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# taz.de -- Singapur: Nichts als die Wahrheit
> Singapur hat eines der härtesten Anti-Fake-News-Gesetze. Die Regierung
> missbraucht es, um Kritiker:innen der Todesstrafe zum Schweigen zu
> bringen.
Bild: Sauber, ruhig, sicher: Singapurs friedvolles Dasein ist politisch hart he…
Auf den Straßen Singapurs geht es leise zu, beinahe, als sei immer
Feiertag. Zwischen den glasverkleideten Hochhäusern fahren nur wenige, oft
elektrische Autos umher. Die über drei Millionen Menschen, die täglich die
Metro nutzen, verteilen sich entspannt in den großzügigen Gängen der
U-Bahn-Stationen mit ihren glänzend polierten Granitfliesen am Boden.
Geschäfte gibt es hier keine, nur Automaten für frisch gepressten
Orangensaft. Der kommt mit verschweißtem Deckel aus der Klappe. Öffnen,
bevor man in den eigenen vier Wänden ist, ist streng verboten.
Polizisten? Schmutz? Bettler? Verspätungen?
Hier nicht.
Als Besucher gewöhnt man sich an die Ruhe, die Sauberkeit und das Gefühl
von Sicherheit so schnell, dass man es bald für normal hält. Doch all das
ist nicht gottgegeben, sondern politisch aufwendig hergestellt. Die
staatlich limitierten Autozulassungen etwa werden versteigert. Wer einen
Mittelklassewagen auf die Straße bringen will, muss über 100.000 Euro
zahlen. Gleichzeitig investierte Singapurs Regierung bis heute umgerechnet
rund 100 Milliarden Euro in die Metro – Weltrekord.
Mit Geld und strengen Gesetzen werden Gefahr, Schmutz und Unruhe von dieser
Insel (genau genommen sind es 64 Inseln) des Wohlstands ferngehalten. Und
wenn das die Freiheit einschränkt, dann ist das eben so. Für diesen
Gesellschaftsvertrag steht die [1][People's Action Party] (PAP), die
Singapur schon seit 1959, drei Jahre vor der Unabhängigkeit von
Großbritannien, ohne Unterbrechung regiert.
Heute kommt immer mehr vom Schmutz und den Gefahren der Welt aus dem
Internet. Auch da greift die PAP durch. Seit 2019 gibt es den Protection
from Online Falsehoods and Manipulation Act (POFMA).
Er stellt die Verbreitung von „Unwahrheiten“ unter Strafe, wenn sie
Sicherheit, öffentliche Gesundheit, öffentliche Ruhe oder Staatseinnahmen
gefährden, „Hassgefühle“ zwischen den Volksgruppen – gemeint sind Malai…
Chinesen und Inder – schüren oder „das Vertrauen der Öffentlichkeit in die
[…] Regierung“ untergraben. In schweren Fällen drohen umgerechnet 335.000
Euro Geldstrafe und bis zu zehn Jahre Haft.
Die öffentliche Ruhe stören, das hat sich [2][Kokila Annamalai Parvathi]
zweifellos vorgenommen. Alle nennen sie nur Koki, vermutlich sogar die
Menschen im Todestrakt, die Parvathi vor der Hinrichtung zu retten
versucht. In Singapur herrsche ein „barbarisches Todesstrafenregime“, sagt
Parvathi, und sie werde das niemals akzeptieren.
## Sich selbst der Lüge bezichtigen
Parvathi ist eine der Gründer:innen des [3][Transformative Justice
Collective] (TJC). In der Gruppe haben sich viele Gegner:innen der
Todesstrafe in dem Stadtstaat vereint. Singapurs Regierung warnt vor ihnen,
so wie sie vor Rauchen, ungesundem Essen oder Smog warnt: „Auf dieser
Website wurden mehrere Unwahrheiten verbreitet“, steht heute auf der
TJC-Seite.
Leser:innen sollten „Vorsicht walten“ lassen. Denn wer in den Augen von
Singapurs Regierung Fake News verbreitet, muss sich selbst der Lüge
bezichtigen und die Darstellung der Regierung als die korrekte öffentlich
anerkennen.
Parvathi aber weigert sich, das zu tun.
