# taz.de -- 10 Jahre Refugee-Camp Oranienplatz: Die Idee ließ sich nicht räum… | |
> Einst war der Oranienplatz das Zentrum des deutschen | |
> Flüchtlingsprotestes. Nach traurigem Ende ist die Bewegung bis heute | |
> ungebrochen. | |
Bild: Zeitweise sehr kalt und ungemütlich: Das Flüchtlingscamp vom Oranienpla… | |
BERLIN taz | Die zwei Mahnmale, die heute auf dem Oranienplatz stehen, sind | |
Teil des Erbes der Flüchtlings-Bewegung: Mitten in Berlin-Kreuzberg | |
eröffneten sie im Oktober 2012 ein Protestcamp. Eine [1][Eisenplatte mit | |
zwei Quadern] aus Stein erinnert seit 2020 an Opfer von Rassismus und | |
Polizeigewalt. Und eine aus sechs Flügeln bestehende Stelltafel wirft | |
Fragen zu Freiheit, Flucht und Grenzen auf. | |
Ab Mittwoch wird auf dem Oranienplatz das zehnjährige Jubiläum der Bewegung | |
gefeiert. Die Bühne für die Podiumsdiskussionen und Konzerte steht schon. | |
Aber wären da nicht die Ankündigunsplakate, man würde den blauweißen, | |
doppelstöckigen Container glatt für einen Baustellencontainer halten. | |
Vielleicht ist diese Assoziation sogar Absicht: Quer über die Plakate | |
„O-Platz wird 10“ verläuft ein rot-weißes Flatterband mit der Aufschrift | |
[2][„Baustelle Migration“]. | |
Am 6. Oktober 2012 trafen rund 70 Geflüchtete und 100 | |
Unterstützer*innen nach vier Wochen und 600 Kilometern Fußmarsch aus | |
Süddeutschland in der Hauptstadt ein. Proteste und Hungerstreiks in vielen | |
Städten waren dem Treck vorausgegangen. Die wichtigsten Forderungen der | |
Bewegung: Bleiberecht für alle, keine Residenzpflicht, keine „Lager“, also | |
Massenunterkünfte. | |
Dass es die Residenzplicht so wie früher heute nicht mehr gibt, sei ihr | |
Erfolg, sagt Adam Baher, damals einer der Köpfe der Bewegung: „Es war auch | |
unsere Forderung, dass die Essenspakete und Gutscheine abgeschafft werden. | |
Heute bekommen die Flüchtlinge fast überall Bargeld.“ | |
## Der Politik ein Dorn im Auge | |
Damals gingen vom Oranienplatz zahlreiche Demonstrationen aus. Es gab | |
Hungerstreiks. Aktivist*innen besetzten Botschaften und Kirchengebäude. | |
Und sie hielten ein „Refugee Tribunal against Germany“ ab. | |
Im Dezember 2012 besetzen Geflüchtete die ehemalige | |
Gerhard-Hauptmann-Schule in Kreuzberg, wo dann ebenfalls bis zu 200 | |
Geflüchtete lebten. Im Laufe des Jahres 2013 kamen weitere hinzu, die aus | |
Lampedusa vor den schlechten Lebensbedingungen nach Berlin geflüchtet | |
waren. | |
Der Politik waren Camp und Schule ein politischer Dorn im Auge – auch wenn | |
das grün regierte Friedrichshain-Kreuzberg durchaus Sympathien mit den | |
politischen Forderungen erkennen ließ. Sozial und logistisch waren die | |
Besetzungen ebenfalls eine Herausforderung: Trotz solidarischer | |
Unterstützung fehlte es den Menschen oft am Notwendigsten, von | |
Zukunftsperspektiven ganz zu schweigen. | |
Nach langen Verhandlungen kam es im Frühjahr 2014 zum „Einigungspapier | |
Oranienplatz“. Darin versprach die damalige Integrationssenatorin Dilek | |
Kolat (SPD) den Geflüchteten Unterstützung für ihre politischen | |
Forderungen, eine wohlwollende rechtliche Prüfung der Einzelfälle und | |
Unterstützung bei der beruflichen Eingliederung. Das Angebot war unter den | |
Aktivist*innen umstritten: Eine Minderheit um Bahar, die den Protest | |
begonnen hatte, lehnte es ab, die Mehrheit, die „Lampedusas“ um Bashir | |
Zakaria, war dafür. So beendeten die Flüchtlinge am 8. April 2014 die | |
Platzbesetzung. | |
## Senat hielt Abkommen nicht ein | |
Tatsächlich war das Misstrauen begründet: [3][Der Senat hielt sich nicht an | |
seinen Teil der Abmachung]. Von 576 Männern auf einer Liste [4][hatten ein | |
Jahr später nur 3 einen Aufenthaltstitel], ein Dutzend bekam eine Duldung. | |
So ging die Geschichte für viele Beteiligte nicht gut aus: Einige | |
verzweifelten, rutschten in Obdachlosikeit oder Drogenabhängigkeit. | |
Mindestens zwei sind gestorben: [5][Yusuf] wurde 2016 erstochen, | |
[6][Zakaria], der bei der Flucht aus Libyen übers Meer seine zwei Kinder | |
verloren hatte, starb 2016 mit nur 44 Jahren an Herzversagen. Über das | |
Schicksal vieler anderer ist nichts bekannt. | |
Die Bewegung als ganzes hat dennoch nie aufgehört, viele Geflüchtete sind | |
weiter aktiv. Nur anders. | |
4 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Denkmal-fuer-Opfer-von-Rassismus/!5717616 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
Plutonia Plarre | |
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