# taz.de -- Angehörige über Geiseln in Gaza: „Wir brauchen die Hilfe der We… | |
> Am 7. Oktober wurde Alon Gats Schwester nach Gaza entführt. Seit mehr als | |
> 100 Tagen hat er nichts von ihr gehört. Doch er kämpft weiter um sie. | |
Bild: Vor dem Terror: Carmel Gat und ihre Nichte Geffen, die Tochter des Interv… | |
Alon Gat wurde am 7. Oktober während des Hamas-Überfalls auf Israel kurz | |
entführt, doch konnte sich und seine Tochter in letzter Minute retten. | |
Seine Frau Yarden Roman-Gat wurde erst nach mehr als 50 Tagen aus der | |
Geiselhaft befreit; seine Schwester Carmel Gat wird noch immer | |
festgehalten. | |
taz: Herr Gat, wie hat sich Ihr Leben seit dem 7. Oktober verändert? | |
Alon Gat: Für mich und meine Familie hat der Tag nie aufgehört. Mehr als | |
fünf Monate sind seitdem vergangen, aber wir stecken immer noch mitten in | |
den Ereignissen. | |
Unsere dreijährige Tochter Geffen sagt manchmal, während sie spielt: „Oh, | |
wir müssen in den Schutzraum gehen, weil böse Menschen kommen.“ Ihr Leben | |
beinhaltet jetzt das Wissen, dass jeder kommen kann, um sie zu packen, sie | |
gegen ihren Willen mitzunehmen und andere Menschen zu ermorden und zu | |
missbrauchen. | |
Seit dem 7. Oktober arbeite ich nicht mehr. Meine Arbeit besteht vielmehr | |
darin, alles dafür zu tun, dass die Geiseln befreit werden. Ich treffe | |
Influencer, israelische Minister, Politiker in der ganzen Welt, versuche, | |
das große Ganze zu verstehen und wie ich einen Deal vorantreiben kann. | |
Sie selbst wurden am 7. Oktober aus dem Kibbutz Be’eri entführt. | |
Ja, um halb elf morgens am 7. Oktober brach die Hamas in unser Haus ein. | |
Sie brachten meine Mutter nach draußen, fesselten ihre Hände und erschossen | |
sie an der Straßenecke, zusammen mit fünf weiteren Menschen. Sie nahmen | |
meine Schwester mit. Und kurz danach setzten sie meine Frau Yarden, unsere | |
Tochter Geffen und mich in ein Auto und fuhren mit uns Richtung Gaza. 500 | |
Meter vor der Grenze sahen wir unsere Chance zu fliehen und sprangen aus | |
dem Auto. „Du kannst schneller laufen“, rief Yarden mir zu und drückte mir | |
unsere dreijährige Tochter Geffen in den Arm. „Lauf!“, rief sie. Und das | |
tat ich. | |
Sie haben sich versteckt. | |
Mit Geffen im Arm suchte ich nach einem Versteck, sie fingen an auf uns zu | |
schießen, ich blickte zurück und sah, wie Yarden sich hinter einem Baum | |
versteckte, das war – bis sie mehr als 50 Tage später befreit wurde – das | |
letzte Mal, dass ich sie sah. | |
Ich fand ein kleines Erdloch im Boden, legte Geffen auf den Boden, legte | |
mich auf sie und bedeckte mich mit Gestrüpp und Dornen. So blieben wir | |
liegen, bis es dunkel wurde. Geffen sagte ich, dass wir ruhig sein müssen. | |
Und das war sie. Dabei lagen wir auf dem dornigen Boden, es war heiß, und | |
später, als es dunkel wurde, kalt. | |
Die ganze Zeit über hat sie sich nicht beschwert. Das ist einer der Gründe, | |
warum wir überlebt haben. Nur einmal sagte sie mir, nach fast 24 Stunden | |
ohne Wasser: „Schade, dass wir kein Wasser mitgenommen haben.“ | |
Sie konnten sich, als es dunkel wurde, zur israelischen Armee im Kibbutz | |
retten. Doch ihre Frau hatte die Hamas gefasst und wieder entführt. Sie war | |
eine von etwas mehr als 100 Geiseln, die Ende November während der | |