Sie ist 37 Jahre alt, ihre gelockten schwarzen Haare fallen lose auf die
Schultern, sie trägt oft einen Sari, wie ein Bekenntnis zu ihren indischen
Wurzeln. Ihr Instagram-Profil heißt „[4][learningfromthemargins]“, von den
Marginalisierten, den Ausgegrenzten lernen, soll das heißen. Zu sehen sind
dort viele Fotos von ihr mit erhobener Faust in der ersten Reihe von
Protestveranstaltungen.
Campaignerin ist vielleicht die treffendste Beschreibung für das, was sie
tut: Protestaktionen organisieren. Sie macht das schon, seit sie Anfang 20
ist. „Ich hab das zu meinem Beruf gemacht“, sagt sie: Kämpfe von
Mieter:innen und migrantischen Arbeitskräften, gegen Wucher oder
Ausbeutung, für Palästina. Vor allem aber kämpft Parvathi gegen die
Todesstrafe.
Im [5][Safest City Index des Economist] landet Singapur 2021 weltweit auf
Platz drei. Die Kriminalitätsrate ist eine der niedrigsten der Welt. 78
Prozent der Singapurer:innen sind der Meinung, es brauche die
Todesstrafe, damit das so bleibt.
14 Menschen wurden laut Amnesty International bisher 2025 in dem Stadtstaat
hingerichtet. Im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße sind das etwa 19-mal so
viele wie in den USA. Der hochtechnisierte Staat straft dabei wie im
Mittelalter: Mit dem Galgen, an Freitagen, kurz vor Sonnenaufgang. Meist
trifft es Migrant:innen, Arme, Suchtkranke. Das TJC, Parvathis Gruppe,
protestiert mit Mahnwachen, Veranstaltungen, offiziellen Eingaben in einem
Land, in dem Protest und öffentliche Kritik an der Regierung keinen Platz
haben.
Viele im Land wüssten auch gar nicht, was es zu kritisieren gäbe. Sie sagen
Sätze wie: „Wenn ich so höre, wie es anderswo zugeht, dann muss ich sagen:
Ich kann mich nicht wirklich beschweren“ – so oder ähnlich denken viele
Menschen in Singapur.
Fotos noch aus den letzten Jahren der britischen Herrschaft in dem
Stadtstaat Anfang der 1960er Jahre zeigen einfache Holzhütten zwischen
Palmen. Heute wirkt die Stadt wie eine Architekturausstellung, eine
Manifestation dessen, zu was Baukunst imstande ist, wenn Geld und Ambition
zusammenkommen. Möglichst bald schon sollen die Gebäude voll begrünt sein,
um der Klimakrise besser zu trotzen. Vorbildlich ist die Stadt dabei schon
heute. Das tropische Grün kontert die Sterilität der Straßen.
Singapur ist keine Geheimdienstdiktatur, die mit undurchsichtigen Methoden
und Willkür ihre Gegner kontrolliert. Das staatliche Vorgehen gegen
Aktivist:innen wie Parvathi ist haarklein im Netz dokumentiert, zu
jedem Schritt gibt es eine offizielle Pressemitteilung samt Kontaktdaten
für Nachfragen. Die Repression wird hier mit maximaler Transparenz
vollzogen. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb Aktivist:innen dazu
bereit sind, relativ frei zu reden.
Parvathi kommt zum Treffpunkt in eine Mall am westlichen Ende der
Haupteinkaufsstraße Orchard Road. Nach einem kurzen Gespräch führt sie in
eine benachbarte Mall, läuft durch den Hinterausgang zu einer Wohnstraße
mit zweistöckigen Häusern, eine Rarität angesichts des knappen und
exorbitant teuren Baulands.
Die Häuser sind einfach gebaut, aber ihr Wert geht in die Millionen. So ist
es nur einem wohlhabenden privaten Gönner zu verdanken, dass in einem
dieser Bauten ein knappes Dutzend linker politischer Gruppen ihren
Treffpunkt und ihre Büros haben. Klima, LGBTIQ, Streiks – mit den ganzen
Politplakaten an den Wänden wirkt dieser Ort wie ein Fremdkörper inmitten
des glatten, durchorganisierten Singapurs.
