| # taz.de -- Giftige Bleimine in Sambia: Die Kinder von Kabwe | |
| > Viele Kinder in Kabwe haben hohe Bleiwerte im Blut. Denn eine lange | |
| > geschlossene Mine vergiftet die Stadt bis heute – große Firmen verdienen | |
| > daran. | |
| Bild: In Kabwe ist das Blei überall: am Straßenrand, im Sand, im Staub, im Wi… | |
| Am Anfang war da ein Mann, der durch den Regen irrte: Eigentlich war | |
| [1][Thomas G. Davey] auf der Suche nach Kupfervorkommen. Mit seinen Helfern | |
| streifte er im Auftrag der Rhodesia Copper Company durch kniehohe Gräser | |
| und Gestrüpp, mitten in der Regenzeit. Sie verliefen sich. Und dann | |
| stolperten sie über etwas Merkwürdiges: ein karger Hügel, der aus der | |
| flachen Landschaft stach. Der Geologe kletterte hinauf. Er sah | |
| freiliegende, kristalline Strukturen: Carbonate von Blei und Zink. | |
| Die Menschen, die in der Region lebten, hatten den Hügel „Elefantenkopf“ | |
| genannt. Davey taufte ihn Broken Hill, nach einem geologisch ähnlichen Ort, | |
| den er aus Australien kannte. Das war 1902. 123 Jahre später steht ganz in | |
| der Nähe ein Junge am Rande eines staubigen Platzes. Hinter ihm spielen | |
| Kinder. Einige sehen so alt aus wie er, vielleicht zehn oder elf Jahre. | |
| Aber Austin ist schon 16, ein Teenager. Seine Eltern haben ihn geschickt, | |
| um mit der Reporterin zu sprechen. Er erzählt, dass er so viel vergesse. | |
| Was die Lehrer sagen, was die Mutter ihn bittet zu kochen. Dass er in der | |
| Schule gemobbt werde, weil er seit Jahren die sechste Klasse wiederhole. | |
| „Ich will Pilot werden“, sagt er leise. Und dass er eben solange zur Schule | |
| gehen werde, bis er den Abschluss schaffe. | |
| Rings um die Broken-Hill-Mine ist eine Stadt gewachsen: Kabwe, fast 300.000 | |
| Einwohner, 130 Kilometer nördlich von Sambias Hauptstadt Lusaka gelegen. | |
| Sie sieht aus wie viele andere Städte im südlichen Afrika. Im Zentrum | |
| stehen die Menschen bei Hungry Lion an, einer Art McDonald's, am | |
| Straßenrand rösten Frauen Maniok, eine weiße Wurzel. Alles normal. Dabei | |
| ist Kabwe eine der giftigsten Städte der Welt. An wohl keinem anderen Ort | |
| der Welt haben so viele Kinder so hohe Bleiwerte im Blut. | |
| Gut 90 Jahre lang, bis 1994, holten sie hier das Blei aus der Erde, erst im | |
| Auftrag der britischen Kolonialherrscher, dann für Sambias staatliches | |
| Bergbauunternehmen ZCCM. Sie schütteten einen immer größeren Abraumberg | |
| auf, den Black Mountain. Bis es sich nicht mehr lohnte, weil der Bleipreis | |
| niedrig war und das Blei, das noch in der Erde lag, schwierig zu erreichen. | |
| Die Mine schloss, lange bevor die Kinder, die heute vom Blei vergiftet | |
| werden, geboren wurden. Warum ist das Blei trotzdem in ihren Körpern? | |
| ## 95 Prozent der Kinder haben erhöhte Bleiwerte | |
| Als die Mine dichtmachte, wurde nicht viel dafür getan, die Gegend zu | |
| sanieren. Der Abraum hätte abgedeckt werden müssen, der Boden in den | |
| umliegenden Vierteln umgegraben oder gepflastert. Das ist auch Jahrzehnte | |
| später nur in kleinem Umfang geschehen. 2016 erhielt Sambia ein | |
| 65-Millionen-Dollar-Darlehen von der Weltbank. Mit dem Geld wurde unter | |
