| # taz.de -- BSW-Einspruch: Muss die Bundestagswahl neu ausgezählt werden? | |
| > Ganz knapp scheiterte das BSW an der 5-Prozent-Hürde. Oder doch nicht? | |
| > Die Partei fordert, die Bundestagswahl neu auszuzählen, und hat gute | |
| > Argumente. | |
| Bild: Zettelwirtschaft in einem Wahllokal in Berlin-Pankow: Müssen die Wahlhel… | |
| taz | Ein halbes Jahr ist die Regierung von Friedrich Merz im Amt. Und auch | |
| wenn man manchmal den Eindruck haben könnte, sie übe noch, geht zumindest | |
| die Arbeit im Bundestag ihren geordneten Gang: Ausschüsse tagen, Gesetze | |
| werden verabschiedet, der Parlamentsbetrieb läuft. | |
| Doch ein kleiner, unscheinbarer Ausschuss sitzt auf einer politischen | |
| Bombe, die bald hochgehen könnte: Der Wahlprüfungsausschuss entscheidet | |
| über mehr als eintausend Einsprüche gegen die Bundestagswahl. Besonders | |
| brisant ist der Einspruch des BSW. Die von Sahra Wagenknecht gegründete | |
| Partei, die bald offiziell nicht mehr nach ihr, sondern Bündnis Soziale | |
| Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft heißen soll, fordert eine | |
| Neuauszählung. Sollte das BSW dann tatsächlich über 5 Prozent kommen, | |
| würden Abgeordnete ihre Mandate und die Koalition ihre Mehrheit verlieren. | |
| Fast ausschließlich Hinterbänkler sitzen im Wahlprüfungsausschuss. Neun | |
| Abgeordnete, die selbst politische Beobachter nicht alle kennen. Mit ihnen | |
| ins Gespräch zu kommen, ist kompliziert. Mehrere Abgeordnete lassen | |
| mitteilen, sie wollten sich zu der Angelegenheit nicht äußern. Kürzlich | |
| hieß es, der Ausschuss könnte in dieser Woche zu einem Ergebnis kommen. | |
| Jetzt heißt es, es solle möglichst bald über den Einspruch des BSW | |
| entschieden werden. | |
| ## Noch nie war es so knapp | |
| „Es dauert einfach zu lange“, sagt Amira Mohamed Ali im Gespräch mit der | |
| taz. Sie ist Vorsitzende des BSW – [1][und bleibt es auch, nachdem Sahra | |
| Wagenknecht am Montag ihren Rückzug aus der ersten Reihe verkündet hat]. | |
| Der Wahlausschuss habe sich zu spät konstituiert und tage zu selten, | |
| kritisiert Mohamed Ali, und dass sich der Vorsitzende des Ausschusses, | |
| Macit Karaahmetoğlu, SPD, trotz mehrfacher Anfrage nicht mit Vertretern des | |
| BSW getroffen habe. | |
| Noch nie war das Ergebnis einer Bundestagswahl so knapp. Dem BSW fehlten | |
| nur etwa 9.000 Stimmen für den Einzug ins Parlament. Die Partei war direkt | |
| nach Karlsruhe gezogen. [2][Doch das Bundesverfassungsgericht verwies auf | |
| den Ausschuss,] der zunächst über den Einspruch entscheiden solle, so sieht | |
| es das Gesetz vor. Das ist nun fast ein halbes Jahr her. Der Vorwurf des | |
| BSW: Die Abgeordneten verzögerten die Entscheidung, sie hätten kein | |
| Interesse an einer Neuauszählung. | |
| Tatsächlich ist es eine merkwürdige Situation: Die Abgeordneten entscheiden | |
| auch über ihr eigenes Schicksal. Sollte der Ausschuss die Neuauszählung | |
| empfehlen und wird diese Entscheidung von einer Mehrheit im Plenum | |
| bestätigt, muss neu ausgezählt werden. | |
| Stimmen die Abgeordneten aber gegen die Neuauszählung, hat das [3][BSW] | |
| angekündigt, wieder nach Karlsruhe zu ziehen. Würde dann das | |
| Verfassungsgericht doch noch eine Neuauszählung anordnen, wäre der Schaden | |
| groß. | |
| Die hessische SPD-Abgeordnete Esther Dilcher ist eine der wenigen im | |
| Wahlprüfungsausschuss, die sich öffentlich äußert. Zum Stand der Beschwerde | |
| des BSW will sie nichts sagen, aber sie verteidigt der taz gegenüber die | |
| Arbeit des Ausschusses. „Uns Untätigkeit vorzuwerfen, ist ungerecht“, sagt | |
