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# taz.de -- Flüchtlinge zweiter Klasse: Aufenthalt bleibt Fiktion
> Die ersten aus der Ukraine geflüchteten Studierenden ohne ukrainischen
> Pass werden ausgewiesen. Sie waren zu kurz hier, um ihr Studium fort zu
> führen.
Bild: Demonstrieren vor dem Amt für Migration: Ukraine-Flüchtlinge aus Dritts…
Hamburg taz | Rund 60 Menschen haben sich am Donnerstag vor dem Amt für
Migration in Hamburg versammelt, nachdem das „Bündnis sicheres Bleiberecht“
zu einer Kundgebung aufgerufen hatte.
Vier Studierende, die aus der Ukraine geflohen sind, aber nicht die
ukrainische Staatsangehörigkeit besitzen, hatten in den letzten Tagen
Ausreiseverfügungen von der Ausländerbehörde erhalten und sollen bis zum 8.
November Deutschland verlassen. Grund dafür ist, dass aktuell die
sogenannten [1][Fiktionsbescheinigungen der ersten in Hamburg Angekommenen
ausgelaufen sind].
Der Hamburger Senat hatte im vergangenen April beschlossen, allen
[2][ukrainischen Studierenden aus sogenannten Drittstaaten eine
sechsmonatige Fiktionsbescheinigung auszustellen], die ein vorläufiges
Aufenthaltsrecht begründet, solange sich der Antrag auf ein dauerhaftes
Aufenthaltsrecht in der Prüfung befindet.
Dies sei in über 900 Fällen in Hamburg geschehen, berichtet Michael Gwosdz,
fluchtpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion Hamburg. Diese Menschen
„können jetzt die Voraussetzungen für einen dauerhaften Aufenthalt in
Hamburg schaffen“, so Gwosdz.
## Unerreichbare Anforderungen
Für die nun Ausreisepflichtigen gilt das zumindest nicht mehr. Die
flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburgischen
Bürgerschaft, Carola Ensslen, hatte daran von Anfang an Zweifel: „In einem
halben Jahr ist es unmöglich, die sprachlichen Voraussetzungen für ein
deutschsprachiges Studium zu erreichen“, sagt sie.
Gleiches erzählt auch Ahmed, der seinen Nachnamen lieber nicht öffentlich
machen möchte. Vier Jahre habe er in der Ukraine Medizin studiert, bevor er
nach Deutschland geflohen sei, sagt der Sudanese. Mittlerweile habe er das
Sprachniveau B1 erreicht[3][. Um in Deutschland sein Studium weiterführen
zu dürfen, müsse er allerdings das Niveau C1 nachweisen,] sagt er. Da die
Ausländerbehörde ihm eine Ausreiseverfügung zum 8. November geschickt hat,
ein unerreichbares Ziel.
Dazu fehle es auch an finanziellen Unterstützungsangeboten, erklärt
Ensslen. Eine Finanzierungsmöglichkeit, um die sich viele Betroffene
aktuell bemühten, sei ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Das schütze
auch zumindest theoretisch vor einer Ausweisung.
Jedoch wurde ein Drittstaatsangehöriger, der bereits seit dem 15. Oktober
in einem FSJ bei einer Kita der Diakonie tätig sei, ebenfalls zur Ausreise
bis zum 8. November aufgefordert, heißt es in einer Pressemitteilung des
„[4][Bündnisses sicheres Bleiberecht]“. „Die Ausländerbehörde findet G…
wie zum Beispiel einen gerade abgelaufenen Aufenthaltstitel in der Ukraine,
und schon können sie die Ausweisverfügung ausstellen“, berichtet Ensslen.
Die Innenbehörde betont, sie arbeite gemeinsam mit den Hamburger
Hochschulen mit „Hochdruck“ daran, die Studierenden auf dem Weg zu den
notwendigen Voraussetzungen für die Fortsetzung ihres Studiums zu
unterstützen. Es habe eine „digitale Informationsveranstaltung“ und eine
„schriftliche Zusammenstellung von Informationen“ gegeben.
Die Grünen-Fraktion verweist auf die herausfordernde Situation für die
Behörden durch die steigende Anzahl an Ankünften. Dass es hierbei zu
Fehlern komme, sei daher nicht auszuschließen, sagt Michael Gwosdz und
plädiert für wechselseitige Nachsicht.
Warum im Umgang mit ukrainischen Geflüchteten mit ukrainischer
Staatsangehörigkeit vieles richtig laufe und bei Drittstaatsangehörigen
nicht, versteht Patricia Lehmann nicht. Sie arbeitet in einem Hamburger
Jobcenter und beobachtet eine eindeutige Ungleichbehandlung.
„Der Hauptantrag wurde gekürzt auf zwei Seiten. Es wurde alles auf
ukrainisch übersetzt. Ukrainische Dolmetscher wurden eingestellt und es
werden bedingungslos einjährige Fiktionsbescheinigungen ausgestellt“, zählt
sie auf. Das Absurdeste sei jedoch laut Lehmann, dass die Menschen ohne
ukrainische Staatsangehörigkeit, die jetzt ausgewiesen werden, fast
ausschließlich hoch qualifiziert seien.
Lehmann betont, dass sie nicht den Umgang mit den Ukrainer*innen
kritisieren will, sondern den Umgang mit den Drittstaatsangehörigen – und
benennt den Kern des Problems als Rassismus.
Ensslen befürchtet, dass die Zahl der Ausreiseverfügungen in den kommenden
Wochen zunehmen werde. Sie fordert eine einjährige Fiktionsbescheinigung
für alle Geflüchteten, egal welcher Staatsangehörigkeit.
27 Oct 2022
## LINKS
[1] /Rechte-ukrainischer-Gefluechteter/!5883488
[2] /Drittstaatler-aus-der-Ukraine/!5875029
[3] /Chancenaufenthaltsrecht-fuer-Geduldete/!5885980
[4] http://www.buendnis-bleiberecht.de/
## AUTOREN
Jasper von Römer
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Migration
Bleiberecht
Ukraine
Geflüchtete
Ukraine-Konflikt
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Aufenthaltsrecht
Aufenthaltsrecht
Schwerpunkt Flucht
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