| # taz.de -- Abschottung in Slowenien: Am Zank-Zaun | |
| > Die Barriere an der Schengen-Grenze zwischen Kroatien und Slowenien ist | |
| > fertig. Nun regelt auch noch ein Gesetz, dass Flüchtlinge draußen | |
| > bleiben. | |
| Bild: Stacheldraht auf der Spitze des Schengen-Zauns in der Nähe von Piran | |
| Ljubljana taz | Die Sicherheit von Europa hängt an einem Vorhängeschloss. | |
| Es ist kleiner noch als jene, mit denen junge Paare glauben, ihre Liebe für | |
| immer bewahren zu können, wenn sie sie an Brückengeländern befestigen. Es | |
| sichert eine Tür, die den grünen Zaun bei Bedarf passierbar machen soll. | |
| Würde man die beiden Metallriegel zur Seite schieben, dann wäre man mit | |
| einem Schritt in Kroatien. Gebaut aber wurde der Zaun von Slowenien, damit | |
| von Kroatien aus niemand hineinkommt: keine Flüchtlinge jedenfalls. Der | |
| Zaun markiert die Schengen-Außengrenze, und dort, wo Slowenien ist, ist | |
| drinnen. | |
| „Soll ich über diesen Zaun lachen oder weinen? Wenn ich mich dagegen lehne, | |
| fällt er um“, sagt Irena Urbič und lässt sich mit Wucht dagegen fallen. Der | |
| Zaun – ungefähr vier Meter hoch – gibt nach und federt sie zurück. Bleibt | |
| aber stehen. Die engagierte Rentnerin organisiert seit Jahren ein | |
| Kulturfestival hier in der Region Istrien, der Halbinsel zwischen Triest | |
| und Rijeka, die zu Venetien gehörte und zum Habsburgerreich, zu Italien, zu | |
| Jugoslawien. Und die nun durchtrennt wird. „Der Zaun wird von Gefangenen in | |
| Ungarn hergestellt, in einem Privatgefängnis“, sagt sie empört und rückt | |
| die dunkle Sonnenbrille zurecht. „Nicht mal zu Zeiten des Eisernen Vorhangs | |
| war hier ein Zaun.“ | |
| Die Sonne scheint und wärmt, hier an der Küste sind es sechs Grad. Gleich | |
| hinter dem Zaun, auf der kroatischen Seite, verläuft ein morastiges | |
| Gewässer. Auf der slowenischen Seite wächst Kohl neben einem längst | |
| abgeernteten Erdbeerfeld. Einer der Anwohner hat die Olivenbäume | |
| beschnitten, die Äste aufgeschichtet. Ein Idyll. | |
| „Das Schräge ist, dass sie mit diesem Zaun die Grenze bestätigen, die sie | |
| eigentlich nicht anerkennen wollen“, sagt Urbič und lacht rau. Sie war | |
| damals dabei, als slowenische Grenzer nach der Unabhängigkeitserklärung den | |
| Kontrollposten mit dem Laster angekarrt haben, vor mehr als 25 Jahren: „Sie | |
| haben ihn an der falschen Stelle abgesetzt, weil das Gelände unwegsam war. | |
| Nur ein paar Meter weiter, und alles wäre okay.“ Die Bucht von Piran ist | |
| ein Zankapfel zwischen Slowenien und Kroatien, es geht um Sloweniens Zugang | |
| zum freien Meer. | |
| Während der „Flüchtlingskrise“, im November 2015, hatten die Slowenen | |
| begonnen, die Grenze mit Nato-Stacheldraht zu sichern, der heute an vielen | |
| Stellen durch Zäune ersetzt wurde. Über 176 Kilometer lang sind die | |
| Grenzanlagen, bei der Bevölkerung beliebt sind sie nicht: ein Schandfleck, | |
| der die Touristen vergrämt, eine tödliche Falle für zahllose Wildtiere. | |
| „Für die Tiere haben wir ja ein Herz, für die Menschen weniger“, sagt Ire… | |
| Urbič und zündet sich eine Zigarette an. Sie war auch dabei, als die ersten | |
| Flüchtlinge ankamen, weiter oben im Norden. „Hier an dieser Stelle war noch | |
| nie ein Flüchtling, kein einziger, was für eine Paranoia“, sagt sie wütend. | |
| Sie erzählt, wie es vor dem Zaunbau war, als sich eines Tages plötzlich | |
| Hunderte, Tausende erschöpfte Menschen in einem slowenischen Kornfeld | |