| anderem in einigen kontaminierten Bereichen Pflaster verlegt. | |
| Wenn in Kabwe der Wind weht, fliegt also toxischer Staub durch die Straßen. | |
| Kinder atmen ihn beim Spielen ein, sie essen ihn, wenn sie ihre Finger in | |
| den Mund stecken. Das Blei verteilt sich in ihren Nieren, ihrer Leber, | |
| ihrem Gehirn. Es kann sie vergesslich machen, ihre Körper am Wachsen | |
| hindern. Es lagert sich in ihren Knochen und Zähnen ein. Wenn sie einmal | |
| schwanger werden, kann es freigesetzt und an den Fötus weitergegeben werden | |
| – insbesondere, wenn die Mutter während der Schwangerschaft nicht genügend | |
| Kalzium zu sich nimmt. Kalzium hemmt die Bleibindung im Körper. Im | |
| schlimmsten Fall endet eine Bleivergiftung tödlich. | |
| 95 Prozent der Kinder in den Vierteln nahe der ehemaligen Mine haben | |
| erhöhte Blutbleiwerte. Auch wenn es keinen Grenzwert von Blei im Blut gibt, | |
| der absolut unbedenklich wäre, werden nur Kinder mit mehr als zehn | |
| Mikrogramm pro Deziliter in die Statistik aufgenommen. Bei der Hälfte der | |
| Kinder lag der Wert bei über 45 und damit in einem Bereich, in dem sie | |
| dringend medizinische Hilfe brauchen. Zum Vergleich: In Deutschland machten | |
| in diesem Jahr die [2][Kinder aus dem Kreis Goslar Schlagzeilen], weil ihre | |
| Bleiwerte im Schnitt bei 2,3 µg/dl lagen – wohl ebenfalls eine Folge | |
| kontaminierter Böden durch den jahrzehntelangen Bergbau in der Region. | |
| „Es gibt Kinder mit hohen Werten, die kaum Symptome zeigen, und solche, die | |
| niedrige Werte haben, aber starke Symptome.“ Doreen Phiri schlendert eine | |
| Straße im Mine Compound entlang, einem Viertel nahe des Black Mountain, | |
| neben ihr eine Kollegin und ein Freiwilliger von der Kasanda Clinic. Die | |
| staatliche Klinik liegt im Stadtteil Kasanda, einem der am stärksten vom | |
| Blei betroffenen Gegenden. Die Mitarbeiterinnen wollen nach ein paar ihrer | |
| Patienten sehen. | |
| ## Die Kleinsten haben die höchsten Werte | |
| Da ist zum Beispiel das kleine Mädchen Joy, das unruhig auf dem Schoß der | |
| Mutter rumturnt. Doreen Phiri hat im Hinterhof des Hauses Platz genommen | |
| und eine Mappe aufgeschlagen. Jedes Kind hat eine Akte, darin stehen die | |
| Symptome, bei Joy sind es Anämie und Appetitlosigkeit. Ihre Blutwerte sind | |
| mit 98 Mikrogramm Blei pro Deziliter notiert, dann 45, dann wieder 98. | |
| Zweimal hat das Mädchen für mehrere Tage ein Medikament verabreicht | |
| bekommen, beim ersten Mal hat es geholfen, beim zweiten Mal nicht. | |
| Diese sogenannte Chelattherapie ist erst seit einigen Jahren in Kabwe in | |
| der Breite verfügbar und kostenlos. Es wird eine Säure eingesetzt. Im Blut | |
| bindet sie sich an das Blei, zusammen werden sie im Urin ausgeschieden. Das | |
| Medikament wird in Zyklen gegeben, weil Blei nach und nach von den Knochen | |
| ins Blut freigeben wird. Die Bleibelastung im Blut sinkt durch die | |
| Behandlung, aber die durch die Bleivergiftung verursachten Schäden, wie das | |
| gebremste Wachstum, lassen sich nicht rückgängig machen. Und solange die | |
| Quelle der Bleibelastung bestehen bleibt, werden die Kinder immer wieder | |
| vergiftet. | |
| Die Kleinsten haben im Schnitt die höchsten Werte, weil ihre Körper | |