Feuerpause freigelassen wurde, gegen 240 palästinensische Gefangene. | |
Für mich und Geffen war es, als hätten wir unser Leben zurückgewonnen. Aber | |
es war nicht vollständig, weil Carmel immer noch in Gefangenschaft ist – | |
und wir bekamen Lebenszeichen von ihr durch andere freigelassene Geiseln, | |
die gemeinsam mit Carmel gefangen gehalten wurden. | |
Was hörten Sie über Ihre Schwester? | |
Freigelassene Geiseln erzählten uns, dass sie Yoga-Stunden für die | |
Mitgefangenen gegeben und mit ihnen Achtsamkeitsübungen gemacht hat. Sie | |
haben gemeinsam Tagebuch geschrieben. Carmel ist eine Kümmerin, das ist | |
ihre Essenz. Der Gedanke, dass sie jetzt allein in Gefangenschaft sein | |
könnte, besorgt mich sehr. Wir wissen aus dem UN-Bericht und durch andere | |
Beweise, dass die Hamas die Geiseln auch sexuell missbraucht, und sie | |
foltert. | |
Carmel ist israelische und deutsche Staatsbürgerin. Sie versucen zum | |
dritten Mal in Deutschland, politischen Druck aufzubauen, um die Geiseln | |
freizubekommen. Was fordern Sie von Deutschland? | |
Deutschland macht schon eine Menge, aber es könnte noch mehr sein. Wir | |
müssen sicherstellen, dass die Hamas nicht mehr als legitime Gruppierung | |
betrachtet wird. Das hört man nicht jeden Tag. Wenn Leute sagen, dass es | |
eine humanitäre Krise in Gaza gibt, ignorieren viele, dass die Geiseln Teil | |
dieser humanitären Krise sind. In der Sekunde, in der die Geiseln frei | |
sind, wird auch die humanitäre Krise aufhören. Sobald sie frei sind, kann | |
man über den Wiederaufbau des Gazastreifens sprechen. Die Hamas hält noch | |
immer die Waffe auf meine Schwester gerichtet. | |
Meine Frau erzählte mir nach ihrer Freilassung, dass die Hamas-Wächter zu | |
ihr gesagt hätten, dass Israel nur der Anfang sei. Der Rest der Welt sei | |
danach dran. Irgendwann fanden die Wächter heraus, dass sie deutsche | |
Staatsangehörige ist. „Keine Sorge“, sagten sie ihr: „Wir haben einen | |
Haufen Hamas-Leute in Deutschland.“ Wissen Sie, die Hamas zielt ja mit | |
ihrer Agenda nicht nur auf Israel, Deutschland könnte das nächste Ziel | |
sein. | |
Einigen Angehörigen von Geiseln geht die Geduld mit der israelischen | |
Regierung aus. Sie glauben, dass Regierung nicht genug dafür tut, die | |
Geiseln zu befreien. | |
Ich glaube nach wie vor, dass es in Israel und in der Regierung Konsens | |
ist, dass die Geiseln so schnell wie möglich freigelassen werden müssen, | |
und dass Israel tut, was es kann, um die Geiseln freizubekommen. | |
Seitdem die erste und letzte Feuerpause, die die Befreiung von Yarden | |
beinhaltete, Anfang Dezember geplatzt ist, sind mehr als drei Monate | |
vergangen. Haben Sie manchmal ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit? | |
Das können wir uns nicht erlauben. Ich habe das letzte Mal vor 110 Tagen | |
von meiner Schwester gehört, aber ich bin mir sicher, dass sie lebt. Ich | |
bin optimistisch – wissen Sie, warum? Weil ich weiß, dass es möglich ist. | |
Weil Yarden zu uns zurückgekommen ist und ich weiß, dass es wieder | |
geschehen kann. Aber wir brauchen die Hilfe der ganzen Welt, auch die von | |
Deutschland, um mehr Druck auf die Hamas auszuüben, damit ein Abkommen | |
zustande kommt. | |
17 Mar 2024 | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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