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# taz.de -- Bedrohtes Bäckerei-Kollektiv in Berlin: Der Mehlwurm kämpft ums �…
> Seit 42 Jahren backt die Bio-Traditionsbäckerei Mehlwurm in Neukölln –
> aber jetzt ist sie insolvent. Das hat wohl auch mit hippen Brot-Start-ups
> zu tun.
Bild: Das gute Brot – derzeit noch in den Händen von Andreas Striegnitz und …
Der Geruch von frisch gebackenem Brot durchzieht die Backstube. Eben hat an
diesem frühen Nachmittag die zweite Tagesschicht bei der Biobäckerei
Mehlwurm in Neukölln begonnen, die ihren Sitz in der Pannierstraße hat,
etwas abseits vom [1][ewigen Trubel auf der Sonnenallee]. „Wie lange
arbeitest du schon hier, Markus? Seit 20 Jahren?“, fragt Andreas
Striegnitz, Geschäftsführer der Bäckerei, seinen Kollegen, der nun weitere
Sonnenblumenkern- und Möhre-Walnuss-Brote für den nächsten Tag backen wird.
„Seit 27 Jahren sogar“, antwortet Markus, fast so lange wie Striegnitz
also, der 1991 bei Mehlwurm eingestiegen ist.
Für beide endet in diesen Tagen damit eine Ära, ihnen und ihren insgesamt
rund 30 Kollegen und Kolleginnen wurde zum Jahresende gekündigt.
Heiligabend verkauft Mehlwurm seine Backwaren wohl zum letzten Mal.
Mitte Juli hatte die Neuköllner Bio-Traditionsbäckerei Insolvenz
angemeldet, im Oktober wurde das Verfahren abgeschlossen und der ganze
Betrieb dem Insolvenzverwalter übergeben. Mehlwurm, 1983 als neunköpfiges
Kollektiv mit dem Vorsatz gegründet, „nicht nur gesunde Lebensmittel,
sondern auch gesunde Arbeitsverhältnisse zu schaffen“, so Striegnitz, ist
damit zumindest in seiner bisherigen Form Geschichte.
Der Tagesspiegel hatte als Erster [2][das Ende des Bio-Betriebs vermeldet].
Versehen mit dem Hinweis, dass man trotz Insolvenz weiterhin auf einen
Investor hoffe. Jetzt, kurz vor Weihnachten, könnte es vielleicht doch noch
zu einem kleinen Wunder kommen. Auch ein Ehepaar, das in Moabit ein
Logistikunternehmen betreibt, hat den Artikel gelesen und sich daraufhin
bei Mehlwurm gemeldet. Die Mutter einer der beiden Unternehmer sei früher
Stammkundin bei dem Bäcker gewesen, so Striegnitz, und ihnen sei der
Gedanke gekommen: Mehlwurm muss gerettet werden.
Nun, wo das Ende doch eigentlich schon besiegelt war, deute sich immer
stärker an, dass tatsächlich alles noch anders kommen könnte. „Zu 90
Prozent“ glaube Striegnitz inzwischen daran, dass Mehlwurm übernommen wird.
Dann wäre wie gehabt am 24. Dezember Schluss, nach einer Renovierung stünde
aber bereits Ende Januar ein Neustart an. Für viele der Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen von Striegnitz käme die Übernahme freilich zu spät, sie
hätten längst neue Jobs bei anderen Backbetrieben gefunden oder wollten
sich in anderen Branchen ausprobieren.
Striegnitz selbst aber wollte das untergehende Schiff bislang noch nicht
verlassen. Er hofft, dass er bei einer möglichen Übernahme bei Mehlwurm
bleiben darf. „Es wäre für mich ein echtes Drama, wenn es zu Ende ginge“,
sagt er. Auf der [3][Homepage der Bäckerei], die er selbst verwaltet, steht
seit ein paar Tagen immerhin die vorsichtig optimistische Einschätzung:
„Wir arbeiten gerade an einer möglichen Übernahme. Ist allerdings noch
nicht verbindlich.“
## An der Qualität kann es nicht liegen
Wie aber kam es zu der gravierenden finanziellen Schieflage bei Mehlwurm?
Die Bäckerei verkauft ihre Backwaren schließlich seit Langem nicht nur im
Neuköllner Stammhaus, sondern auch in der Marheinekehalle in Kreuzberg und
auf mehreren Berliner Wochenmärkten. An der Qualität kann es nicht liegen.