| besonders viel Blei aufnehmen und sie ihre staubigen Finger ständig in den | |
| Mund stecken oder gar Erde essen. Joy mache das inzwischen weniger, erzählt | |
| ihre Mutter, weil sie ihr damit drohe, dass sie sonst wieder in die Klinik | |
| müsse, um Injektionen zu bekommen. | |
| Im Rahmen des Weltbank-Projekts wurde erstmals ein Gerät angeschafft, das | |
| die Bleiwerte im Blut bestimmen kann. Zur Zeit des Besuchs der Reporterin | |
| war es allerdings seit etwa einem halben Jahr nicht in Betrieb. Wegen der | |
| regelmäßigen Stromausfälle in der ganzen Stadt, und weil man auf ein | |
| Wartungsteam aus dem Ausland warte, heißt es in der Klinik. | |
| ## 80 Cent für ein Kilo Blei | |
| Zurück auf der staubigen Straße laufen die ersten Schulkinder in ihren | |
| Uniformen nach Hause, es ist früher Nachmittag. Die vergangenen Monate | |
| Trockenzeit haben das bisschen Rasen, was in manchen Vorgärten wächst, | |
| ausgedorrt. „Wird mein Kind wieder gesund werden?“, fragt eine Frau, die an | |
| ihrem Gartentor steht. Sie ist erst vor zwei Jahren in die Nachbarschaft | |
| gezogen, jetzt komme ihr Sohn in der Schule nicht mehr mit. Sie spricht | |
| einen Mix aus Bemba und Englisch, wie die meisten hier. Es wird besser | |
| werden, beruhigen sie die Frauen aus der Klinik. Einer anderen Mutter | |
| empfehlen sie, mehr Bäume zu pflanzen, die sollen den Staub abhalten. Die | |
| anderen Tipps kennt die Mutter schon längst. Etwa, dass die Kinder Milch | |
| trinken sollen. Damit das Kalzium statt des Bleis in die Knochen eingebaut | |
| werden kann. Nur habe sie sich schon lange keine Milch mehr leisten können. | |
| Knapp einen Kilometer Luftlinie entfernt, direkt neben dem eigentlichen | |
| Minengelände, liegt eine Mondlandschaft aus kargem, steinigem Boden und | |
| Seen, in denen dunkles Wasser steht. Auch hier lagern die giftigen | |
| Rückstände des Minenbetriebs. Gut zwei Dutzend Männer hacken auf den Boden | |
| ein, tragen Säcke davon. | |
| Einer von ihnen, ein schmächtiger Mann, sticht mit einer Schaufel auf den | |
| Rand des Sees ein. Auf einem Plastiksack hat er einen kleinen Haufen Steine | |
| zusammengetragen. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Schotter. Er zieht | |
| ein Stück heraus, dunkel und seltsam geformt. Es erinnert an die | |
| Bleigebilde, aus denen man früher an Silvester die Zukunft gelesen hat. | |
| „Das hier ist pures Blei“, dafür gebe es 20 Kwacha pro Kilo, umgerechnet | |
| knapp 80 Cent. Das Material verkaufe er an Zwischenhändler. In einer Woche | |
| verdiene er so bestenfalls 1.000 Kwacha, 40 Euro. | |
| Der Mann heißt Patrick, er ist 36 Jahre alt. Mit elf habe er angefangen, in | |
| dem Abraum zu graben. Natürlich habe er Angst, krank zu werden. „Aber wir | |
| können nichts tun. Und wir sind eh schon krank.“ | |
| ## Die Energiewende steigert den Bleibedarf | |
| Von der Mondlandschaft aus ist es nicht weit bis zu dem, was vom Abraumberg | |
| übrig ist. Wenn die Menschen in Kabwe vom Black Mountain erzählen, hört man | |
| ihnen noch an, wie beeindruckt sie von seiner schieren Größe waren. Riesig | |
| soll der Berg gewesen sein. | |
| 6,4 Millionen Tonnen Abraum. Gut 350.000 Tonnen davon waren Blei, etwa | |