| niederließen, um zu warten. Wie still es dann war. Und was für ein Chaos in | |
| den ersten Stunden herrschte. „Hierzulande hatte man wohl gehofft, dass der | |
| Sturm an uns vorbeigehen würde. Dem war aber nicht so. Es gab nichts zu | |
| essen, keine Toiletten – es hat Stunden gedauert, bis Wasser und Kekse, | |
| Brot organisiert waren.“ | |
| Im Zeitraum der großen Wanderung haben fast eine halbe Millionen Menschen | |
| Slowenien durchquert, später in der Regel gut versorgt von den Behörden, | |
| dem Roten Kreuz, privaten Helfern. Noch immer kommen vereinzelt welche an. | |
| Nur sehr wenige von ihnen sind in dem beschaulichen Alpen-Adria-Land mit | |
| seinen nur zwei Millionen Einwohnern geblieben. Im vergangenen Jahr haben | |
| 1.308 internationalen Schutz beantragt, 170 haben ihn auch bekommen. Die | |
| meisten Anträge auf politisches Asyl blieben erfolglos. 267 Flüchtlinge | |
| wohnen derzeit in slowenischen Asylbewerberheimen, die meisten aus | |
| Afghanistan, Syrien und Iran. | |
| ## Minister entscheidet über Abschottung | |
| Doch nun hat das Parlament in Ljubljana ein Gesetz verabschiedet, das es | |
| erlaubt, Asylbewerber in Zukunft schon an der Grenze – am Zaun – | |
| zurückzuweisen; so ähnlich, wie es die Ungarn schon lange praktizieren. | |
| Künftig kann, auf Vorschlag des Innenministeriums, beschlossen werden, die | |
| Grenzen für alle Migranten zu schließen, „die nicht die Voraussetzungen für | |
| einen Asylantrag nach EU-Richtlinie erfüllen“. Die Regelung soll in Kraft | |
| treten können, falls die Zahl der Flüchtlinge erneut ansteigt, und dann | |
| jeweils für ein halbes Jahr gelten. | |
| Die Angst geht um in Slowenien, dass man zur Sackgasse werden könnte, wenn | |
| Österreich seine Obergrenze herabsetzt und Deutschland eine solche | |
| womöglich einführt. Premierminister Miro Cerar, Anführer der | |
| Mitte-links-Regierung, behauptet zudem unter dem Druck der | |
| Rechtspopulisten, namentlich der Opposition unter Janez Jansa, zu stehen. | |
| In den letzten Wochen war es zu unschönen Szenen gekommen. In einem Dorf im | |
| Norden protestierten Anwohner gegen die Ansiedlung einer | |
| Flüchtlingsfamilie, weil sie um die „kulturelle Autonomie ihre Enkelkinder“ | |
| fürchten. Einem Schuldirektor wurde die Luft aus den Reifen gelassen, weil | |
| er Flüchtlingskinder unterrichten lassen wollte. Doch dann solidarisierten | |
| sich die meisten Eltern mit ihm. Und somit auch mit den Flüchtlingen und | |
| ihren Kindern. | |
| ## Vom Europarat gerügt | |
| Noch während das Parlament in Ljubljana das neue Gesetz in der vorletzten | |
| Woche debattierte, traf sich auf dem Vorplatz die alternative Intelligenz | |
| der Hauptstadt. Amnesty International hatte zu der Kundgebung aufgerufen; | |
| zuvor war die Regierung bereits zweimal vom Europarat gerügt wurden, weil | |
| die geplante Regelung nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention | |
| kompatibel ist. | |
| „Ich bin enttäuscht“, sagt Sandra Bašič-Hrvatin, eine der Teilnehmerinne… | |
| „Was ist das für eine Politik, wenn Polizisten am Grenzzaun entscheiden, | |
| wer bedürftig ist?“ Laut Gesetz dürfen Flüchtlinge nur passieren, wenn ihre | |
| Gesundheit gefährdet ist oder sie minderjährig sind. | |
| Die Sonne scheint auch in Ljbuljana, doch hier, weiter im Norden, liegt | |
| noch Schnee, es ist kalt. Zwei junge Afghanen halten ein Schild hoch. „Wir | |
