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# taz.de -- Debatte Vorratsdatenspeicherung: Gefährliches Datenspiel
> Findet die Bundesregierung nicht schnell einen Kompromiss zur
> Vorratsdatenspeicherung, droht die Neuauflage einer monströsen
> Massenüberwachung.
Bild: Und weil die Vorratsspeicherung auf einer EU-Richtlinie beruht, muss sie …
Man könnte sich daran gewöhnen. Seit März 2010 gibt es in Deutschland keine
Vorratsdatenspeicherung mehr. Seit einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts müssen die Telekomfirmen nicht mehr sechs Monate
lang speichern, wer wann wen angerufen oder angemailt hat, wer sich mit
seinem Mobiltelefon wohin bewegte und wer sich wann im Internet aufhielt.
Doch Karlsruhe hat die Vorratsdatenspeicherung nicht generell verboten,
sondern nur mehr Schutz für die gespeicherten Datenhalden gefordert. Und
weil die Vorratsspeicherung auf einer EU-Richtlinie beruht, muss sie auch
wiedereingeführt werden - es sei denn, die Richtlinie wird abgeschafft oder
erheblich gelockert.
Bisher spielte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
auf Zeit und brachte damit die Innenpolitiker der CDU/CSU fast zum Kochen.
Die Ministerin legte einfach keinen Gesetzentwurf vor - mit Verweis auf
eine Evaluation der Richtlinie auf EU-Ebene. Doch inzwischen zeichnet sich
ab, dass weder die EU-Kommission noch die Mehrheit der EU-Staaten
Wesentliches an der Richtlinie ändern wollen.
Auch eine EU-weite Bürgerbewegung gegen die vorsorgliche Überwachung ist
nicht in Sicht. Deshalb könnte das Zeitspiel bald kontraproduktiv werden.
Wenn Deutschland nicht schnell geschlossen auf eine Revision der Richtlinie
drängt, bleibt alles beim Alten, und Deutschland bekommt eine Neuauflage
der Vorratsdatenspeicherung.
Das aber muss verhindert werden. Die anlasslose Speicherung der
Verbindungsdaten von 80 Millionen Bundesbürgern pervertiert die
rechtsstaatliche Kriminalpolitik. Sie registriert vorsorglich das
Kommunikationsverhalten von allen, damit man später die Straftaten von
wenigen besser aufklären oder verhindern kann.
Die Vorratspeicherung der Telekomdaten ist dabei nur der Anfang und deshalb
auch ein Präzedenzfall. Auf EU-Ebene wird schon über eine 13-jährige
Speicherung von Fluggastdaten diskutiert. Und der damalige EU-Kommissar
Franco Frattini erklärte 2008 in einem Spiegel-Interview: "In der nächsten
Stufe müssen wir uns um die Züge kümmern." Ziel sei es, ein "System
flächendeckender Überwachung der Transportwege zu schaffen".
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom März zwar eine
vorsorgliche "Totalerfassung" der Bevölkerung abgelehnt, sah aber durchaus
noch Spielraum für weitere anlasslose Massenspeicherungen. Der Politik muss
deshalb rechtzeitig deutlich gemacht werden, dass wir nicht in einem Staat
vorsorglicher Überwachung leben wollen.
Umdenken seit Wikileaks
Auch der Datenschutz spricht massiv gegen die Anhäufung gigantischer
Datenberge. Zwar ist es sinnvoll, dass zwangsgespeicherte Telekomdaten
nicht zentral beim Staat, sondern dezentral bei den Providern lagern
sollen. Doch das ist nur ein schwacher Trost, wenn man die Datenskandale
der letzten Jahre betrachtet; an nicht wenigen waren schließlich
Telekomfirmen beteiligt. Selbst Konservative denken neu über
Datensparsamkeit nach, seit Wikileaks mal eben so 250.000
Botschaftsdepeschen stibitzen und veröffentlichen konnte.
So sieht das wohl auch die Justizministerin, die immerhin einst gegen die
Vorratsspeicherung geklagt hatte. Doch bei den anstehenden EU-Verhandlungen
geht es nicht um Prinzipientreue, sondern sie muss sich einer starke
Verhandlungsposition schaffen. Die Justizministerin allein kann wenig
ausrichten, wenn zugleich der Bundesinnenminister und alle 16
Landesinnenminister (auch die der SPD) fordern, die Vorratsdatenspeicherung
schnellstmöglich wiedereinzuführen.
Leutheusser-Schnarrenberger tut zwar so, als würde sie auf die Bedürfnisse
der Innenminister und auch der Polizei Rücksicht nehmen, indem sie mit dem
Quick-Freeze-Verfahren eine Alternative anbietet. Hier werden bei einem
Verdacht vorhandene Daten schnell, das heißt noch vor der richterlichen
Anordnung, eingefroren. Doch wird sie mit diesem Argument kaum Erfolg
haben.
Denn bei Flatratekunden - und die machen inzwischen rund 90 Prozent des
Marktes aus - sind im Verdachtsfall kaum Daten vorhanden, die man
einfrieren kann. Das Quick-Freeze-Verfahren wird daher als deutlich weniger
effizient angesehen - nicht nur von den Innenministern und der
EU-Kommission, sondern auch vom Verfassungsgericht und dem
Datenschutzbeauftragten Peter Schaar.
Der faire Kompromiss
Auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU) weiß, dass ein mieses
Überwachungsimage negative Folgen im Ermittlungsalltag der Polizei haben
kann. Wenn ein großer Teil der Bevölkerung zur Polizei kein Vertrauen mehr
hat, gehen dieser mehr Hinweise verloren, als sie mit neuen heimlichen
Ermittlungsmethoden je beschaffen kann.
Ein möglicher Kompromiss könnte deshalb so aussehen: Die Polizei kann im
Verdachtsfall künftig wieder bei den Providern nachfragen, wer zu einer
bestimmten Zeit mit einer festgestellten IP-Adresse im Internet unterwegs
war. Dazu müssen die Provider eine Zeit lang speichern - Peter Schaar
meint, ein bis zwei Wochen genügen -, welchem Kunden sie wann welche
IP-Adresse zugewiesen haben. Die Polizei würde dann Namen und Anschrift des
jeweiligen Verdächtigen erhelten, dem sie anders oft kaum auf die Spur
kommen könnte.
Während sich 80 Prozent des polizeilichen Bedarfs auf die "Übersetzung" der
IP-Adressen in reale Namen richtet, ist dies, laut Verfassungsgericht,
zugleich der mildeste Grundrechtseingriff bei der ganzen
Vorratsdatenspeicherung. Schließlich geht es hier nur um Momentaufnahmen,
nicht um persönliche Netzwerke und Bewegungsbilder. Im Gegenzug könnte auf
die deutlich heiklere Vorratsspeicherung der Telefon-, E-Mail- und
Mobilfunkdaten verzichtet werden.
Das wäre ein fairer Kompromiss zwischen Sicherheits- und
Grundrechtsinteressen. Und hierfür könnte eine einig auftretende
Bundesregierung sicher auch aushandeln, dass Deutschland künftig von der
EU-Richtlinie abweichen darf. Sonst kommt am Ende wieder die alte
Megavorratsdatenspeicherung.
13 Jan 2011
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
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