| gleich viel Zink. Innerhalb der vergangenen drei, vier Jahre aber, seit | |
| verschiedene Firmen professionell mit Baggern und schwerem Gerät abtragen | |
| und wegtransportieren, ist der Berg zu einem langgestreckten Haufen | |
| geschrumpft. Von außen sieht man nur einen Wall hinter einem Elektrozaun. | |
| Bevor die Firmen kamen, verdienten viele der Ärmsten in Kabwe ihr Geld wie | |
| Patrick, sie gruben direkt auf dem Black Mountain. Damals hieß es, die Mine | |
| könne nicht ordentlich saniert werden, weil das Einkommen zu vieler | |
| Menschen davon abhinge, weil der Protest in der Bevölkerung zu groß wäre. | |
| Männer und Frauen, teils mit kleinen Kindern auf dem Rücken, hackten Tunnel | |
| in den Berg, füllten Eimer und Säcke voll mit Blei und Zink und verkauften | |
| es. | |
| Doch seit Anfang der 2020er verhindert der Elektrozaun einen direkten | |
| Zugang zur Mine. Eine Tochterfirma von Jubilee Metals, einer | |
| südafrikanischen Firma, die am London Stock Exchange gehandelt wird, hat | |
| eine Lizenz für den Abraum am Black Mountain. Laut einer Recherche [3][von | |
| Human Rights Watch (HRW)] verkauft sie ihn an chinesische Firmen sowie an | |
| eine sambische Firma mit Verbindungen zur Regierungspartei. Zink und Blei | |
| sind global begehrte Rohstoffe, die Energiewende steigert den Bedarf: Zink | |
| wird für den Bau von Windrädern gebraucht, Blei für Solarpaneele. | |
| Auf dem Weg durch die Stadt zu den Verarbeitungsanlagen verlieren die Lkw | |
| kleine Mengen ihrer ungesicherten Ladung. Am Straßenrand wurden meterhohe | |
| Haufen von toxischem Abraum aufgeschüttet. Schilder, die vor der Gefahr | |
| warnen, gibt es keine. Der giftige Staub wird so in der Stadt verteilt. | |
| „Das ist unglaublich riskant für die lokale Bevölkerung“, sagt Juliane | |
| Kippenberg von HRW am Telefon. Sie war schon oft in Kabwe. Zu den | |
| Aktivitäten am Black Mountain hat die NGO in diesem Jahr zwei Berichte | |
| veröffentlicht. Nicht nur habe die Regierung seit Jahrzehnten versäumt, die | |
| Gegend zu sanieren. „Sondern dazu kommt sogar noch, dass sie diesen | |
| gefährlichen Abbau von Blei und Zink sozusagen fördert, indem sie Minen- | |
| und Verarbeitungslizenzen vergibt.“ Auch das Schmelzen des Materials in den | |
| über das Stadtgebiet verteilten Verarbeitungsanlagen setzt giftige | |
| Emissionen frei. Jubilee Metals hat bisher auf Interviewanfragen der taz | |
| nicht reagiert. | |
| ## Bleiklumpen auf der Staubstraße | |
| Makululu, das ärmste Viertel Kabwes, ist ein Labyrinth aus kleinen, oft | |
| unverputzten Häusern, in deren Türöffnungen Tücher hängen. Vor einem der | |
| Häuser sitzen drei Frauen auf Baumstämmen und Steinen, Rose Asabi hat sie | |
| versammelt. Die Namen ihrer Kinder stehen auf einer Liste, die Asabi führt, | |
| 550 Kinder stehen darauf. Alle aus dem Viertel, bei denen deutlich zu viel | |
| Blei im Blut gemessen wurde. Manche von diesen Kindern hätten Blutbleiwerte | |
| von über 100 µg/dl, erzählt Asabi. Sie hilft und informiert die Familien in | |
| Makululu. | |
| Ihr Sohn sei fünf, sagt Idah, die jüngste der Frauen. Wenn man ihm sage, er | |
| solle ein Glas bringen, komme er mit einem Löffel zurück. Sie glaubt, das | |
