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# taz.de -- Liberalismus in der Krise: Letzter Ausweg Kettensäge?
> Der rechtsgrüne Thinktank LibMod und die rechtskonservative Denkfabrik
> R21 debattieren über Liberalismus. Die Positionen sind ähnlicher als
> vermutet.
Bild: Hier spricht die liberale Moderne, aka Ralf Fücks, in diesem Fall allerd…
Die Zeit, als der Neoliberalismus ein funkelndes Versprechen für Egoisten
war, ist seit dem Debakel der Finanzkrise 2009 eher vorbei. Die Ideologie
der segensreichen Deregulierung ist zwar nicht im Museum gelandet, aber sie
strahlt nicht mehr.
Die FDP ist, weil erwiesen regierungsuntauglich, hochkant aus dem Bundestag
geflogen. Wenn man die Durchhalteparolen [1][des flatterig wirkenden
FDP-Parteichefs Christian Dürr] hört, dann ist eine ruhmreiche Rückkehr in
das Parlament wie 2017 nicht in Sicht. Die Liberalen sind unter Druck, auch
von Rechtspopulisten, die neoliberale Slogans mit autoritärer Praxis
fusionieren. Global gesehen ist die Gleichung von liberaler Demokratie und
Wohlstand mit dem Aufstieg Chinas, dem Trumpismus und dem Abstieg Europas
auch perdu.
Ralf Fücks steht am Dienstag vergangener Woche in der verwaist wirkenden
FDP-Parteizentrale in Berlin-Mitte. Fücks, früher grüner Realo, ist jetzt
Chef des staatlich alimentierten Thinktanks Liberale Moderne (LibMod).
„Rethinking liberalism“ heißt die Tagung, offenbar weil Englisch polyglott
wirkt. Man will, so Fücks, zentrale Fragen umkreisen: Wie antwortet der
Liberalismus auf das Bedürfnis nach Zugehörigkeit? Sind Liberale selbst
schuld am Erstarken des Antiliberalen, weil sie es mit Diversity,
Deregulierung und Globalisierung übertrieben haben? Das sind kluge Fragen.
Die soll Lars Feld beantworten, neoliberaler Rammbock unter den deutschen
Ökonomen und Ex-Berater von Christian Lindner. Feld hält den rechten und
linken Rand für eine Gefahr. Und den übergriffigen Regulierungsstaat.
Wirtschaftsprofessor Jan Schnellenbach assistiert mit der These, dass in
Deutschland die Marktwirtschaft trotz Strangulierung durch Regeln und
Steuern noch stark sei, der Staat aber das bleischwere Problem.
## Etwas aus Zeit gefallen
Das ist das bekannte Mantra des Neoliberalismus. Es wirkt etwas aus Zeit
gefallen. Von dem omnipotenten Staat ist in Deutschland 2025 mit rumpeligen
Straßen, kaputten Schulen und unpünktlicher Bahn nicht wirklich viel zu
spüren. Feld fragt immerhin, ob der Ordoliberalismus mit Preiskontrollen
noch über brauchbare Mittel gegen Monopole im Plattformkapitalismus wie
Google und Co verfügt. Ansonsten ist Selbstkritik Fehlanzeige. Wenn
Selbstreflexion die Stärke des Liberalismus ist, dann steht es wirklich
schlecht um ihn. Der globale antiliberale Backlash erscheint wie ein
Rätsel.
Dass der Liberalismus, dessen Triumph vor 30 Jahren gefeiert wurde, selbst
der Grund seiner Niederlage ist, deutet der Politikwissenschaftler Thomas
Biebricher an. Während das Versprechen des sozialen Aufstiegs und der
Meritokratie verblasste, habe die FDP eine wirtschaftsliberale Schlagseite
gehabt. Eine ungünstige Mischung.
Biebricher attestiert dem deutschen Liberalismus zudem eine
Wagenburg-Mentalität. Die Kritik zielt auf Leute wie Lars Feld, doch der
ist nach seinem knappen Vortrag schon abgereist.
## Routiniertes Genörgel über zu viel Staat
Grünen-Chefin Franziska Brantner wirft zu Recht ein, dass der Slogan
Entbürokratisierung, das letzte Halteseil für weltanschaulich verunsicherte
Liberale, unpolitisch ist. „Wenn man beim Hausbau den Brandschutz
reduziert, muss man auch sagen, welche Gefahren steigen und wer das Risiko
trägt“, so Brantner.
Das routinierte Genörgel über zu viel Staat verdeckt kaum, dass der
politische Liberalismus in einer Sackgasse steckt. Eine Rückkehr zum
Sozialliberalen ist wishful thinking. Der letzte Ausweg ist womöglich das
Libertäre, der Griff zur Kettensäge, mit der nicht nur der Brandschutz,
sondern der halbe Staat weggefegt werden soll. Die Libertären haben, so
Biebricher, immerhin, was Sozial- und Neoliberalen fehlt: ein
Zukunftsversprechen.
Szenenwechsel. Ein Tagungsraum in einem Hotel in Berlin-Mitte,
Dienstagnachmittag dieser Woche. Elena Dewitt, eine junge Frau, sagt: „Der
Kapitalismus ist die einzige moralische Art zusammenzuleben.“ [2][Sie
spricht für die Initiative „jung.liberal.kapitalistisch“] und hat einen
originellen Rat an die FDP: Die solle aufhören, den Markt zu loben, weil er
effektiv ist. Der Markt sei die Verkörperung der Moral, der Staat hingegen
ein Angriff „auf das Leben selbst“. Dewitt dekoriert diesen Appell mit
einem Zitat der US-Autorin Ayn Rand, Säulenheilige der Techbros, und rückt
en passant die Bundesrepublik in die Nähe der DDR. So etwas hört man sonst
eher von der AfD.
