
vom Bundesdatenschutzbeauftragten kürzlich vorgeschlagen, dürfe es bei der
Vorratsdatenspeicherung nicht geben. "Für uns gilt", so Constanze Kurz,
"wir machen nicht den Schaar". Frank Rieger appellierte an "die, die bei
den Internet Service Providern sitzen", sie sollten bei der Umstellung auf
die neuen IP-Adressen IPv6 darauf achten, dass diese auch weiterhin nach
Zufall und nicht personalisiert vergeben würden.
Das Scheitern des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags, den "Netzsperren
light", wurde zwiespältig gesehen. CCC-Sprecher Andreas Bogk sagte, die
Ablehnung durch den NRW-Landtag sei "ja keine inhaltliche Entscheidung
gewesen", zudem gelte der alte Jugendmedienschutz-Staatsvertrag jetzt erst
einmal weiter und dieser sehe ebenfalls "Öffnungszeiten für Internetseiten"
vor. Bogk kündigte an, dass sich der CCC weiter aktiv in die Diskussionen
um einen neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag einbringen werde.
Eins sei klar, so Frank Rieger. "Es wird keine Diskussion um Netzsperren
mehr geben, ohne dass Wikileaks eine Rolle spielen wird". Durch Wikileaks
sei deutlich geworden, dass es um Informationsfreiheit gehe, die durch
Netzsperren bedroht ist. Rieger fügte noch an, Wikileaks sei ein Projekt,
"was wir interessant und gut finden". Constanze Kurz ergänzte allerdings,
das sei "keine kritiklose Unterstützerrolle".
29 Dec 2010
## AUTOREN
Julia Seeliger
## TAGS
Roboter
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Überwachung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Anthropomorphe Roboter: Der Automat schaut traurig
Der neue Kollege ist ein Roboter: Dem Modell „Baxter“ ist anzusehen, wenn
ihm etwas misslingt. Er lernt durch Zeigen und Vorspielen.
EU-Kommission für Netzsperren: Nur das Parlament kann sie stoppen
Die EU könnte alle Mitglieder zwingen, Kinderpornografie zu blockieren.
Damit hätte sie den erfolgreichen Protest in Deutschland gegen solche
Netzsperren ausgehebelt.
Mangel an IP-Adressen: Das Internet ist voll
So langsam werden die IP-Adressen im Internet knapp und ohne IP-Adresse
wird die Übertragung von Daten schwierig. Droht jetzt die "IPcalypse"? Dank
IPv6 nicht.
Streit um Vorratsdatenspeicherung: Sieben Tage statt sechs Monate
Die Justizministerin schlägt vor, IP-Adressen für kurze Zeit anlasslos
registrieren zu lassen. Dem Innenminister reicht der Kompromiss nicht und
die Bürgerrechtler sind empört.
Debatte Vorratsdatenspeicherung: Gefährliches Datenspiel
Findet die Bundesregierung nicht schnell einen Kompromiss zur
Vorratsdatenspeicherung, droht die Neuauflage einer monströsen
Massenüberwachung.
Kommentar Chaos Computer Club: Digitaler Reichtum für alle!
Der Chaos Computer Club hat auch im Jahr 2010 sein Profil als
Bürgerrechtsorganisation für Online- und Offline-Themen geschärft. Doch bei
den sozialen Bürgerrechten geht noch was.
Gewalt gegen Demonstranten: Polizeiprügel kommt vor Gericht
Zwei Polizisten schlugen 2009 auf einen Radfahrer auf der "Freiheit statt
Angst"-Demonstration ein. Nun wird Anklage erhoben. Viel zu spät, moniert
Amnesty.
Gericht bemängelt Filmen auf Demos: Polizei übertreibt Überwachung
Polizisten dürfen auf friedlichen Demonstrationen nicht filmen, urteilt das
Verwaltungsgericht. Ein Ohrfeige für die Polizei, die fast jeden Protest
mit Kameras verfolgt.
CCC-Jahreskongress in Berlin: Clubmate, Kabel und Computer
Die Hacker-Bewegung ist vielfältig. Der CCC ist längst zu einer
professionell arbeitenden Lobby-Organisation geworden, den schrägen Charme
eines Hackerclubs hat er sich erhalten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.