# taz.de -- Ägypten nach der COP 27: Nach dem Rampenlicht | |
> Während der UN-Klimakonferenz schaute die Welt auf Ägypten. Auch | |
> Menschenrechtler*innen schöpften Hoffnung. Und jetzt? | |
Bild: Werbeplakat der ägyptischen Regierung in Scharm al-Scheich im November 2… | |
BERLIN taz | Normalerweise kommen die Massen ins ägyptische Scharm | |
al-Scheich, um zu schnorcheln, zu feiern, Wüstentouren zu unternehmen. Dann | |
kam die Weltklimakonferenz COP27, das war im November 2022. Plötzlich | |
herrschte ein geschäftiges Treiben in der Stadt an der Südspitze der | |
Sinai-Halbinsel, vor allem in dem mit Zelten und Containern ausgebauten | |
Konferenzzentrum. | |
Rund 40.000 Anzugträger*innen aus aller Welt trafen sich in der | |
Wüstenstadt, um über die Umsetzung des Pariser Weltklimaabkommens zu | |
verhandeln, über den Gipfel zu berichten – oder gar zu protestieren. Das | |
ist sonst in der Militärdiktatur Ägypten mehr oder weniger unmöglich. Das | |
Konferenzgelände galt für die Dauer des Klimagipfels aber als | |
UN-Territorium. Die ägyptische Regierung hatte zudem ein kleines Areal für | |
genehmigte Demonstrationen eingerichtet, auch wenn das allgemein als | |
staatlich kontrollierte Show-Aktion gesehen wurde. | |
„Auf der COP sind wir so frei wie seit Langem nicht mehr“, sagte der | |
ägyptische Journalist Mohamed Ezz der taz im November vor Ort. Er arbeitet | |
für [1][Mada Masr], die einzige unabhängige Onlinezeitung in Ägypten. „Mit | |
der COP hat Ägypten seine internationale Bedeutung wiedererlangt“, so Ezz. | |
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das so schnell wieder umdreht.“ | |
Die internationale Aufmerksamkeit durch die COP hat auch unter | |
Menschenrechtler*innen Hoffnung geweckt. „Wir sahen in der COP eine | |
Chance, Ägypten ins weltweite Rampenlicht zu rücken, über die katastrophale | |
Menschenrechtslage zu informieren und für Reformen zu mobilisieren“, | |
erinnert sich Hossam Bahgat heute, geschäftsführender Direktor der | |
[2][Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR)]. | |
## Immer noch tausende politische Gefangene | |
Tatsächlich hat die Weltpresse ihr Augenmerk nicht nur auf die | |
Klimaverhandlungen gelegt, sondern auch auf die Menschenrechtslage in | |
Ägypten, etwa auf die vielen politischen Gefangenen. Zwei von ihnen waren | |
damals noch Safwan Thabet, Chef von Ägyptens größtem Molkerei- und | |
Saftproduzent, und sein Sohn Seif el-Din. Beide saßen wegen angeblicher | |
Verbindungen zur radikal-islamischen Organisation Muslimbruderschaft zwei | |
Jahre in Haft – ohne Gerichtsverfahren. Im Januar wurden sie [3][aus dem | |
Gefängnis entlassen]. | |
Die internationale Aufmerksamkeit hat seither aber nachgelassen. [4][Dabei | |
zählt Amnesty International immer noch tausende politische Akteure], die | |
willkürlich inhaftiert seien unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi, der 2013 | |
mit dem Militär die Macht in Ägypten übernahm. Das gilt auch für [5][Alaa | |
Abdel Fattah, den bekanntesten ägyptischen Menschenrechtler]. Er sitzt | |
trotz eines Hungerstreiks und internationalen Drucks während der | |
Klimakonferenz weiter im Gefängnis. | |
Eine Klimabewegung im engeren Sinne gibt es in Ägypten auch nach der | |
Weltklimakonferenz nicht. Aktivist*innen würden eine Festnahme | |
riskieren. Dennoch habe der Gipfel etwas verändert, sagt Haneen Shaheen, | |
die sich seit 2016 in Ägypten für Klimaschutz einsetzt und | |
Vorstandsmitglied der arabischen Sparte des globalen Dachverbands Climate | |
Action Network ist. Viele Klimabewegte hätten sich in Scharm al-Scheich | |
vernetzt, berichtet Shaheen der taz. Sie arbeite mittlerweile mit Menschen | |
aus ganz Ägypten zusammen. | |
„Wir haben vielleicht eine andere Art von Aktivismus als alle anderen | |
Länder“, sagt Shaheen. Es gehe weniger um Protest gegen die Regierung als | |
um lokales Engagement, von der Säuberung von Stränden über den Schutz von | |
