| # taz.de -- Depressionen durch Social Media: Smartphone-Opfer | |
| > Die Gen Z hat deutlich stärker als frühere Generationen mit psychischen | |
| > Problemen zu kämpfen. Tiktok und Instagram sind wenig hilfreich. | |
| Bild: 69 Prozent der Jugendlichen stellen selbst fest, wie sehr die sozialen Ne… | |
| Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, stellte | |
| kürzlich eine Studie zu einer Mental Health Crisis junger Menschen in | |
| Deutschland vor. Neben dem jungen Mann saß Michael Hüther, Direktor des | |
| [1][Instituts der Deutschen Wirtschaft] (IW), das die aktuellen Daten | |
| erhoben hatte. Die Untersuchungsergebnisse weisen auf die ökonomischen | |
| Konsequenzen dieser Krise hin und halten fest: „So stellen viele Maßnahmen | |
| zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen | |
| für die öffentlichen Haushalte auf längere Sicht eine lohnenswerte | |
| Investition dar.“ | |
| Zynisch gesagt, müssen junge Menschen jetzt schon beweisen, dass ihre | |
| emotionalen Belastungen auch finanziellen Schaden mit sich bringen. Das | |
| Wohlergehen von Kindern allein scheint in dieser Gesellschaft nicht | |
| auszureichen. In seinem Buch [2][„Generation Angst“] schreibt der | |
| US-amerikanische Psychologe Jonathan Haidt über einen Wandel in der | |
| mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, der etwa im Jahr 2010 | |
| einsetzt, das Jahr, in dem die letzten Kinder der Gen Z – die „Generation | |
| Angst“ – geboren wurden. | |
| Um dieses Jahr herum wurden außerdem die ersten Kinder der Gen Z | |
| volljährig. Ungefähr damals kam auch das erste iPhone auf den Markt und das | |
| Breitbandinternet wurde in den USA und Europa allgemein zugänglich. Die Gen | |
| Z, so schreibt Haidt, sei die „erste Generation in der Geschichte“ gewesen, | |
| „die die Pubertät mit einem Portal in der Hosentasche durchlief – einem | |
| Portal, das sie von den Menschen in ihrer Nähe weglockte und in ein | |
| alternatives Universum führte, das aufregend, süchtig machend, instabil“ | |
| sei. | |
| Dass viele Kinder und Jugendliche emotional belastet sind und unter | |
| psychischen Erkrankungen leiden, hat unterschiedlichste Gründe. Ein solch | |
| auffälliges Geschehen ist nie auf eine einzige Ursache zurückzuführen. | |
| Erstaunlich ist allerdings, dass die Tatsache, dass schon sehr junge | |
| Menschen Zugang zu einer Welt der Social-Media-Plattformen haben, die sogar | |
| für Erwachsene in höchstem Maße belastend sein kann, in der Debatte eine | |
| derart kleine Rolle spielt. | |
| ## Drei von vier finden sich nicht schön | |
| Eine Befragung der britischen Organisation [3][Stem4 aus dem Jahr 2021], | |
| die sich der mentalen Gesundheit von jungen Menschen widmet, zeigte, dass | |
| 77 Prozent der 12- bis 21-Jährigen unzufrieden damit sind, wie sie | |
| aussehen. 97 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind durchschnittlich 3,65 | |
| Stunden (!) täglich in den sozialen Netzwerken unterwegs. | |
| Wenn sie einen Weg finden wollen, um mit den negativen Gefühlen gegenüber | |
| dem eigenen Körper umzugehen, suchen sich 76 Prozent der jungen Menschen | |
| Hilfe auf Social-Media-Apps wie [4][Tiktok] und [5][Instagram]; nur 18 | |
| Prozent sprechen darüber mit Freund:innen oder der Familie. Das | |
| Überraschende dabei ist, dass 69 Prozent der Kinder und Jugendlichen selbst | |
| feststellen, wie sehr die sozialen Netzwerke ihre [6][Stimmung negativ | |
| beeinflussen]. Laut der Stem4-Untersuchung fühlen sie sich „gestresst, | |