Der Autor dieser Zeilen legt hiermit offen, schon lange Stammkunde bei
Mehlwurm zu sein, ein Leben ohne deren Apfeltaschen und Kürbiskernbrötchen
ist für ihn kaum vorstellbar.
Zuerst einmal wäre da als Grund die Coronapandemie zu nennen, die
Striegnitz als „Zäsur“ beschreibt. Die Zeit mit ihren ständigen Lockdowns
und Unsicherheiten selbst sei natürlich schwierig gewesen, aber direkt
danach ging es los mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, den
steigenden Produktions- und Energiekosten und der Inflation. Vielen
Backbetrieben in ganz Deutschland [4][ging es damals nicht gut]. Aber es
sei eben auch danach kaum besser geworden, so Striegnitz.
Viele einstige Stammkunden, die vor der Pandemie auf dem Weg zur Arbeit
noch ein Brot bei Mehlwurm kauften, hätten sich während Corona in ihr
Homeoffice begeben und daran habe sich auch danach nichts geändert. Der
Umsatz sei somit zu niedrig geblieben, bis dann nur noch die Insolvenz
blieb.
Striegnitz will aber auch nicht verschweigen, dass man als
selbstverwalteter Betrieb, der in der Öko- und Biowelle der frühen
Achtziger gestartet ist, irgendwann wahrscheinlich in bestimmten
wirtschaftlichen Dingen zu dilettantisch agiert habe. Einen Steuerberater
beispielsweise habe man sich lieber gespart, im Nachhinein wahrscheinlich
ein Fehler, der viel Geld gekostet habe. Außerdem fertige man „zu viele
Produkte in kleiner Stückzahl“ an, was zu kostenintensiv sei. „Wir müssen,
falls es weitergeht, moderner werden“, sagt er.
Dazu kommt natürlich auch heute eine völlig andere Marktsituation für einen
Biobäcker. Der Mehlwurm wurde gegründet, als es noch keine Biosupermärkte
mit eigenen Backfilialen gab und auch keine Konkurrenz durch [5][all die
hippen Brot-Start-ups], die es inzwischen in der Foodie-Stadt Berlin gibt.
Gegenüber Letzteren, wie etwa La Maison mit seinen zwei Filialen ganz in
der Nähe vom Mehlwurm, sieht so ein glanzloser Biobäcker aus wie ein Laden
aus der Öko-Steinzeit.
Bei Mehlwurm mit seinem Fokus auf Bio und Vollkorn und einer Homepage, auf
der nichts reißerisch wirkt, denkt man schnell an abgetragene Wollpullis.
Bei La Maison stehen die Leute währenddessen Schlange, um teure Croissants
zu erstehen, was dann über Instagram geteilt wird. Die Produkte von La
Maison sind schon vom Preisniveau her elitär und besonders, während so ein
Croissant von Mehlwurm eben nur von so einem zertifizierten Biobäcker
stammt, der irgendwann in den Achtzigern gegründet wurde.
Auch würde man eine Bäckerei heute sicherlich nicht mehr Mehlwurm nennen,
so Striegnitz. In Berliner Sponti-Zeiten ging das noch. Heute verstehen
viele nicht mehr, dass das vielleicht auch witzig ist, wenn man einen
Backbetrieb nach dem größten Feind des Bäckers benennt und den auch noch
als eine Art Comicfigur in seinem Logo hat. „Andererseits“, sagt
Striegnitz, „gibt es den Namen nun aber auch schon seit 42 Jahren.“ Falls
es nun wirklich in allerletzter Minute zur Übernahme durch das Moabiter
Logistikunternehmen kommen sollte, werde der Betrieb, der dann nicht mehr
von einem Kollektiv geleitet wird, wahrscheinlich seinen Namen behalten.
17 Dec 2025
## LINKS
[1] /Neukoellner-Mythos/!6126592
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/neukoelln/aus-fur-traditionsbetr…
[3] https://www.mehlwurm.de/
[4] /Backgewerbe-in-Krisenzeiten/!5882266
[5] /Schwieriges-Handwerk/!6081486
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Berlin-Neukölln
Handwerk
Bäckereien
Brot
Insolvenz
Schwerpunkt Stadtland
Bäckereien
Lesestück Recherche und Reportage
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