Parvathi setzt sich an einen Tisch und erzählt. Sie spricht druckreif,
alles was sie sagt, hat sie offenkundig lange durchdacht, in Diskussionen
erprobt. Das Anti-Fake-News-Gesetz nennt sie eine „Form der psychologischen
Gewalt gegen die Öffentlichkeit“. Es werde von den „Machthabern
missbraucht, um ihre eigennützigen Meinungen als ‚korrekte Fakten‘
auszugeben und sie uns in den Hals zu stopfen“, sagt sie.
Die Vorwürfe gegen sie beziehen sich auf Posts vom Oktober 2024. Sie
kritisiert darin die Umstände mehrerer Hinrichtungen, unter anderem jener
von Mohammad Azwan bin Bohari. Er wurde 2017 mit 26,5 Gramm Diamorphin,
synthetischem Heroin, in einer Keksdose von der Polizei aufgegriffen. 15
Gramm reichen, um in Singapur zum Tode verurteilt zu werden. Sieben Jahre
später, am 4. Oktober 2024, wurde Bohari im Alter von 48 Jahren exekutiert.
Parvathi hatte unter anderem kritisiert, dass das Rechtssystem den
Todeskandidaten eine unerfüllbare Beweislast aufbürdet. Sie verwies auch
darauf, dass die Familie Boharis angesichts noch ausstehender Rechtsmittel
von der Hinrichtung überrascht wurde. [6][Auch Amnesty International hatte
dies scharf gerügt]. Mit Blick auf weitere Fälle hatte Parvathi fehlende
Dolmetscher und die Hinrichtung psychisch kranker Menschen kritisiert.
Ihre Vorwürfe veröffentlichte Parvathi auf den Webseiten des TJC und auf
ihren eigenen Social-Media-Kanälen. Nur Tage später wies das
Innenministerium die beim Informationsministerium angesiedelte
Anti-Fake-News-Behörde an, eine „Korrekturmeldung“ zu verfassen. Diese
Meldungen werden zunächst auf einer Regierungsseite mit dem Namen
„Factually“ – also etwa „tatsächlich“ – veröffentlicht.
Bliebe es dabei, wäre es schlicht eine Gegendarstellung, in der die
Regierung ihre Sicht der Dinge darlegt.
Doch es geht weiter.
Der POFMA sieht keine Löschung vor. Die Verfasser:innen müssen vielmehr
auf der Startseite ihrer Website oder im Header ihres Social-Media-Profils
eine von der Regierung vorformulierte Selbstbezichtigung posten. Das TCJ
als Ganzes gab nach: „Auf dieser Website wurden mehrere Unwahrheiten
verbreitet“, steht dort nun in Englisch ganz oben auf der Startseite, bis
heute.
Zweitens muss ein Warnhinweis dem fraglichen Beitrag vorangestellt werden:
„Dieser Beitrag enthält falsche Tatsachenbehauptungen“, [7][steht dort
nun]. Für die „korrekten Fakten“ möge man dem bereitgestellten Link zur
Darstellung der Regierung folgen.
Drittens schließlich muss der Text des ursprünglichen Beitrags in einer von
der POFMA-Behörde vorformulierten Weise verändert oder ergänzt werden.
Dabei wird das, was dort vorher stand, teils ins Gegenteil verkehrt. Unter
anderem steht dort nun: Die Todeskandidaten um Mohammad Azwan bin Bohari
hätten das Gerichtsverfahren „missbraucht“, indem sie „in letzter Minute
Anträge einreichen, um ihre geplante Hinrichtung zu verhindern“.
Wer die Anweisungen der POFMA-Behörde befolgt und die Regierungsdarstellung
übernimmt, wird nicht weiter bestraft. Für Parvathi kam das nicht infrage.
Sie ließ die Posts auf ihren eigenen Profilen unverändert. „Es gibt keine
Strafe, die hart genug wäre, um mich zu zwingen, diese Ansicht als die
‚Wahrheit‘ zu wiederholen“, sagt sie.
Todeskandidaten gehören zu den „verletzlichsten, machtlosesten und
stimmlosesten Menschen in unserer Gesellschaft“, sagt Parvathi. „Die
Gerichte hingegen gehören zu den mächtigsten Institutionen in diesem Land.“
Es sei sehr seltsam, es „Missbrauch“ zu nennen, wenn Gefangene vor einer
Hinrichtung alle zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel ausschöpfen.