| sie. Alle Seiten bräuchten ausreichend Zeit, um Stellung zu nehmen, auch | |
| das BSW. „Wenn man es ordentlich macht, braucht es Zeit.“ | |
| Dazu passt, dass das BSW selbst erst Ende Oktober weitere Unterlagen beim | |
| Ausschuss eingereicht hat, um die Forderung nach Neuauszählung zu | |
| untermauern. Zum Vorwurf der Verschleppung will das nicht recht passen. | |
| Dilcher saß bereits im Ausschuss, als die Bundestagswahl 2021 in einigen | |
| Berliner Wahllokalen wiederholt werden musste. Auch diese Entscheidung habe | |
| Zeit gebraucht, damit sie im Zweifelsfall vor dem Verfassungsgericht | |
| Bestand habe. „Nur weil dem BSW das nicht schmeckt, können wir das nicht | |
| verkürzen“, sagt Dilcher. Man treffe eine Entscheidung, „nachdem wir die | |
| rechtlichen Voraussetzungen und die konkret vorgetragenen Tatsachen geprüft | |
| haben.“ | |
| ## „Zweifel an Wahlergebnissen stärken die Verschwörungstheoretiker“ | |
| In einem Punkt ist Dilcher selbstkritisch: Dass der Ausschuss sich erst | |
| kurz vor der Sommerpause konstituiert habe, sei spät gewesen. Den Vorwurf | |
| des BSW, die Abgeordneten seien nicht unabhängig, weist Dilcher aber | |
| zurück. „Es handelt sich nicht um eine politische Entscheidung.“ Niemand | |
| könne wollen, dass der Bundestag eine Entscheidung über eine Wahlbeschwerde | |
| treffe, die von Karlsruhe aufgehoben werde. | |
| „Selbst wenn Karlsruhe die Prüfung sofort nach der Wahl übernehmen würde, | |
| würden sie dort genauso intensiv prüfen.“ Schneller entschieden würde dann | |
| auch nicht. | |
| Dilcher und die anderen Mitglieder des Ausschusses werden in diesen Tagen | |
| mit Nachrichten gleichen Inhalts überschüttet. Das BSW hat auf seiner | |
| Website die Fotos der Ausschussmitglieder und eine Mailvorlage | |
| veröffentlicht. Dilcher hat Verständnis, dass für die Partei alles auf dem | |
| Spiel steht. Bei einem Telefongespräch habe ihr die Vorsitzende Mohamed Ali | |
| geschildert, mit welchem Aufwand das BSW die Einsprüche vorbereitet hat. | |
| Und auch der taz gegenüber verteidigt Mohamed Ali die Mailkampagne: | |
| „Organisationen wie Campact oder Greenpeace machen so etwas sehr häufig“, | |
| sagt sie, das knappe Ergebnis treibe eben viele um. Den Vorwurf, mit der | |
| Kritik am Wahlprüfungsausschuss das Vertrauen in demokratische Prozesse zu | |
| untergraben, weist sie zurück: „Es liegt in der Hand derer, die über die | |
| Neuauszählung entscheiden, Verschwörungstheorien vorzubeugen.“ | |
| Aber wie stichhaltig sind überhaupt die Gründe, die das BSW für eine | |
| Neuauszählung vorbringt? | |
| „Ich wundere mich, dass es so still ist“, sagt Uwe Wagschal der taz. Er ist | |
| Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg und hat das | |
| amtliche Endergebnis der Bundestagswahl analysiert. | |
| Wagschal plädiert dafür, die Wahl neu auszählen zu lassen. „Es ist nicht | |
| gesagt, dass das BSW dann in den Bundestag einzieht. Aber es ist einfach | |
| sehr knapp.“ Wagschal hat eine solche Häufung von Unregelmäßigkeiten | |
| festgestellt, dass er eine Neuauszählung für nötig hält, um das Vertrauen | |
| in den demokratischen Prozess zu stärken. „Zweifel an Wahlergebnissen | |
| stärken die Verschwörungstheoretiker, das können wir uns nicht erlauben. | |
| Egal, um welche Partei es geht.“ | |
| Der Politikwissenschaftler hat bei seiner Analyse mehrere Auffälligkeiten | |
| erkannt, bei denen Fehler zu Lasten des BSW passiert sein könnten. | |
| Da ist einmal die Verwechslung mit dem Bündnis Deutschland (BD), einer | |
| rechtsliberalen Kleinstpartei. So gibt es etwa ein Wahllokal in Wedel bei | |
