| # taz.de -- Neue Kinder- und Jugendbücher: Das Prinzip Hoffnung | |
| > Bildstarke Erzählungen über außergewöhnliche Frauen erinnern an Judith | |
| > Kerr und Jella Lepman, die Flucht aus Nazideutschland und ihr Leben mit | |
| > Büchern. | |
| Bild: Abbildung aus „Haus am Park“ | |
| „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ zählt zu den Klassikern der | |
| deutschsprachigen Jugendliteratur. Seit seiner Übersetzung aus dem | |
| Englischen 1973 macht der Roman hierzulande Kinder mit den Themen | |
| Nationalsozialismus und Emigration vertraut. Dem bewegten Leben seiner | |
| Autorin nähert sich auf ungewöhnliche Weise „Das Haus am Park. Judith Kerr | |
| und ihr Leben in London“. | |
| In der Neuerscheinung des britischen Journalisten Thomas Harding und der | |
| Berliner Illustratorin Britta Teckentrup wird das ehemalige Wohnhaus der | |
| 2019 verstorbenen Schriftstellerin zum Angelpunkt einer biografischen | |
| Bildgeschichte, die uns zurück in die Vergangenheit führt. | |
| Denn ähnlich wie Anna, die Hauptfigur ihres Erfolgsromans, musste auch | |
| Judith Kerr als junges Mädchen mit ihrer jüdischen Familie 1933 aus | |
| Deutschland fliehen. Im selben Jahr wurden die Bücher ihres Vaters, des | |
| Theaterkritikers Alfred Kerr von den Nazis verbrannt. Über Umwege gelangt | |
| Judith mit dem Bruder und den Eltern 1935 nach Großbritannien. Allmählich | |
| fasst sie in der fremden Gesellschaft und der neuen Sprache Fuß. | |
| Doch erst „Das Haus am Park“ im Londoner Stadtteil Barnes, in das Judith | |
| Kerr 1962 mit ihrem britischen Ehemann und den Kindern Tacy und Matthew | |
| einzieht, wird zu dem Ort, an dem sie endgültig in der neuen Heimat | |
| ankommt. In diesem Haus entdeckt Judith Kerr auch ihre Berufung. Nach einem | |
| Zoobesuch mit der Tochter entsteht die Idee zu ihrem ersten, heute | |
| weltberühmten Bilderbuch über den ungebetenen Besuch eines Tigers – „Ein | |
| Tiger kommt zum Tee“. Dort in der Ranelagh Avenue 11 verfasst und | |
| illustriert sie bis ins hohe Alter Erzählungen für Kinder. | |
| ## Inspiration von Familienfotos | |
| Thomas Harding beschreibt diesen Prozess in einer reduzierten, poetischen | |
| Sprache. So gelingt ein gekonntes Zusammenspiel mit Teckentrups | |
| stimmungsvollen Illustrationen, die in einer Mischtechnik aus | |
| strukturiertem Papier, Collagen und digitaler Bearbeitung gefertigt sind. | |
| Einige Szenen scheinen von Familienfotos inspiriert zu sein. Das Projekt | |
| entstand nach dem Tod der 95-Jährigen, im Austausch mit ihren Kindern Tacy | |
| und Matthew. | |
| Es ist der vierte Band über ein Haus und seine ehemaligen Bewohner, den | |
| Harding und Teckentrup gemeinsam veröffentlichen. Den Auftakt dieser Reihe | |
| machte 2016 „Sommerhaus am See“, das von einem Ort und gleichzeitig von | |
| hundert Jahren wechselvoller deutscher Geschichte erzählt. Der Feriensitz | |
| in Groß Glienicke gehörte bis zu ihrer Vertreibung 1936 der Familie | |
| Alexander, Verwandten von Thomas Harding. | |
| Die Neuerscheinung „Das Haus am Park. Judith Kerr und ihr Leben in London“ | |
| lässt besonders [1][die Gabe der weltberühmten Kinderbuchautorin] erahnen, | |
| lebensbejahend den historischen Erfahrungen und der Unbill etwas | |
| entgegenzusetzen. Das verbreitet Zuversicht. | |
| ## *** | |
| Auch Jella Lepman begegnete der Welt mit Offenheit und Neugier. Ein paar | |
| Jahre nach Familie Kerr war sie 1936 noch rechtzeitig mit Tochter und Sohn | |
| aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach London geflohen, nachdem | |
| ihr Berufsverbot beim Stuttgarter Neuen Tageblatt erteilt worden war. Nach | |
| Kriegsende kehrt die jüdische Journalistin im Auftrag eines | |
| Re-Education-Programms der U.S. Army nach Deutschland zurück. | |
| In den Trümmern ihres ehemaligen Heimatlandes misstraut Lepman den | |
| Erwachsenen, begegnet sie doch dort oft genug unverbesserlichen Nazis und | |