| sei mehr als kindliche Unkonzentriertheit. Auf dem Arm hält sie ein Baby, | |
| ihren zweiten Sohn. Die vier Frauen sind selbst in Makululu aufgewachsen. | |
| Auch sie hätten als Kinder Konzentrationsschwierigkeiten gehabt, | |
| Lernprobleme. „Heute wissen wir, dass es vom Blei kommt“, sagt Rose Asabi. | |
| Auch ihr Blutwert wurde 2022 gemessen. Er habe bei 78 µg/dl gelegen. | |
| Ihr Bruder arbeite am Black Mountain, erzählt Idah, als Baggerfahrer für | |
| eine chinesische Firma. „Die Männer bringen Blei ins Haus, an ihren | |
| Stiefeln und den Arbeitsklamotten.“ Kurz darauf steht ihr Bruder neben ihr, | |
| seinen kleinen Neffen an der Hand. Gerade würden sie nicht arbeiten, weil | |
| bald die Regenzeit anfange, erzählt er, dann wird es zu matschig. | |
| Dann geht er ein paar Schritte die Staubstraße runter und hebt einen | |
| Steinbrocken auf. „Das ist Blei“, erklärt seine Schwester, als er ihn in | |
| die Mitte der Runde auf den Boden legt. „Es ist kontaminiert.“ | |
| Straßenbaufirmen, auch die Anwohner selbst, nutzen das minderwertige | |
| Material vom Black Mountain, um Schlaglöcher zu stopfen. In ganz Kabwe wird | |
| das so gemacht, erst seit Kurzem ist es offiziell verboten. Das Bewusstsein | |
| über die Gefahr des Abraums hat sich erst im letzten Jahrzehnt durch | |
| Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung verbreitet. | |
| Der Bruder sagt, er arbeite für einen ranghohen Regionalpolitiker. Viel | |
| mehr will er nicht verraten. Der hochwertige Abraum gehe an die | |
| chinesischen Verarbeitungsfirmen, werde geschmolzen und mit Trucks an den | |
| Hafen in Südafrika gefahren. Die Regierung müsste ihnen helfen, sagt der | |
| Mann. „Aber die Regierung ist voller Lügen! Sie kann uns nicht helfen, weil | |
| sie das Geld will.“ | |
| ## Die Regierung spricht nicht gern über Kabwe | |
| Auch die Frauen sind wütend. Wenn sie über die Tipps reden, die sie in der | |
| Klinik bekommen, werden sie laut. Wie sollen sie ohne Wasser Sträucher | |
| gegen den Staub pflanzen? Seit fast einem Jahr hätten sie nur das Wasser | |
| aus einem flachen Brunnen. Von welchem Geld sollen sie ihren Kindern | |
| bessere Nahrung kaufen? Idah zeigt auf den Steinklumpen, der noch immer vor | |
| ihr auf dem Boden liegt. „Da ist Geld drin.“ Sie lachen. Wenn sie nicht mit | |
| dem Blei ihr Geld verdienen würden, hätten sie kein Essen. | |
| Der Bürgermeister von Kabwe hat sein Büro in einem lang gezogenen | |
| Kolonialbau aus roten Backsteinen. Patrick Chishala erzählt auf die Frage, | |
| warum Kinder in Kabwe immer noch vom Blei vergiftet werden, lieber von | |
| einem anderen Ort. Es gebe da eine Stadt in den USA, er habe den Namen | |
| vergessen, die sei ähnlich mit Blei verschmutzt gewesen wie Kabwe. Auf dem | |
| toxischen Abraum seien Gras und Bäume gepflanzt worden, Gärten angelegt, | |
| Bürgersteige gepflastert. „Es ist die beste Stadt. Jetzt wollen Leute dort | |
| leben!“ Der Bürgermeister trägt eine Jogginghose zum kurzärmligen Hemd und | |
| hat in einem üppig gepolsterten Sessel Platz genommen. „Uns fehlt es an | |
| Engagement und Beständigkeit“, urteilt er. | |
| Chishala wohnt in Chowa, einem der am stärksten kontaminierten Viertel. | |