## Libertäre Appelle verhallen
„Freiheit in der Krise“ heißt die Tagung. Geladen hat die von dem CDU-Mann
Andreas Rödder gegründete „Denkfabrik R21“. R21 wird neuerdings mit 250.0…
Euro Staatsgeld subventioniert – was angesichts der im R21-Umfeld üblichen
Verachtung für staatlich unterstützte NGOs [3][ein paar krumme
Rechtfertigungen erforderlich macht]. R21 gilt manchen Linken als
Speerspitze der Reaktion, weil Rödder mal über eine Annäherung der Union an
die AfD nachgedacht hat. Es ist etwas komplizierter.
Dewitt und Frauke Petry, einst AfD-Mitbegründerin, sollen das Libertäre
vertreten. Petry plädiert auf einem Podium für weniger Staat und mehr
Freiheit, was wenig originell ist. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal ist
ihre Kritik an der AfD. Die sei, weil sie Mindestlohn und höhere Renten
verspreche, dem Etatismus anheimgefallen.
Petry hat vor ein paar Monate das „Team Freiheit“ gegründet, nach der AfD
und der Partei Die Blauen die dritte Organisation, die sie aus dem Boden
gestampft hat. Die ausgeprägte Neigung, Organisationen zu gründen,
vertreibt den Zweifel, ob Petry mehr als sich selbst repräsentiert, nicht
gänzlich.
Dewitts und Petrys libertäre Appelle verhallen weitgehend ungehört. Auch
(Neo-)Liberale scheuen solche Schlachtrufen. Das ist kein schlechtes
Zeichen.
## Onkelhafte Gesinnungssätze
Martin Hagen, früher Fraktionschef der FDP in Bayern und seit einem Jahr
Geschäftsführer von R21, gab zu Beginn den Ton in Sachen Libertäre vor. Man
findet den argentinischen Präsidenten Javier Milei interessant, zuckt
angesichts von dessen „anarchokapitalistischer Staatsverachtung“ (Hagen)
aber zurück. Wenn man die Kettensäge-Fraktion in der Bundesrepublik sucht,
landet man bei Petrys Sektierertum und „jung.liberal.kapitalistisch“, laut
website 192 Mitglieder.
Bei R21 werden Grüne wie Franziska Brantner natürlich nicht eingeladen –
die Grünen gelten hier als Bösewichte. Karl-Heinz Paqué, Chef der
Naumann-Stiftung und Nationalliberaler, erklärt froh das „Zeitalter der
Grünen und des linksintellektuellen Ballasts“ für beendet. Für solche
onkelhaften Gesinnungssätze bekommt man bei R21 immer Applaus.
Ansonsten aber ist die Debatte bei R21 sogar kontroverser als bei LibMod.
Damian Boeselager, Europaabgeordneter von Volt, erklärt: „Für Freiheit und
gegen den Staat zu sein, ist völlig unterkomplex.“ Der Atomausstieg sei wie
die Coronapolitik eine Abwägung zwischen verschiedenen Zielen wie
Gesundheitsschutz, Wirtschaft und Grundrechten. Mit Antietatismus komme man
da nicht weiter.
Sven Gerst, seines Zeichens Philosoph, sieht den Liberalismus tief
gespalten in Kosmopoliten, die offen für Globalisierung, freie Märkte und
Bürgerrechte sind, und Nationalliberale, die genau das Gegenteil vertreten
– nämlich Nation, Abschottung vor Globalisierung und antiwoken Kulturkampf.
Politisch sei der Liberalismus gelähmt, intellektuell müde. Die liberale
Fortschrittsidee hat sich offenbar in eine Art Verfallsgeschichte
verwandelt.
## Fücks omnipräsent
Ralf Fücks tritt auch bei R21 in den Ring, sogar mit den gleichen
Boxhandschuhen. Wie bei LibMod streitet er mit Neoliberalen, ob Deutschland
auf den Aufstieg Chinas mit Industriepolitik antworten muss.
Industriepolitik, ein staatlicher Eingriff in den sakrosanten Markt, klingt
für Neoliberale wie den Ökonom Schellenbach und FAZ-Mann Rainer Hank
attraktiv wie Lepra.
Fücks, auch überzeugter Marktwirtschaftler, plädiert aus geostrategischen
Gründen für eine europäische Industriepolitik. Der liberale Westen müsse
China, das bei Schlüsseltechnologien Weltspitze ist, etwas entgegensetzen.
„Wirtschaft ist für China ein Mittel, um hegemoniale Machtpolitik
durchzusetzen“, so Fücks.
Damit hat er recht. Allerdings hat der liberale Westen genau so – mit
wirtschaftlicher Macht, rüder Hegemonialpolitik und Schlimmerem – die Welt
erobert. Das zu erkennen, ist der blinde Fleck von Libertären, Neo-, und
Ordoliberalen.
12 Nov 2025
## LINKS
[1] /Christian-Duerr-ueber-Bruch-der-Ampel/!6128130
[2] https://jlk-verband.de/
[3] https://denkfabrik-r21.de/institutionelle-foerderung-fuer-r21/
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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