| Hamburg, in dem die Kleinstpartei über 30 Stimmen und das BSW keine einzige | |
| bekam, obwohl das BSW bundesweit 30-mal so stark wurde. Im Wahllokal | |
| nebenan bekam das BSW über 40 Stimmen und das BD nur eine. Es liegt nahe, | |
| dass die Stimmen falsch zugeordnet wurden. | |
| Wagschal hat errechnet, dass der Partei so über 800 Stimmen verloren | |
| gegangen sein könnten – „das würde das BSW nicht retten“. Doch es wäre | |
| denkbar, dass Stimmen nicht immer stapelweise falsch gezählt wurden wie | |
| womöglich in Wedel, sondern anderswo einzelne Stimmen für das BSW | |
| fälschlich der Kleinstpartei zugeschlagen wurden. Das ließe sich nicht am | |
| Endergebnis ablesen, sondern nur durch eine Neuauszählung klären. | |
| ## Unklarheiten beim Endergebnis | |
| Erstaunlich ist auch der Unterschied zwischen dem vorläufigen und dem | |
| amtlichen Endergebnis. Das BSW erhielt am Ende etwa 4.500 Stimmen mehr – | |
| aber es ist nicht nachvollziehbar, wie der Unterschied zustande kommt. | |
| Wagschal fordert, dass auch das vorläufige Ergebnis detailliert bis aufs | |
| einzelne Wahllokal veröffentlicht wird. Dann ließe sich nachvollziehen, wo | |
| Ergebnisse korrigiert wurden und wo sich eine Neuauszählung anbieten würde. | |
| „Man könnte das ohne Weiteres machen. Die Daten liegen vor, aber die | |
| Bundeswahlleiterin veröffentlicht sie nicht.“ | |
| 50 Wahllokale wurden bundesweit bereits neu ausgezählt, nicht wegen des | |
| BSW-Einspruchs, sondern aus unterschiedlichen Gründen. Dabei erhielt das | |
| BSW 15 Stimmen mehr. Die Partei rechnet das hoch und kommt auf 30.000 | |
| zusätzliche Stimmen – das würde reichen für den Einzug in den Bundestag. | |
| „Diese Hochrechnung ist statistisch nicht seriös“, sagt Wagschal, solange | |
| man nicht wisse, wie repräsentativ diese 50 Wahllokale sind. Er fordert | |
| Transparenz. „Die Stellungnahmen der Landeswahlleiter sind teilweise nicht | |
| überzeugend.“ | |
| Zudem könnte es sein, dass Wahlhelfer mit wenig Erfahrung gültige Stimmen | |
| für das BSW als ungültig gezählt hätten. So trat das BSW in den meisten | |
| Wahlkreisen ohne Direktkandidat an. Wahlzettel sind aber gültig, auch wenn | |
| nur eine Zweitstimme abgegeben wurde. Ebenso ist ein Wahlzettel gültig, | |
| wenn ein Wähler in der Kabine erst eine Partei ankreuzt, etwa das Bündnis | |
| Deutschland, und dies dann durchstreicht, um das BSW zu wählen. | |
| Wie kann man verhindern, dass nach der nächsten Wahl wieder so um das | |
| Ergebnis gestritten wird? Wagschal hat eine Idee: Digitalisierung. Er | |
| schlägt vor, alle Wahlzettel nach dem händischen Auszählen zu scannen. „Wir | |
| geben so viel Geld für Quatsch aus, die wichtigste Wahl des Landes sollte | |
| uns das wert sein“, so Wagschal. So ginge die Neuauszählung schnell. Dass | |
| der Bundestag sie beschließt, glaubt er jedoch nicht: „Ich wette dagegen!“, | |
| sagt er. Die Abgeordneten hätten kein Interesse daran. | |
| Amira Mohamed Ali hofft, dass der Politikwissenschaftler unrecht hat. „Es | |
| sind einfach zu viele Fragen offen“, sagt sie. Sie verweist auf die | |
| Stichwahl in Mülheim: Dort wurde die Wahl zum Oberbürgermeister neu | |
| ausgezählt, die Kandidaten lagen 0,4 Prozentpunkte auseinander. Dem BSW | |
| fehlten 0,019 Prozentpunkte für den Einzug ins Parlament. | |
| Was Mohamed Ali dabei nicht erwähnt: In Mülheim bestätigte die | |
| Neuauszählung das Ergebnis. | |
| 14 Nov 2025 | |
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| Kersten Augustin | |
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