„Für mich ist das eine höchst widerwärtige Position“, so Parvathi. „Ich
stehe zu dem, was ich gesagt habe.“
Das Land verlassen darf Parvathi zum Zeitpunkt des Treffens mit der taz
nicht. Die Justiz hat ihr ihren Pass eingezogen, sie ist auf 5.000 Dollar
Kaution in Freiheit. Denn im Februar 2024 hatte sie einen Protestmarsch
gegen den Krieg in Gaza zum Sitz des Präsidenten angeführt. Gestattet sind
Proteste in Singapur aber nur in einer Ecke des Hong-Lim-Parks in der
Innenstadt.
Wegen der Todesstrafenposts sei sie „mehr als sechs Stunden auf der
Polizeiwache“ verhört worden, „ohne Anwalt“, berichtet sie. Der Prozess …
der Sache steht noch aus.
Nationale und internationale Medien berichteten über Parvathis Fall. In
Singapur selbst muss die Regierung Kritik an ihrem Vorgehen indes kaum
fürchten. Was sie tut, empfinden viele Menschen als legitim.
Praktisch ohne politische Konkurrenz, mit genügend Geld und einer relativ
unkritischen Medienlandschaft vermochte die Regierung über Jahrzehnte
umzusetzen, was sie versprach. Auch ohne eigene Rohstoffe führte sie das
Land ökonomisch an die Weltspitze, freiheitsmäßig aber nur ins Mittelfeld:
48 von 100 Punkten bekommt Singapur im [8][Freedom-in-the- World-Index].
Zum Unabhängigkeitstag verschickt die Regierung Gutscheine für Kuchen an
alle Haushalte. Nachdem die Zahl der Online-Betrügereien zugenommen hatte,
kam Anfang August eine viersprachige Postwurfsendung der Polizei mit
Leitfaden in leichter Sprache und den Kontaktdaten zu externen
Beratungsstellen. Singapur ist eine Art asiatischer Nanny State. Und über
die Jahrzehnte hat die Bevölkerung die Mischung aus Wohlstand, Sicherheit
und engen Grenzen akzeptiert.
So kann das „Untergraben des Vertrauens in die Regierung“ heute als
Straftat verfolgt werden. Aus europäischer Sicht erscheint das wie ein
uferloses Instrument der Herrschenden, sich vor Kritik zu schützen. „In
Singapur war das gar kein Thema“, sagt dazu Thum Ping Tjin. Der einst in
Oxford lehrende Historiker ist auf die Verfassung des Stadtstaats
spezialisiert und einer der wenigen wahrnehmbaren Regierungskritiker
Singapurs.
Thum gründete mit Parvathi und anderen das Transformative Justice
Collective. 2018 war er einer der Expert:innen, die im Parlament bei den
Beratungen zum POFMA angehört wurden.
## Meinung kann Fake News sein
Schon damals warnte er vor dem Gesetz. 2020 dann sagte er in einem
Youtube-Video seiner Reihe „The Show with PJ Thum“, dass der POFMA Kritik
an der Regierung unmöglich mache. Er bekam postwendend einen ministeriellen
Bescheid, dies als „Fake News“ zu kennzeichnen. Die Regierung
veröffentlichte „Korrekturen und Klarstellungen“ zu seinem Video. Thum gab
nach, veröffentlichte eine neu geschnittene Fassung des Clips.
Der Historiker berichtet davon bei einem Zoom-Gespräch aus Kobe in Japan.
Denn die Regierung Singapurs hatte Thum 2023 mit fadenscheiniger Begründung
Wahlmanipulation vorgeworfen. Als der Druck größer wurde, ging der
Wissenschaftler mit seiner Frau aus Singapur ins Exil.
Dass die Regierung Fake News bekämpfen wolle, sei an sich richtig, sagt
Thum. „Das ist ein Problem, wir sehen ja, wie etwa Russland in Europa mit
Desinformation versucht, Wahlergebnisse zu manipulieren oder die Ukraine
als Kriegsschuldige erscheinen zu lassen.“ In Singapur sei „chinesische
Desinformation eines der größten Probleme“, so Thum.