| Seinen Innenhof habe er gepflastert und bepflanzt. Eine seiner Töchter | |
| hatte stark erhöhte Bleiwerte, für eine andere warte auch er seit Langem | |
| auf die Ergebnisse vom Bluttest. Er war Lehrer, bevor er Politiker wurde. | |
| Die Schüler aus Kabwe würden im landesweiten Leistungsvergleich schlecht | |
| abschneiden. Er könne als Bürgermeister aber nicht viel ändern. Das Geld, | |
| etwa um die Straßen zu teeren, damit der Staub nicht mehr überall herum | |
| weht, müsste aus der Hauptstadt kommen. Und die aktuelle Regierungspartei | |
| ist nicht seine. | |
| Die Regierung spricht nicht gern über Kabwe. Der Präsident [4][Hakainde | |
| Hichilema] wurde anfangs als Hoffnungsschimmer für Kabwe gesehen. Nun ist | |
| seine Amtszeit bald vorbei, im August wird in Sambia wieder gewählt. Das | |
| Ministerium für grüne Wirtschaft hatte 2023 verkündet, Kabwe zu einer | |
| „grünen Stadt“ machen zu wollen. Auf den „vergrabenen bleihaltigen | |
| Oberflächen“ sollten Universitäten entstehen, Siedlungen und eine Menge | |
| „grüner“ Jobs. Auf diese vage Ankündigung folgte bislang praktisch nichts. | |
| Für ein Interview stand der Minister, Mike Mposha, nicht zur Verfügung. | |
| ## Wie lange ist ein Minenunternehmen verantwortlich? | |
| Derzeit wird im südafrikanischen Johannesburg eine Klage von 140.000 | |
| Kindern und Frauen aus Kabwe verhandelt. Vertreten werden sie von einer | |
| britischen und einer südafrikanischen Kanzlei. Die Klage richtet sich gegen | |
| eine Tochterfirma von Anglo American, ein südafrikanisches | |
| Bergbauunternehmen, das zwischen 1925 und 1974 am Betrieb der | |
| Broken-Hill-Mine beteiligt war. Anglo American sieht die Verantwortung | |
| nicht bei sich, sondern bei dem privaten Rechtsnachfolger des ehemals | |
| staatlichen sambischen Unternehmen ZCCM, das die Mine bis zur Schließung | |
| 1994 führte. Im Kern geht es also auch um die Frage, wie lange ein | |
| Minenunternehmen für Umweltschäden verantwortlich gemacht werden kann. | |
| Ende 2023 wurde die Klage abgewiesen. Sie würde einen „schwerwiegenden | |
| Präzedenzfall“ schaffen, argumentierte die Richterin in Johannesburg. Es | |
| wäre zu weitreichend, [5][hieß es in der Urteilsbegründung], „dass ein | |
| Unternehmen auch noch ein halbes Jahrhundert nach Einstellung seiner | |
| Aktivitäten gegenüber noch nicht geborenen Generationen haftbar gemacht | |
| werden kann, wenn es anhand von zukünftigem Wissen und Standards beurteilt | |
| wird, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt waren.“ Die Kläger | |
| gingen in Berufung, Anfang November trugen sie vor dem Obersten | |
| Berufungsgericht in Südafrika ihre Argumente vor. Mit einer Entscheidung | |
| wird erst 2026 gerechnet. | |
| Der Staub wird auch danach weiter durch Kabwe wehen. | |
| 25 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Davey | |
| [2] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Studie-bestaetigt-Viele-Kinder… | |
| [3] https://www.hrw.org/report/2025/03/05/poisonous-profit/lead-waste-mining-an… | |
| [4] /Unruhen-in-Sambia/!6128460 | |
| [5] https://www.theguardian.com/global-development/2023/dec/18/south-african-ju… | |
| ## AUTOREN | |
| Rebecca Stegmann | |
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