| sind keine Taliban, sondern Menschen“ steht darauf. Ein Syrer spricht auf | |
| Slowenisch in ein Mikrofon. Eine kleine Sensation. Seit einem Jahr lebt er | |
| in Ljubljana, seine Familie ist überall verstreut, erzählt er, in der | |
| Türkei, in Syrien. | |
| Payman Qasimian aus dem Iran ist einer der Wenigen, der es geschafft hat, | |
| tatsächlich einen slowenischen Pass zu bekommen. Er ist nun hier, um | |
| Solidarität zu demonstrieren: „Ich bin sehr glücklich – eine Odyssee ist | |
| beendet. Und jetzt, mit diesem Pass, kann ich überallhin gehen, wo ich | |
| will.“ Er war schon in Los Angeles, in der Türkei – aber nirgends konnte er | |
| bislang bleiben. Er ist Satiriker, nun will er davon leben können. | |
| Zana Fabjan Blažič kennt Payman Qasimians und auch den Syrer, der | |
| slowenisch sprechen kann – und nun nach Kroatien abgeschoben werden soll: | |
| „Einerseits ist es schlecht, dass es so wenige Flüchtlinge in Slowenien | |
| gibt – eine Massenbewegung kann man so nicht organisieren. Andererseits | |
| sind sie hier keine anonyme Masse, man kann ihnen individuell helfen – und | |
| es gibt viele, die helfen wollen.“ Blažič engagiert sich im alternativen | |
| Zentrum ROG in Ljubljana, einer ehemaligen Fahrradfabrik. Die Stadt hat | |
| Schilder aufgestellt: „Betreten auf eigene Gefahr“, der Schnee wird nicht | |
| geräumt. Hier haben die Flüchtlinge nun ein eigenes kleines Haus zur | |
| Verfügung, das sie gestalten und nutzen können. Im oberen Stockwerk ist der | |
| große Ofen gut geheizt, ein paar Slowenen und Asylbewerber haben sich um | |
| einen Monitor geschart, „ein Filmworkshop“, erklärt Zana Fabjan Blažič. | |
| ## Vielleicht wird es Liebe | |
| Im Erdgeschoss, im von den Neuankömmlingen selbst gestalteten Clubraum, ist | |
| der Ofen noch kalt. 18 Euro monatlich stehen einem Asylbewerber in | |
| Slowenien zur Verfügung, neben Kost und Logis. „Nicht genug, um am sozialen | |
| Leben teilzuhaben“. Sie zieht den Reißverschluss ihres Kunstpelzes zu, | |
| zündet sich eine Zigarette an, als sie aufglüht, riecht es nicht mehr nach | |
| kaltem Rauch. „Am Anfang waren wir nur eine Art Transportorganisation“, | |
| erzählt sie. Sie und ihre MitstreiterInnen hatten Essen besorgt, Kleider, | |
| Spielzeug. Plötzlich ging es im ROG nicht mehr um Theorie und Kunst, | |
| sondern um Hilfe für die Menschen auf dem Weg nach Norden.„Später haben wir | |
| gemerkt, dass wir uns jetzt auch um die Hiergebliebenen kümmern müssen“, | |
| sagt sie. | |
| Im ganzen Land organisierten sie runde Tische, um für Solidarität zu | |
| werben, sie stellten juristische Beratung und Sprachkurse auf die Beine. | |
| Zana Fabjan Blažič ist erzürnt ob des neuen Asylgesetzes: „Wenn jetzt alle | |
| rechtsradikal werden, damit die Rechte nicht an die Macht kommt, ist das ja | |
| wohl auch keine Lösung.“ Ein junger, schlaksiger Slowene betritt den Raum, | |
| er hat Holz auf dem Arm, um den Ofen anzuheizen. Ein Syrer im gleichen | |
| Alter, vielleicht Mitte zwanzig, kommt mit Equipment, er ist der DJ heute | |
| Abend. Die Partys im ROG sind beliebt, die Alternativszene der Stadt kommt | |
| gerne her. | |
| Wenn der Ofen den Raum gewärmt hat und es dunkel wird, können die von | |
| draußen und die von drinnen hier zusammen tanzen. Vielleicht kann die ein | |
| oder andere Liebe daraus werden, die für immer hält. | |
| 1 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reichert | |
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