| # taz.de -- CO₂-Zertifikate in indigenen Gebieten: Wie Indigene auf der Klima… | |
| > Projekte für CO₂-Zertifikate führen in indigenen Gebieten oft zu | |
| > Menschenrechtsverletzungen. Auf dem UN-Klimagipfel bildet sich | |
| > Widerstand. | |
| Bild: Indigene vom Volk der Munduruku aus dem unteren Tapajós-Gebiet nehmen an… | |
| „Unsere Natur steht nicht zum Verkauf“, steht auf einem Banner bei einem | |
| Protest sozialer und indigener Bewegungen im brasilianischen Belém, wo die | |
| UN-Klimakonferenz stattfindet. „CO₂-Zertifikate raus!“, heißt es darunte… | |
| Davor hat sich eine Gruppe der Indigenen Munduruku versammelt und stimmt | |
| traditionelle Gesänge an. | |
| Die Munduruku leben im Amazonasgebiet am Rio Tapajós im Bundesstat Pará, | |
| dessen Hauptstadt Belém ist. In ihrem Territorium haben sich Erdölfirmen, | |
| Goldschürfer und das Agrobusiness breitgemacht, die den Wald abholzen und | |
| die Lebensgrundlage der Indigenen gefährden. Nun ist eine neue Bedrohung | |
| dazu gekommen, die eigentlich die Entwaldung stoppen sollte: | |
| CO₂-Zertifikate. | |
| Der Bundesstaat Pará hat sich in den vergangenen Jahren aktiv um die | |
| Vermarktung von CO₂-Zertifikaten, auch als Carbon Credits bekannt, bemüht. | |
| Dabei handelt es sich um Zertifikate, die für vermiedene oder gebundene | |
| CO₂-Emissionen stehen, die beispielsweise durch Projekte für Waldschutz | |
| oder Aufforstung entstehen. Unternehmen oder Staaten können sie kaufen, um | |
| ihre eigenen Emissionen zu „kompensieren“ und so ihre Klimaziele zu | |
| erfüllen. | |
| Während der ersten Verhandlungswoche der UN-Klimakonferenz [1][beschloss | |
| das EU-Parlament ein neues Klimaziel, das die Netto-Emissionen bis 2040 um | |
| 90 Prozent senken soll]. Die EU erlaubt dabei ausdrücklich, einen Teil | |
| davon über internationale CO₂-Zertifikate aus Ländern außerhalb der EU zu | |
| erreichen. Dabei hatte der wissenschaftliche Beirat der EU eine mindestens | |
| 90-prozentige Reduktion ohne CO₂-Zertifikate gefordert, um das | |
| 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. | |
| ## Alessandra Korap protestiert auf dem Konferenzgelände | |
| „Europa erzeugt jetzt ganz viel Druck im internationalen CO₂-Markt“, sagt | |
| Anika Schroeder, die bei Misereor das Themenfeld „Klimapolitik und | |
| Armutsbekämpfung“ koordiniert und an den Verhandlungen in Belém als | |
| Beobachterin teilnimmt. „Wo ein Geschäft gerochen wird, wird schnell | |
| gehandelt – deshalb befürchten wir, dass die Bevölkerungsgruppen, die am | |
| wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, jetzt komplett überrollt | |
| werden.“ | |
| Indigene Territorien – allen voran der Amazonasregenwald – gelten im | |
| CO₂-Markt als besonders attraktiv. Sie beherbergen eine außergewöhnliche | |
| Artenvielfalt und speichern enorme Mengen Kohlenstoff, wodurch sie sich für | |
| die Erzeugung zahlreicher Carbon Credits anbieten. Die CO₂-Zertifikate, mit | |
| denen die EU ihre Emissionen senken will, könnten deshalb zukünftig aus | |
| artenreichen Ländern wie Brasilien kommen. | |
| Hier klagen indigene Gemeinschaften wie die Munduruku über mangelnde | |
| Konsultation, neue Formen von Kontrolle und Landkonflikte durch den | |
| wachsenden CO₂-Markt. | |
| „Die Unternehmen wollen unseren Wald zur Ware machen“, sagt [2][Alessandra | |
| Korap, eine indigene Aktivistin der Munduruku]. Auf der Weltklimakonferenz | |
| protestiert sie vor der Blue Zone, wo die offiziellen Verhandlungen | |
| stattfinden, um mehr Mitbestimmung der indigenen Bevölkerung einzufordern. | |
| „Die Staatschefs wollen Bergbau, sie wollen Öl, sie wollen Gold, sie wollen | |
| CO2-Zertifikate“, sagt sie. „Sie denken, im Wald lebt niemand. Aber für uns | |
| ist der Wald alles: er gibt uns Medizin und Nahrung.“ | |
| ## Indigene in Kolumbien bereuen Zustimmung | |
| Auch in Kolumbien boomt der CO₂-Markt dort, wo die Indigenen leben. „Das | |
| Unternehmen hat uns betrogen“, sagt Ingry Mojanajinsoy von der Volksgruppe | |
| der Inga aus Villagarzón im Departamento Putumayo, der kolumbianischen | |
| Amazonasregion. Auch sie ist nach Belém gereist, um die Anliegen ihrer | |
| indigenen Gemeinschaft vorzutragen. „Sie haben uns unter Druck gesetzt, zu | |
| unterschreiben, obwohl wir keine ausreichenden Informationen hatten.“ | |
| Die Gemeindeführerin beschreibt, wie ein CO₂-Projektentwickler ihrer | |
| Gemeinschaft „die perfekte Lösung“ präsentierte – ein Modell, das angeb… | |
| Landkäufe, Infrastruktur und ein besseres Leben finanzieren sollte: | |