Wildtieren bis hin zur nachhaltigen Landwirtschaft. Dabei arbeiten sie mit | |
internationalen Unterstützer*innen, der UN oder auch dem ägyptischen | |
Umweltministerium zusammen. | |
Der Klimagipfel hat die Klimakrise Shaheen zufolge auch in der ägyptischen | |
Öffentlichkeit präsenter gemacht. „Endlich stand das Thema ganz oben auf | |
der Tagesordnung“, sagt die Klimaschützerin. „Alle haben über die Umwelt | |
gesprochen. Meine Mutter hat endlich verstanden, was ich mache.“ | |
Befürchtungen, dass die Aktionen in Scharm al-Scheich den Fokus der | |
Regierung verstärkt auf Umweltaktivist*innen gelenkt haben, haben | |
sich für Shaheen bisher nicht bewahrheitet. „Es ist, als hätten sie all die | |
Aktionen bei der COP vergessen“, sagt Shaheen. „Die Regierung scheint eine | |
Pause von der Klimaproblematik einlegen zu wollen.“ | |
## Zwischen Erneuerbaren und Gas-Deals | |
Das kann auch einen anderen Grund haben: [6][Ägyptens Wirtschaft]. Das Land | |
steht wirtschaftlich so schlecht da, dass kaum etwas anderes noch eine | |
Rolle spielt. „Proteste gegen die wirtschaftliche Lage wären für die | |
Regierung weitaus schlimmer als die Klimabewegung“, sagt Journalist Mohamed | |
Ezz im erneuten Gespräch mit der taz einige Monate nach Ende der | |
Klimakonferenz. | |
Dabei wäre Klimapolitik auch in Ägypten wichtig. Zwar liegen die jährlichen | |
Kohlendioxid-Emissionen des Landes unter dem globalen Durchschnitt, | |
[7][seit 2000 steigen sie aber]. Strom kommt immer noch zu 90 Prozent aus | |
fossilen Energiequellen. Öl und Gas sind die [8][beiden größten | |
Exportschlager]. | |
Das bevölkerungsreichste arabische Land ist selbst stark von der Klimakrise | |
bedroht. Sie sorgt für Dürren und Nahrungsmittelknappheit sowie für | |
Zerstörungen durch den steigenden Spiegel des Mittelmeers und des Roten | |
Meers. [9][Dem ägyptischen Klimaforscher Ahmed Eladawy zufolge] spüren | |
Landwirt*innen und Fischer*innen in Ägypten die Klimaauswirkungen | |
jetzt schon. „Sie brauchen niemanden, der ihnen sagt, dass der Klimawandel | |
existiert“, sagt er. | |
Die ägyptische Regierung setzt gleichzeitig auf den Ausbau erneuerbarer | |
Energiequellen wie Solaranlagen oder Windräder und auf Gasdeals etwa mit | |
der EU, die jetzt Gas aus Ägypten als Alternative zu russischem Gas kaufen | |
will. Im vergangenen Sommer schloss die EU eine [10][Absichtserklärung über | |
ein Gasabkommen mit Ägypten], über dessen LNG-Terminals Gas nach Europa | |
kommen soll. | |
Das kritisiert etwa Wahid, ein ägyptischer Menschenrechtler, der seit 2020 | |
im Berliner Exil lebt und seinen vollen Namen aus Angst vor Verfolgung | |
nicht öffentlich nennen will. Zum Weltklimagipfel in Ägypten hatte er die | |
Initiative [11][Occupy COP27] mitbegründet. Er fordert von Ländern wie | |
Deutschland, keine Wirtschaftsbeziehungen mit Ägypten aufzubauen. | |
„Für Gas in Europa eine Diktatur mit einer anderen zu ersetzen ist keine | |
Lösung“, sagt Wahid auf Anfrage der taz. „Das Wichtigste ist, dass die | |
Regierungen, auch die deutsche, ihr Handeln ändern: keine neuen ‚grünen‘ | |
Gasdeals mit Ägypten, keine weiteren Waffen für das Land ohne politische | |
Forderungen in Richtung Verbesserung der Menschenrechtslage.“ | |
19 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.madamasr.com/en | |
[2] /Menschenrechte-in-Aegypten/!5736648 | |
[3] ttps://www.ft.com/content/2ca99dc6-5fba-4bc9-bbbb-5dbd45eba127 | |
[4] https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/aegypten-alaa-abdel-fattah-o… | |
[5] /Putsch-in-Aegypten/!5063982 | |
[6] /Wirtschaftskrise-in-Aegypten/!5909775 | |
[7] https://ccpi.org/country/egy/ | |
[8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1263647/umfrage/wichtigste-e… | |
[9] /Aegyptischer-Klimaforscher-ueber-sein-Land/!5896040 | |
[10] https://www.gtai.de/de/trade/aegypten/branchen/auch-aegypten-und-israel-so… | |
[11] https://twitter.com/OccupyCop27 | |
## AUTOREN | |
Jelena Malkowski | |
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