| besorgt und depressiv“. | |
| Für einen Artikel im US-amerikanischen Magazin [7][The Atlantic] beschreibt | |
| Haidt eine Untersuchung von Kindern im Alter zwischen acht und zwölf | |
| Jahren. Die Probanden bekamen drei Möglichkeiten, wie sie ihre Freizeit | |
| verbringen können: freies, unbeaufsichtigtes Spielen mit anderen Kindern. | |
| Oder: Aktivitäten, die von Erwachsenen organisiert werden. Oder: sich | |
| online mit anderen verbinden. Es gab einen klaren Gewinner: das freie | |
| Spielen. Knapp die Hälfte der Kinder wählten die erste Option, nur ein | |
| Viertel wollte sich in der Freizeit online vernetzen. | |
| ## Es braucht strengere Regeln | |
| Es ist ein heikles Thema. Kritik am allzu leichten Zugang zur digitalen | |
| Welt der Social-Media-Apps kann schnell zur allgemeinen Technikkritik | |
| umgedeutet werden. Zu Studien und Untersuchungen eines Wissenschaftlers wie | |
| Jonathan Haidt gibt es Kritik anderer Wissenschaftler:innen, die sicher | |
| valide ist – Wissenschaft ist selten eindeutig. Gleichzeitig liefern | |
| zahlreiche Studien klare Hinweise darauf, dass es schädlich sein kann, | |
| jungen Menschen allzu früh Smartphones in die Hände zu drücken. | |
| Nur in einer Gesellschaft, in der das Wohlergehen von Kindern derart | |
| geringgeschätzt wird, ist es möglich, diese Warnzeichen zu ignorieren. Die | |
| Macht und die Wünsche der digitalen Plattformen scheinen vorzugehen. Das | |
| Argument, dass Kinder digitale Fertigkeiten schließlich erlernen sollen, | |
| erscheint seltsam. Natürlich müssen sie das – aber das geht auch ohne ein | |
| eigenes Smartphone oder den Zugang zu Social Media. | |
| Außerdem hat auch die Generation vor Gen Z, die Millennials, bekanntermaßen | |
| den Umgang mit der digitalen Welt gut erlernt, obwohl sie teils erst weit | |
| nach der Schulzeit damit begonnen haben. In dieser Hinsicht ist es | |
| unfassbar, dass Schulen in Deutschland private Smartphones erlauben. Dass | |
| es bisher noch keine Bundes- oder Landesregierungen für flächendeckende | |
| Regelungen gibt oder auch dass der Zugang zu Social Media vor dem 16. | |
| Lebensjahr erlaubt ist, ist nicht nachvollziehbar. | |
| Ohne staatliche Regelungen wird jede Familie mit der Entscheidung | |
| alleingelassen. Was sollen Eltern sagen, wenn die zehnjährige Tochter nach | |
| Hause kommt und erklärt, sie will jetzt auch ein Smartphone haben, | |
| schließlich haben alle anderen in ihrer Klasse auch eins? Was ist mit | |
| Eltern, die weder die Ressourcen noch den Zugang zu Wissen haben, die für | |
| solche Entscheidungen notwendig wären? Was ist mit Familien, die prekär | |
| leben, die eingewandert sind und dadurch bereits strukturell emotionale | |
| Belastungen haben? | |
| Die Erklärung, dass das jede Familie für sich selbst klären müsse, kann nur | |
| aus einer sehr privilegierten Sicht erfolgen. Man kann nur hoffen, dass in | |
| nicht allzu ferner Zukunft Gesellschaft und Staat verstehen, was Kinder | |
| brauchen. Es ist allerhöchste Zeit, sich besser um sie zu kümmern. | |
| 5 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.iwkoeln.de/ | |
| [2] https://www.rowohlt.de/buch/jonathan-haidt-generation-angst-9783498028367 | |
| [3] https://stem4.org.uk/wp-content/uploads/2022/06/20_21-Annual-Report.pdf | |
| [4] https://www.tiktok.com/de-DE/ | |
| [5] https://www.instagram.com/ | |
| [6] /Depressionen-durch-Instagram/!5801533 | |
| [7] https://www.theatlantic.com/world/ | |
| ## AUTOREN | |
| Gilda Sahebi | |
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