# taz.de -- Archtitekturbiennale in Venedig: Partizipationsmodelle in Beton | |
> Die Architekturbiennale besticht durch ihre Offenheit für soziale Fragen | |
> und steckt auch die teilnehmenden Länder mit ihrem „Common Ground“ an. | |
Bild: Keine Starparade soll sie sein, sondern ein Ort der Gemeinsamkeit, die 13… | |
Wer die Ausstellungsräume der 13. Architekturbiennale von Venedig durch das | |
Hauptgebäude im Arsenale betritt, stößt sogleich auf einige Leitsätze des | |
von Chipperfield ausgerufenen Titels „Common Ground“. | |
Der Architekt Bernard Tschumi hat Poster aus den 70er Jahren | |
reaktualisiert, Bilder von Venedig, von funktionalen Bauten, Museen und | |
Stadtaufsichten mit griffigen Parolen zusammengebracht: „Architektur ist | |
nicht so sehr das Wissen von den Formen als eine Form des Wissens.“ | |
Chipperfield hatte versprochen, keine eitle Nabelschau der Architektenstars | |
betreiben zu wollen. Und auch wenn seine Schau gestern durchaus mit großen | |
Namen eröffnete: Die rund 120 Architekten, Künstler und Kritiker waren | |
angehalten, sich gegenwärtigen Fragestellungen um Urbanität, Nachhaltigkeit | |
und Demokratie gemeinsam zu stellen. Und das taten sie, wenn auch in formal | |
sehr unterschiedlicher Weise. | |
Und so muss man neben Tschumi an der ästhetischen Einlasskontrolle auch ein | |
futuristisch anmutendes Modell von Robert Burghardt passieren. Sein | |
„Denkmal für die Moderne“ nimmt Bezug auf den unter großem Aufwand bis 20… | |
abgerissenen Palast der Republik in Berlin, der einst eines der Wahrzeichen | |
der DDR-Moderne war. Burghardt verschachtelt für sein Monument des | |
untergegangenen (sozialistischen) Fortschrittsglaubens verschiedene | |
funktionalistische und modernistische Gebäudemodelle ineinander. | |
## Ambivalenz der Moderne | |
Es ist ein ironischer Kommentar zu der Ambivalenz der klassischen Moderne. | |
Chipperfields Idee des „Common Ground“, des gemeinsamen Grunds, der | |
geistigen Allmende, lebt von der Betonung der Historizität und wartet in | |
den über 60 präsentierten Projekten mit einer Fülle unterschiedlicher | |
Perspektiven und Formsprachen auf. | |
Darunter etwa der begehbare Rohbau des Inders Anupama Kundoo, ein Nachbau | |
des von ihm 2000 in Auroville in Indien errichteten Gebäudes, in dem auch | |
Filme vom Original und der Anfertigung der für den Hausbau notwendigen | |
Produkte gezeigt werden. Manche dieser Installationen sind nah am Event- | |
und Herkunftskitsch, doch dürften sie unbedingt zur Popularität gerade beim | |
Nichtfachpublikum beitragen. Und an die interessierten Laien richtet sich | |
Kurator Chipperfield ausdrücklich. | |
Wie stark der Mensch von der architektonischen Gestaltung seiner Umgebung | |
beeinflusst ist, sollen auch die über mehrere Räume des Arsenale verteilten | |
Bildstrecken des Fotokünstlers Thomas Struth verdeutlichen. Seine ruhig und | |
analytisch wirkenden Gebäude- und Straßenansichten sind zwischen 1978 und | |
2010 entstanden und unter dem Titel „Unconscious Places“ auf der Biennale | |
zusammengefasst. | |
Die programmatische Handlungsarmut der urbanen Szenen wirkt oft | |
melancholisch, häufig wie der Beginn einer Erzählung. Was mag sich hinter | |
den Mauern des rund, halbrund und quadratisch angeordneten Betonensembles | |
der Siedlung Buksoe Dong in Pyongyang verbergen, was unter dem milchig | |
blauen koreanischen Himmel und dem einen einzigen grünen Baum in Struths | |
Bildmitte? | |
## Einladende Aura | |
Ob Korea, China oder Peru – die oft in den Peripherien der Großstädte | |
geschossenen Bilder des Fotografen entwickeln eine eigentümlich | |
unspektakuläre Aura, eine, die zum Verweilen und Sinnieren einlädt. | |
Dass es bildlich möglich ist, die verschiedenen Ansprüche von Chipperfields | |
Common Ground zu verdichten, ohne allzu platt zu werden, beweist auch der | |
„Gateway“, eine Klang- und Bildcollage von Norman Foster und anderen. Durch | |
diesen abgedunkelten Raum müssen alle Besucher des Arsenale-Hauptgebäudes | |
hindurch. Auf dem Boden sind unzählige Namen von für das Labyrinth der | |
Architekturgeschichte bedeutsamen Personen projiziert. | |
Der Darkroom steckt noch einmal kurz die historischen Koordinaten des | |
krisenhaften menschlichen Zusammenlebens über die Jahrhunderte ab – von | |
Machu Pichu über Mekka bis zu den Klassenkämpfen des letzten Jahrhunderts. | |
Aufnahmen zur jüngeren Architekturgeschichte und der Gestaltung des | |
öffentlichen Raums neben Dokumenten der jüngsten Volkserhebungen. Fotos vom | |
Aufstand gegen den Staatsbankrott in Argentinien, Occupy Wallstreet in New | |
York, südamerikanischen Favelas und natürlich auch der Arabellion – aber | |
auch Urban und Guerilla Gardening, Börsen, Stadien und Philharmonien. | |
Mehrmals im Bilderloop wiederholt: Der von einem Demonstranten gegen den | |