Auch gegen das Anliegen, die Harmonie zwischen verschiedenen ethnischen
Gruppen zu schützen, keine Hetze zuzulassen, sei nichts einzuwenden, ebenso
wenig, wie Fake News von Impfgegnern über Covid einzudämmen.
„Zu Beginn hat die Regierung versprochen, dass sie nur gegen Unwahrheiten
vorgehen werde, die öffentliche Interessen beeinträchtigen“, sagt Thum über
den POFMA. Anfangs sei es auch so gehalten worden. „Aber sehr bald wurde
klar, dass die Regierung den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.“ Bald
schon habe sie auch Meinungsäußerungen als „Fake News“ angegriffen und sei
dabei mit „sehr zweifelhaften Begründungen gegen Oppositionspolitiker“
vorgegangen, erzählt er.
Sogar, wenn nur die Interpretation einer Aussage falsch sein kann, könne
sie die Aussage als falsch einstufen. So könne sehr vieles, was der
Regierung nicht gefällt, heute als Fake News verfolgt werden.
Die POFMA-Behörde will dazu kein Interview geben. Auf Anfrage schickt das
Justizministerium nur eine freundliche Mail mit ein paar Links. Darin ist
zu lesen, wie hilfreich sich das Gesetz im Kampf gegen Fake News erwiesen
hat.
In den USA zerstört Trumps Regierung gerade alles, was demokratische
Rechtsstaatlichkeit ausmacht. Möglich wurde dies auch durch eine
unregulierte Medienöffentlichkeit, die der Verbreitung von Hass, Hetzen und
Lügen keinerlei Schranken setzte. Am Ende war das Misstrauen in den Staat,
der Hass auf die Minderheiten so groß, dass Trump durchmarschieren konnte.
In der EU gibt es Kräfte, die Ähnliches vorhaben. Auch sie diskreditieren
die Eliten, die Institutionen, die Demokratie. Sie lügen und hetzen, als
Geschäft und als politisches Projekt. Die Folgen sind bereits sichtbar.
Eine Umfrage der Körber Stiftung von 2024 ergab, dass das „Vertrauen in die
Demokratie“ bei 51 Prozent der Deutschen „weniger groß“ oder „gering�…
Der Bundesregierung brachten nur noch 18 Prozent „großes“ oder „sehr
großes“ Vertrauen entgegen.
Wer hierzulande mit den Landesmedienanstalten oder Politikern darüber
spricht, wie der demokratiezersetzenden Hetze im Netz Einhalt geboten
werden kann, hört immer wieder einen Satz, der auf George Orwells Roman
1984 verweist: Der Staat dürfe „kein Wahrheitsministerium“ sein, nicht üb…
Wahrheit oder Unwahrheit von Inhalten entscheiden. Die Redefreiheit sei
dann nicht mehr gewahrt.
Eine sehr nachvollziehbare Position. Was aber dann?
Seit April 2021 beobachtet der Verfassungsschutz in Deutschland einen neuen
Phänomenbereich namens „Delegitimierung des Staates“. Viele erinnert schon
die Formulierung an die DDR, in der Regimekritik einen Knastaufenthalt in
Bautzen nach sich zog.
Seit 2024 versucht die EU, mit dem [9][Digital Services Act] (DSA) gegen
Desinformation im Netz vorzugehen. Auch in Deutschland werden dazu seither
von der Bundesnetzagentur sogenannte [10][Trusted Flagger] registriert, die
den Plattformbetreibern bevorzugt kritische Inhalte zur Löschung melden
dürfen. Als dies bekannt wurde, tobten rechte Medien über vermeintliche
Zensur.
Sie störten sich vor allem daran, dass so auch Inhalte unterhalb der
Strafbarkeitsgrenze nach politischen Prämissen von den Plattformen gelöscht
werden müssen. Diese Kritik kam vor allem von solchen Plattformen, deren
Geschäftsmodell es ist, Hass, Hetze und Fake News zu verbreiten. Aber sie
hat einen Punkt.
In Singapur fürchten viele nicht nur Desinformation aus China, sondern auch
den Einfluss dschihadistischer Gruppen aus den islamischen Nachbarländern.