| wendigen Opportunisten. Doch die Visionärin setzt große Hoffnungen auf die | |
| heranwachsenden Generationen. „Sie hatte sich entschieden. Das Schicksal | |
| dieser Kinder war zu wichtig.“ Auf einer abenteuerlichen Reise im Jeep der | |
| US-Armee durch das zerstörte Deutschland hatte sich Lepman selbst ein Bild | |
| von der Lage gemacht. Besonders den Kindern fehlte es oftmals an allem. | |
| Doch für einen Neuanfang benötigten sie dringend auch geistige Nahrung. | |
| ## Historische Umbrüche in Europa | |
| Mit der Gründung der internationalen Jugendbibliothek in München schuf sie | |
| durch unkonventionelles, beharrliches Vorgehen einen Ort für kulturellen | |
| Austausch und Toleranz, der bis in die heutige Zeit Wirkung zeigt. | |
| Über ihr bewegtes und engagiertes Leben erzählt die Neuerscheinung „Jella | |
| Lepman und ihre Bibliothek der Träume“, eine illustrierte Biografie. | |
| Anschaulich schildert die US-amerikanische Schriftstellerin Katherine | |
| Paterson für Kinder ab zehn Jahren diesen beeindruckenden Lebensweg mit | |
| Anekdoten angereichert vor dem Hintergrund der historischen Umbrüche in | |
| Europa. In Anlehnung an Lepmans eigene in „Die Kinderbuchbrücke“ [2][2020 | |
| neu aufgelegte Erinnerungen], gibt die Erzählung altersgerecht auch | |
| Einblicke in die historischen Verhältnisse der Weimarer Republik, des | |
| Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit. | |
| Passend dazu wählte die Illustratorin Sally Deng einen realistischen | |
| Zeichenstil in Graphit- und Pastelltönen, der an US-Magazine der 1940er | |
| Jahre erinnert. Ergänzend dazu vermitteln ausgewählte Archivaufnahmen einen | |
| lebhaften Eindruck von der Aufbruchstimmung, die sich nach den Jahren der | |
| Indoktrination und des Krieges nun unter den Kindern in der | |
| Jugendbibliothek beim Lesen, Malen, Schauspielen und Debattieren | |
| verbreitete. „Jedes Kind beginnt ein neues Leben, das ist eben das | |
| Geheimnis.“ Jella Lepman vertraute darauf. | |
| ## *** | |
| In „Meine Geschichte von Mutter und Tochter“ adaptiert die Illustratorin | |
| Katharina Greve einen populären Comic-Strip der 1930er Jahre, den sie auf | |
| zeitgenössische Verhältnisse überträgt. Wer kennt sie nicht, die | |
| Alltagsepisoden von „Vater und Sohn“. Ihr Urheber, der Zeichner und | |
| Karikaturist Erich Ohser, veröffentlichte die humorvollen, manchmal etwas | |
| brav wirkenden Comic-Strips ab 1934 unter dem Pseudonym e.o.plauen in der | |
| Berliner Illustrierten Zeitung mit der ausdrücklichen Auflage, sich nicht | |
| politisch zu betätigen. | |
| Ausgewählte Szenen aus Ohsers Klassiker greift Greve nun auf und nimmt sie | |
| zum Ausgangspunkt für ihre urbanen Bildgeschichten, in denen sie von den | |
| heiteren Momenten, überraschenden Begegnungen oder auch frustrierenden | |
| Erlebnissen einer couragierten Mutter und ihrer jungen Tochter erzählt – | |
| von Besuchen auf Flohmärkten, Rollschuhunfällen oder | |
| Waschmaschinenfernsehen. Die beiden bilden ein gutes Team. Selbstbewusst | |
| und nonkonformistisch begegnen sie den Herausforderungen des Alltags. | |
| Dann werden im Vorbeigehen auch mal Hakenkreuze an Hauswänden rasch in | |
| Käsekästchen verwandelt oder in Mülleimer gesteckt. Doch auch | |
| unterschiedliche Wünsche, Vorstellungen und Konflikte müssen Mutter und | |
| Tochter immer wieder neu verhandeln. Dabei wirken Greves | |
| Schwarz-Weiß-Illustrationen, mit wenig Farbe ergänzt und stilistisch | |
| reduziert, fast wie Piktogramme. | |
| Wie schon das Original kommt auch „Meine Geschichte von Mutter und Tochter“ | |
| ganz ohne Worte oder Sprechblasen aus. Dabei gelingt es der Berliner | |
| Comicautorin, auch komplexere Themen in wenigen Panels und mit | |
| hintergründigem Witz darzustellen. | |
| 17 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eva-Christina Meier | |
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