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# taz.de -- Protokolle von Schüler*innen: Alles muss man selber machen
> Mitbestimmung an Schulen ist zwar schwierig, aber möglich. Drei
> Schüler*innen berichten.
Leon, 17, Gesamtschüler
Letzten Sommer hat meine Schule eine Wahl abgehalten, so wie alle Schulen
vor der Europawahl. 30 Prozent meiner Mitschüler:innen machten bei der
AfD ihr Kreuz. Wer unseren Stadtteil kennt – ich besuche eine Gesamtschule
in Berlin-Hohenschönhausen –, wundert sich darüber nicht groß. Die Schule
bildet einfach das Viertel ab.
Meine Freund:innen und ich wollten trotzdem etwas dagegen unternehmen.
Unser erster Impuls: Mit den Leuten reden, die ihr Kreuz bei der AfD
gemacht haben. Vielleicht lässt sich ja wer umstimmen, wenn er merkt, dass
er etwas bewegen, seinen Schulalltag besser machen kann. Kleinere Klassen
zum Beispiel, bessere Betreuung und flachere Hierarchien.
Eine Bekannte erzählte uns von einer Vollversammlung, die ihre Schule zu
Klimathemen abgehalten hatte. Das hat uns überzeugt, also haben wir Kuchen
gebacken und die Idee auf dem Schulhof bei Gratiskuchen erklärt – und über
hundert Unterschriften gesammelt.
Weil auch die Schule einverstanden war, kamen Anfang dieses Jahres, kurz
vor der Bundestagswahl, alle Schüler:innen in der Turnhalle zusammen.
Wir hielten es für besser, wenn die Lehrkräfte, die uns benoten, nicht
dabei wären. Die Schule sah das anders und hätte unsere Versammlung fast
noch platzen lassen. Weil die Turnhalle so klein ist, mussten wir die
Vollversammlung auf drei Tage aufteilen, jeweils in den ersten beiden
Stunden.
Nach kurzen Vorträgen haben wir eine offene Diskussion der Schüler:innen
moderiert. Am Ende konnten alle Schüler:innen auf Wahlzetteln über
Vorschläge abstimmen, die wir in einer öffentlichen Planungsrunde vorab
erarbeitet hatten. Alle Vorschläge gingen durch. Die Bundeswehr darf
seitdem an unserer Schule nicht mehr werben. Und wir haben eine Stelle auf
den Weg gebracht, bei der sich alle melden können, um von rechten Vorfällen
an der Schule zu berichten – oder wenn Schüler:innen aus den
„Willkommensklassen“ eine Abschiebung droht und Unterstützung fehlt. Das
ist auch an unserer Schule leider schon einmal vorgekommen, wohl auch, weil
wir im Schulalltag wenig Berührung miteinander haben.
Mit gemischten Gefühlen denke ich an meinen Vortrag bei der Versammlung
zurück. Ich habe darüber gesprochen, welche Schule die AfD will: dass
Schüler:innen sich zur Strafe wieder in die Ecke stellen,
Lehrer:innen noch mehr Macht bekommen sollen. Der Grund für meine
schlechten Gefühle liegt aber woanders: Rechtsextreme aus unserem
Schulumfeld haben wenig später zwei Freunden und mir in der Nähe meiner
Wohnung aufgelauert und uns auf Rollern durch das Viertel gejagt. Wir
wurden seitdem bedroht und eingeschüchtert.
Danach haben linke Verbände eine Solidaritätskundgebung auf die Beine
gestellt, bei der ich auch viele Schüler:innen und Lehrkräfte gesehen
habe. Dass Mitschüler:innen, die ich sonst kaum kenne, mir versichert
haben, dass sie hinter mir stehen, hat mir viel, viel Kraft und Sicherheit
gegeben. Für mich besteht darin das eigentliche Ergebnis aus unserer
Vollversammlung: Seitdem ist für alle klar, die große Mehrheit an unserer
Schule steht gegen rechts zusammen.
Greta Schröder, 18, Abiturientin
Das Thema Periode ist in der Schule noch total schambehaftet. Alle
menstruierenden Personen kennen diese Angst davor, in der Schule
auszulaufen. Deshalb sind kostenlose Menstruationsprodukte so wichtig. Vor
allem für jüngere Schüler*innen. In vielen Ländern gehören sie zum
Standard, zum Beispiel in Spanien oder [1][Großbritannien], aber in
Deutschland leider noch nicht. Die Produkte sollten komplett schulintern
finanziert werden.
Wir hatten Glück. Bei einem Gewinnspiel in der Schülervertretung, bei dem
man einen kleinen Vorrat an Periodenprodukten und -spendern bekommen
konnte, hatten zwei Mädchen mitgemacht. Der Gewinn reichte aber nicht für
die ganze Schule. So entstand die Idee, das Ganze als Projekt in der
Schülervertretung weiterzuführen. Wir wollten dafür sorgen, dass es auf
allen Mädchentoiletten Spender gibt, dass diese regelmäßig aufgefüllt
werden und dass es ein Konzept gibt, das nicht von einzelnen Personen
abhängt, sondern jahrgangsübergreifend funktioniert.