Alles, was als Hetze gegen eine der Bevölkerungsgruppen verstanden werden
kann, versucht man in Singapur zu ahnden – unter anderem mit dem POFMA.
77 Prozent der Bevölkerung bringen der Regierung Umfragen zufolge großes
oder sehr großes Vertrauen entgegen. Auch wenn es keine wirklich
unabhängigen Institute für diese Umfragen gibt, dürfte dieser Meinungstrend
zutreffend dargestellt sein. Neue Regelungen, etwa zum Klima- oder
Gesundheitsschutz kann die Regierung mit solchem Rückhalt in kürzester Zeit
beschließen und durchsetzen.
Um die Gefahr der Destabilisierung im Netz einzudämmen, setzt Singapur auf
einen rigorosen Kurs und bleibt so politisch handlungsfähig. Immer
deutlicher zeigt sich aber, welche Risiken das birgt.
Am 12. Dezember 2024 veröffentlichte das Portal Bloomberg in Singapur einen
Artikel des Investigativjournalisten Low De Wei. Darin beschrieb er
zweifelhafte Immobiliengeschäfte, in die unter anderem ein amtierender
singapurischer Minister und ein Ex-Minister verstrickt waren. Beide klagten
gegen Bloomberg, gleichzeitig aber behauptete die Regierung, De Weis
Artikel enthalte Unwahrheiten.
Die POFMA-Behörde wies Bloomberg – Platz 23 der größten Medienkonzerne
weltweit, 13 Milliarden Dollar Umsatz – an, eine „Berichtigung“ über dem
Artikel zu platzieren.
Seit dem 23. Dezember steht auch dort nun: „Dieser Beitrag enthält falsche
Tatsachenbehauptungen. Die richtigen Fakten finden Sie unter …“ und dann
der Link zur Darstellung der Regierung. Die läuft darauf hinaus, dass an
den Vorwürfen nichts dran sei und in der Regierung niemand etwas falsch
gemacht habe. Ein Gerichtsurteil zu den Klagen der Minister gibt es bis
heute nicht.
Der Fall von Low De Wei ist umso erstaunlicher, weil es eigentlich zum
Selbstverständnis der PAP gehört, nicht die kleinste Toleranz bei
Korruptionsverdacht zu zeigen. Im „Korruptionswahrnehmungsindex“ von
Transparency International steht das Land weltweit auf Platz 3.
Parvathi sagt, sie habe „Angst vor Geldstrafen, die ich mir nicht leisten
kann, und vor Gefängnisstrafen“. Noch mehr aber fürchte sie, was geschehe,
wenn man „nicht für die Wahrheit“ eintrete. „Ich habe vor allem Angst, d…
ich meinen moralischen Kompass verliere und meine Integrität verrate, wenn
ich das nicht tue.“
Desinformation ist ihrer Ansicht nach vor allem deshalb ein Problem, weil
traditionelle Medien und Online-Netzwerke „vom Großkapital und den
politischen Eliten kontrolliert“ werden. Singapur sollte eine Warnung für
jede Gesellschaft sein, deren Regierung Gesetze plant, die die
Meinungsfreiheit auf diese Weise beeinträchtigen, sagt sie. Es sei
gefährlich, „eine oberste Autorität für die Wahrheit“ zu akzeptieren und
staatlichen Behörden die Entscheidung darüber zuzugestehen, „was wahr und
was falsch ist“.
25 Nov 2025
## LINKS
[1] /Machtwechsel-in-Singapur/!6010728
[2] https://www.theguardian.com/world/2024/nov/06/kokila-annamalai-singapore-ac…
[3] https://transformativejusticecollective.org/
[4] https://www.instagram.com/learningfromthemargins
[5] https://impact.economist.com/projects/safe-cities/
[6] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2024/10/singapore-unlawful-execution…
[7] https://transformativejusticecollective.org/2024/10/02/azwan-faces-executio…
[8] https://freedomhouse.org/explore-the-map?type=fiw&year=2025&country…
[9] /Digital-Markets-und-Digital-Services-Act/!5992274
[10] /Welt-diffamiert-Behoerde/!6042017
## AUTOREN
Christian Jakob
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