# taz.de -- 16. Architekturbiennale in Venedig: Geraubter Raum | |
> Die Architekturbiennale in Venedig hat ihre Tore geöffnet. Die Frage nach | |
> den Chancen für soziale Freiräume ist das zentrale Thema. | |
Bild: Im argentinischen Pavillon kann der der Besucher einen Blick in eine weit… | |
War die Architekturbiennale in Venedig vor zwei Jahren dem Thema Flucht | |
gewidmet, wollen die künstlerischen Direktorinnen Yvonne Farrell and | |
Shelley McNamara unter dem Motto Freespace/Freiraum diesmal das Sujet Raum | |
neu untersuchen lassen. Die Ausstellung beginnt im zentralen Pavillon in | |
den Giardini und setzt sich im Arsenale fort, stellt insgesamt Arbeiten von | |
71 Teilnehmer*innen vor, präzise strukturiert. 13 Positionen befassen sich | |
mit Architektur und Lehre, Tradition und Innovation; unter dem Begriff | |
„Close Encounter“ werden 16 berühmte Gebäude der Kulturgeschichte | |
erforscht, teils mit Modellen interpretiert, teils zeichnerisch | |
nachempfunden. | |
Die Inszenierung der Ausstellung im Arsenale ist eine klare, gelungene | |
Sache, durch einen zentralen Weg strukturiert, begleitet von Projektionen | |
an der Decke sowie Installationen rechts und links des Weges. | |
Der Biennale-Campus in den Giardini ist eine Kleinstadt für sich, mit | |
Haupt-und Nebenwegen und vielen Baustilen und Pavillons, die von einzelnen | |
Ländern seit Beginn des 20. Jahrhunderts betrieben werden. Am Ende eines | |
Hauptwegs, wo die Gebäude von Frankreich, Großbritannien und Deutschland | |
stehen, sind die Räume im Pavillon von Großbritannien leer belassen – als | |
gäbe es in britischen Städten keine Wohnraum- und Sozialprobleme. Dafür | |
kann man über eine aufwendige Konstruktion aufs Dach steigen. | |
Frankreich hat an den Wänden der Innenräume Alltagsgegenstände aufgehängt, | |
verweist damit poetisch auf den Urinstinkt des Sammelns, aber auch auf | |
Platznot. | |
Das Bedrängte oder Großzügige des Raums wird im Schweizer Pavillon | |
tiefergehend diskutiert und anhand von Größenordnungen erlebbar gemacht: | |
Man fühlt sich wie Gulliver auf der fiktiven Insel Lilliput im | |
geschrumpften Raumformat, zwängt sich durch ein Wohnlabyrinth abstrahierter | |
Küchenzeilen, verschleierter Fenster, vergrößerter Türblätter und | |
Türklinken, bekommt Raum physisch und psychisch zu spüren – eine starke, | |
selbstironische Installation, die dem Schweizer Pavillon den Goldenen Löwen | |
eingebracht hat. | |
Brav und geglättet geht es im deutschen Pavillon zu. Nach dem Motto | |
„Unbuilding Walls“ haben die Berliner Architekten GRAFT (Lars Krückeberg, | |
Wolfram Putz und Thomas Willemeit) zusammen mit der Politikerin und | |
ehemaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, | |
einen Rückblick auf das Drama der eigenen Geschichte gewagt, die sich aber | |
weder dem globalen Publikum noch der jüngeren Generation mitteilt. | |
Dabei ist das Hauptthema „Mauerstreifen“ eine hochemotionale Sache, die | |
Teile der deutschen Bevölkerung bis heute berührt. Doch weil die | |
Mauerelemente als Inneneinrichtung des deutschen Pavillons als | |
Informationsträger wie eine banale Messeeinrichtung wirken, fehlt der | |
Inszenierung Gewicht. | |
## Die zentrale Frage | |
Wo es um Freiraum geht, stellt sich die Frage: „Wem gehört der Boden?“ Im | |
Luxemburger Pavillon gehen Florian Hertweck und Andrea Rumpf dieser Frage | |
unter dem Titel „The Architecture of the Common Ground“ nach. Welche Formen | |
von Renitenz und Aktivismus müssen wir Bürger*innen entwickeln? – Das wird | |
die zentrale Frage der kommenden Jahre. Denn Geld, nicht Sozialpolitik | |
regiert die Welt, und Geld entwendet Raum in den Städten, münzt | |
öffentliche, bürgerliche Freiräume in private Zweckräume für Wenige um. | |
In Luxemburg etwa sind nur 8 Prozent des Bodens in öffentlicher Hand. Für | |
die herausragende Umsetzung des Themas hätten Hertweck und Rumpf mindestens | |
einen besonderen Preis verdient. | |
3 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Renata Stih | |
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