Ich habe mich dazu bereit erklärt, es mit meiner Mitschülerin Mira
Brendenbeck zu leiten. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem offen
über die Menstruation gesprochen wurde, aber für viele ist das Thema noch
mit Stigmata umwoben. Einfache Dinge, wie offen zugängliche
Periodenprodukte, helfen dabei, das Thema zu normalisieren.
Zuerst mussten wir die fehlenden Spender organisieren. Dazu brauchten wir
den Förderverein. Ich habe eine Präsentation vor dem Vorstand des
Fördervereins gehalten. Ich musste erklären, warum die Spender wichtig sind
und wie wir uns das Ganze langfristig vorstellen. Davor war ich ziemlich
nervös, weil ich so etwas noch nie gemacht hatte. Aber es gab kaum
ablehnende Stimmen. Letztlich schadet das Projekt niemandem.
Als wir die Spender angebracht und aufgefüllt hatten, war die Nachfrage
hoch. Sie waren oft leer. Von den Mitschüler*innen kam durchweg
positives Feedback. Auch ich habe gemerkt, wie erleichternd es ist, sich
einfach schnell einen Tampon nehmen zu können, wenn man ihn braucht.
Aber die langfristige Finanzierung stellte uns vor ein Problem. Zuerst
haben wir einen Kuchenbasar organisiert. Mit 130 Euro Einnahmen konnten wir
Produkte für mehrere Monate finanzieren. Eine Lehrkraft brachte schließlich
den Impuls ein, die Klassen stärker einzubinden. So entstand die Idee, dass
die achten Klassen, also die Jahrgänge, in denen die meisten zu
menstruieren anfangen, einmal im Jahr ein Projekt veranstalten, um Geld für
die Periodenartikel zu sammeln.
Janne Brüggemann, 20, Studentin
„Ich hasse es, in der Schule auf Toilette zu gehen.“ In unserer
Schulzeitung konnte ich diesen Satz endlich loswerden. Das tat gut, fand
ich, auch wenn ich erwartete, dass mein Artikel nur die üblichen fünfzig
Schüler:innen erreichen würde. Gehe ich nun aufs Mädchenklo oder doch
aufs Jungsklo? Als nichtbinäre Person stürzte mich diese Frage jeden Tag,
den ich an meinem Gymnasium in Hamburg-Harburg verbrachte, in eine kleine
Krise. Damals, vor bald fünf Jahren, war ich fünfzehn.
Ob meine Mitschüler:innen mein Plädoyer für Unisex-Toiletten
nachvollziehen konnten, weiß ich bis heute nicht so richtig. Als der
Artikel erschien, war ich nervös. Immerhin hatte ich so etwas wie ein
Coming-out in der Schulzeitung gehabt. Aber erst mal passierte: nichts!
Wegen Corona hatten die Schulen geschlossen, auch online kam keine
Reaktion. Das war mir auch recht so.
Wochen zuvor hatte ich in meiner Schule übernachtet, bei einem großen
Kongress, den Fridays for Future dort ausrichtete. Damals machte ich bei
vielen Fridays-Aktionen mit. In meiner Schule widmeten wir ein paar
Toiletten einfach zu Unisexklos um. Für mein Problem gab es also eine
Lösung, und die schien außerdem ganz einfach zu sein.
Eine Woche nachdem mein Artikel erschienen war, ploppte auf meinem Tablet
eine E-Mail von meinem Schulleiter auf. Er hatte den Text gelesen und
erklärte mir, dass ich einen Antrag bei der Schüler:innenvertretung
stellen könne – obwohl ich mich selbst dort Jahre zuvor engagiert hatte,
wusste ich von dieser Möglichkeit nicht.
Ich gab mir einen Ruck und schrieb mit der Klassensprecherin zusammen den
Antrag. Nach dem Schüler:innenrat musste ich aber auch die
Schulkonferenz noch von den Unisex-Toiletten überzeugen. Vor zwei
Lehrkräften, Eltern, Schüler:innen und dem Schulleiter trug ich also
mein Anliegen vor. Ich war ziemlich aufgeregt. Die Erwachsenen redeten viel
darüber, dass die Schultoiletten ein sicherer, geschützter Ort bleiben
müssten.
Vielleicht wäre nichts aus den [2][Unisexklos] geworden, wenn sich nicht
eine sehr enthusiastische Mutter so ins Zeug gelegt hätte. Sie hatte extra
Studien rausgesucht. Am Ende waren fast alle dafür, versuchsweise zwei
Jungstoilettenräume in Unisex-Toiletten umzubauen. Die Wände der Kabinen
sollten dazu vom Boden bis zur Decke durchgezogen werden.
Ich bin dieser Mutter und auch meinem Schulleiter sehr dankbar.
Mitbestimmung bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass man die langweiligen
Erwachsenensitzungen für Kinder und Jugendliche öffnet. Wichtig sind
altersgerechte Formate und die Unterstützung durch Erwachsene. Die
Unisex-Toiletten jedenfalls waren ein Jahr später fertig gebaut – bis heute
sorgen sie kaum für Streitigkeiten, sagt mein jüngerer Bruder, der auf das
Gymnasium geht, auf dem ich damals war.
6 Nov 2025
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## AUTOREN
Lino Wimmer
Regina Roßbach
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