# taz.de -- Gericht bemängelt Filmen auf Demos: Polizei übertreibt Überwachu… | |
> Polizisten dürfen auf friedlichen Demonstrationen nicht filmen, urteilt | |
> das Verwaltungsgericht. Ein Ohrfeige für die Polizei, die fast jeden | |
> Protest mit Kameras verfolgt. | |
Bild: Okay, am 1. Mai wird wohl weiterhin per Video überwacht werden. | |
Auf Demonstrationen wird der Anblick von Polizisten mit Kameras seltener | |
werden. Grund dafür ist eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts. | |
Darin erklären die Richter die Videoüberwachung einer Großdemonstration im | |
vergangenen September für rechtswidrig. Geklagt hatten ein Mitveranstalter | |
und ein Teilnehmer. | |
Rund 50.000 Menschen hatten damals gegen Atomkraft protestiert - friedlich, | |
wie es auch im Vorfeld zu erwarten war. Die Polizei filmte trotzdem und | |
begründete das vor dem Verwaltungsgericht mit der Notwendigkeit, | |
Einsatzkräfte und Verkehr zu lenken. Die Anti-Atomkraft-Demo ist kein | |
Einzelfall: Videoüberwachung durch die Polizei ist in den vergangenen | |
Jahren zum Standard geworden. So fährt nicht nur häufig ein Wagen mit | |
Kamera vorweg. Auch einzelne Polizisten sind mit Kameras ausgestattet. | |
Zahlen, wie viele Demos filmisch überwacht werden, nennt die Polizei nicht. | |
Die Richter ließen sich von der Argumentation der Polizei nicht überzeugen. | |
Denn das Filmen schränke das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das | |
informationelle Selbstbestimmungsrecht ein. "Wer damit rechnet, dass etwa | |
die Teilnahme an einer Versammlung […] behördlich registriert wird, und ihm | |
dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung | |
seiner entsprechenden Grundrechte verzichten", so die Richter in der am | |
Dienstag bekannt geworden Entscheidung. Eine "einschüchternde Wirkung", so | |
sieht es das Gericht, gehe schon von dem "ständig vorausfahrenden | |
Übertragungswagen" aus. | |
Für eine Einschränkung des Versammlungsrechts durch eine Videoüberwachung | |
gebe es nur dann eine rechtliche Grundlage, wenn von der Versammlung eine | |
"erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" ausgeht, | |
erläuterte Michael Dolle, Sprecher des Verwaltungsgerichts. "Wenn man davon | |
ausgehen kann, dass es ein friedlicher Protest wird, darf die Polizei nicht | |
filmen. Insofern hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere | |
Demonstrationen." | |
In Zukunft hängt es also an der Gefährdungsanalyse, die die Polizei im | |
Vorfeld einer Demonstration erstellt, ob die Demo überwacht wird oder | |
nicht. Wie das in der Praxis umgesetzt wird, ist noch offen. Unklar ist | |
beispielsweise, ob der Veranstalter beim Anmeldergespräch im Vorfeld einer | |
Demo über die Videoüberwachung informiert wird und dagegen - wie auch gegen | |
Auflagen - im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht klagen kann. Bei | |
regelmäßig stattfindenden Demonstrationen wird sich die Einschätzung der | |
Polizei an der jeweils vergangenen Demo orientieren. Verlief also | |
beispielsweise die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im letzten Januar | |
friedlich, müsste die Polizei gute Gründe nennen, um ein Jahr später eine | |
erhebliche Gefahr festzustellen. Denn im Nachhinein gegen die | |
Videoüberwachung vor Gericht zu ziehen, das betont Dolle, können die | |
Veranstalter bereits heute. | |
"Es wird sicher Fälle geben, in denen wir über die Gefährdungsanalyse | |
streiten werden", sagt Sven Lüders, Geschäftsführer der Humanistischen | |
Union. Der Verband beteiligt sich unter anderem an der Organisation der | |
Datenschutzdemo "Freiheit statt Angst" am 11. September. Im vergangenen | |
Jahr nahmen an der Demonstration rund 25.000 Menschen teil. Da das Urteil | |
des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig ist und Lüders vermutet, | |
dass die Polizei einen Antrag auf Zulassung der Berufung einreichen wird, | |
rechnet er nicht damit, dass die Veranstaltung in diesem Jahr schon | |
überwachungsfrei laufen wird. | |
Die Polizei teilte lediglich mit, dass das Urteil erst seit Montag vorliege | |
und derzeit noch geprüft werde. Rechtsanwältin Ulrike Donat, die die Kläger | |
vertritt, kündigte allerdings an, mit der Klage notfalls bis vor das | |
Bundesverfassungsgericht zu ziehen. | |
(Az.: VG 1K 905.09) | |
28 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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