Reichstag/Bundestag in Berlin gerichtete Stinkefinger. Common Ground oder: | |
Streit und Protest sind Teil einer demokratischen und urbanen Kultur. | |
## Vielheit des Ausdrucks | |
Im Analytischen und in der Vielheit des Ausdrucks ist die Ausstellung | |
stark. Man wird auch nicht von Formelhaftigkeit oder Politbesserwisserei | |
erschlagen. Nein, die Schau in Venedig hat einen abwechslungsreichen | |
Rhythmus, zu dem die Auseinandersetzung mit dem Stil einer Zaha Hadid – ein | |
riesiger Saal ist ihrer organischen und fließenden Formsprache gewidmet – | |
genauso gehört wie eine eher ins Soziologische und Baurechtliche | |
abdriftende Diskussion um die Elbphilharmonie in Hamburg oder die | |
Rückeroberung städtischen Raums durch die Re-Etablierung öffentlicher | |
Parkanlagen in Santiago de Chile. | |
Sir David Chipperfield hatte zuletzt auch an herausragender Stelle in | |
Deutschland gebaut und so den Umbau des neuen Deutschlands nach dem | |
Mauerfall begleitet. Weniger mit der Abrissbirne als vielmehr undogmatisch | |
das Vorgefundene auf seine Brauchbarkeit und Originalität überprüfend, wie | |
im Neuen Museum in Berlin, um es mit neuen Konzepten zu verbinden. | |
Doch spannender als die Besichtigung der von ihm und seinen Kollegen in | |
Venedig eher nebenbei präsentierten Modelle diverser Großbauten, ist, im | |
Wechsel mit ästhetischen Anschauungsunterricht, die frontale Thematisierung | |
der Konflikte, wie sie sich bei Umwandlungen/Neubauten ergaben: Beispiel | |
Elbphilharmonie. | |
Und so entkommt man in Venedig auch der eigenen Zeitung nicht. Die | |
Architekten Herzog & de Meuron haben einen ganzen Raum im Arsenale | |
vorwiegend mit der Reproduktion von Zeitungsseiten gestaltet, die den | |
Streit um das verflixte künftige Hamburger Wahrzeichen dokumentieren. | |
## Baukosten als Zwänger | |
Darunter auch eine taz-Nord-Titelseite: „Konzerthaus-Hängepartie geht | |
weiter“. Die Überschrift bezeichnet bis heute präzise die Lage des | |
Projekts. Herzog & de Meuron hatten ohne Schwierigkeiten in München die | |
Allianz-Arena oder in Peking das Olympia-Stadium erbauen können. Doch in | |
Hamburg haben sich in der Bauphase die Kosten verdreifacht. Der Bauherr | |
(die Stadt) schien überfordert und dem Baukonzern Hochtief als | |
Generalunternehmer ausgeliefert. | |
Wo die Kosten steigen, stehen zumeist auch die Architekten dumm da, selbst | |
wenn sie nicht unbedingt verantwortlich sein müssen. Wie man in Venedig nun | |
in großen Schriftzeichen nachlesen kann, verteidigen Herzog & de Meuron | |
nach wie vor ihren großen Entwurf in der Hamburger Hafencity. | |
„Architektur ist ein wichtiges, archaisches Bedürfnis des Menschen,“ sagte | |
Jacques Herzog in einem Interview, während Pierre de Meuron die | |
Undurchschaubarkeit der Verhandlungen zwischen Bauherrn und | |
Generalunternehmer beklagt und Kostenanstieg wie Verschleppung der Bauphase | |
nicht versteht. | |
Auch die besseren Beiträge in den Länderpavillons auf dem zweiten Teil des | |
Ausstellungsgeländes im Giardini greifen die Chipperfield’sche | |
Fragestellung nach der zweiten, nachhaltigen Moderne konsequent auf und | |
versuchen neue Ansätze zu präsentieren. Der deutsche Pavillon unter Leitung | |
von Muck Petzet und gestaltet von Konstantin Grcic präsentiert | |
großformatige Fototapeten nachhaltig umgewandelter Bauten. | |
## Kleinteilige Lösungen | |
Es sind eher unspektakuläre Beispiele, das kleine Haus von Brandlhuber+ in | |
der Berliner Brunnenstraße, der dort auf einer Bauruine sein karges Konzept | |
aufsetzte, oder die Stadterneuerung Europarei Uithoorn von Kempe Thill in | |
Rotterdam. Andere wie die US-Amerikaner sind im Urban- und | |
Guerilla-Gardening unterwegs, propagieren neue Partizipationsmodelle, | |
kleinteilige Häuser und Lösungen. Leider erinnert jedoch die | |
leidenschaftslose Präsentation ein wenig an Fischer-Technik und impliziert | |
vorauseilend so etwas wie den korrekten akademischen Blick. | |
Die nordischen Länder können sich ihrer eigenen Tradition und Stärke | |
versichern und sich erlauben, zum Jubiläum ihres 1962 erbauten Lichthauses | |
einen eher design-ästhetischen Kontrapunkt zu setzen. Hohl wird es auf | |
dieser Chipperfield-Biennale selten. | |
Bei den Österreichern vielleicht (esoterisch-künstlerische | |
Privatverschwurbelung) oder bei Venezuela (staatssozialistische Parolen, | |
keine formale Vision) und Israel (staatskritische und antiamerikanische | |
Propaganda, unterstes Propagandaniveau) oder den Brasilianern (ironisch | |
sein wollender Nachbau der Hängematten von 1964 mit harmlosem Guckkasten | |
ins Private). Aber insgesamt ist, wenn nicht schon Venedig, so doch dieser | |
Common Ground absolut eine Reise wert. | |
30 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Venedig | |
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