| CO₂-Zertifikate. Doch sie stellte fest, dass der Vertrag nicht einmal die | |
| besonderen Schutzbestimmungen für die Indigenen enthielt. | |
| Nach internen Konflikten und Drohungen des Unternehmens versuchen die | |
| Gemeinschaften in Putumayo nun, den Vertrag wieder aufzulösen. „Die | |
| CO₂-Kompensation ist eine falsche Lösung für die Klimakrise“, sagt | |
| Mojanajinsoy. | |
| ## Probleme in Afrika und Lateinamerika | |
| Anika Schroeder beobachtet die Gespräche über den CO₂-Zertifikatehandel in | |
| der Blue Zone. „Es herrscht immer noch das Gefühl vor, insgesamt sei es | |
| doch ganz toll, weil es Transfer von Kapital von Nord nach Süden gibt“. Es | |
| sprechen sich auch nicht alle Indigenen gegen den CO₂-Markt aus. Manche | |
| Organisationen erwarten, dass sie so von der Klimafinanzierung profitieren | |
| können. | |
| „CO₂-Zertifikate sind keine Klimafinanzierung“, sagt Annika Schroeder. | |
| „Erstens bekommt man was zurück, nämlich das vermeintliche Recht, CO₂ | |
| auszustoßen. Und zweitens bleibt das meiste Geld auf dem Weg dahin hängen.“ | |
| Stattdessen sollten Klimaschutzgelder direkt an die Indigenen | |
| Gemeinschaften fließen, [3][die den Wald schützen], anstatt den Umweg über | |
| die Zertifikate zu gehen. | |
| Die EU wolle sich im Rahmen ihrer neuen Klimaziele am freiwilligen | |
| CO₂-Handel orientieren. Dieser steht jedoch stark in der Kritik, weil es | |
| bei Projekten in der Vergangenheit zu Menschenrechtsverletzungen gekommen | |
| ist. | |
| In afrikanischen Ländern wie Kenia zum Beispiel wurden indigene | |
| Gemeinschaften für Waldschutzprojekte vertrieben. In Lateinamerika ist | |
| Menschen der Zugang zu den Gebieten versagt worden, die sie für den Alltag | |
| nutzen, also zum Beispiel für Nahrung, für Medizin, um Feuerholz zu sammeln | |
| oder um ihre Tiere weiten zu lassen. „Aus Menschenrechtssicht und aus | |
| Klimaschutzsicht gibt es immense Probleme“, sagt Schroeder. | |
| Elisângela Soldatelli Paim ist promovierte Soziologin und | |
| lateinamerikanische Koordinatorin des Klimaprogramms der | |
| Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ihrer Ansicht nach verschärft er CO₂-Markt | |
| ungleiche Machtstrukturen zwischen dem globalen Norden und dem globalen | |
| Süden. | |
| „Die Konzerne aus dem globalen Norden kontrollieren diesen Mechanismus, | |
| während die betroffenen Gemeinschaften im Globalen Süden passive Empfänger | |
| sind“, erklärt sie. Außerdem bremse der Kompensationsmarkt Anstrengungen | |
| für reale Lösungen für die Klimakrise aus. | |
| Die Zertifikate erweckten den Anschein, sie würden die Emissionen | |
| reduzieren, obwohl sie eigentlich als Green Washing für Konzerne und Länder | |
| dienten, sagt die Soziologin. „Sie brechen nicht mit der Logik des | |
| Kapitalismus.“ | |
| 20 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.reuters.com/sustainability/cop/eu-parliament-backs-new-2040-cli… | |
| [2] /Indigene-Aktivistin-ueber-Klimaschutz/!6129430 | |
| [3] /Ecuador-auf-der-COP30/!6129130 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophia Boddenberg | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Weltklimakonferenz | |
| Indigene | |
| CO2-Kompensation | |
| Brasilien | |
| Social-Auswahl | |
| Weltklimakonferenz | |
| Weltklima | |
| Weltklimakonferenz | |
| Weltklimakonferenz | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| UN-Klimakonferenz: Türkei und Australien arrangieren sich | |
| Ein monatelanger Streit um die Weltklimakonferenz 2026 endet mit einem | |
| Kompromiss. Neu ist die geplante Arbeitsteilung. | |
| Eine Milliarde Euro für Tropenwälder: Deutschland unterstützt den Waldschutz… | |
| Die Waldzerstörung ist weltweit auf Rekordstand. Zusammen mit anderen | |
| Geberländern will Berlin über einen Fonds für den Schutz der Regenwälder | |
| sorgen. | |
| Expertin zu CO₂-Handel: „Ich kenne keine erfolgreichen Beispiele“ | |
| Der Sinn vom Handel mit CO₂-Zertifikaten ist äußerst fragwürdig, sagt | |
| Ökonomin Claudia Horn. Helfen würde eine Umverteilung von Land. | |
| CO₂-Zertifikate in Brasilien: Die Carbon Cowboys kommen | |
| Mit CO₂-Emissions-Handel lässt sich Geld verdienen. Deshalb versuchen | |
| Firmen, Gemeinden von ihren Projekten zu überzeugen. Doch viele sind | |
| skeptisch. | |
| EU-Klimaziel 2040 beschlossen: Umweltminister legen die Axt an | |
| Die EU-Umweltminister schwächen das EU-Klimaziel und verzögern | |
| Klimaschutzmaßnahmen. Das gefährde Umwelt und Industrie, warnen Kritiker. |