| # taz.de -- Berlin-Tatort „Erika Mustermann“: Die Abgründe alltäglicher A… | |
| > Im neuen Berlin-Tatort trifft eine Hochsicherheitszone aufs Prekariat. Es | |
| > geht um falsche Identitäten, verlorene Liebe und brillante Ermittler. | |
| Bild: Abgründe, verlorene Liebe und das Prekariat: darum geht es im neuen Tato… | |
| Mein Arbeitsweg zur taz führt mich seit elf Jahren an der Bundesdruckerei | |
| in Berlin-Kreuzberg vorbei. Der Gebäudekomplex ist hermetisch abgeriegelt. | |
| Nur ein paar Wachleute sind zu sehen und ab und an schiebt sich ein | |
| mächtiges Tor auf. Vom Rad aus kann man sehen, dass es sich um eine | |
| gigantische Sicherheitsschleuse handelt, in die Lkws hineinpassen. Wie es | |
| wohl im Inneren zugeht? Eine Idee davon, wenn auch fiktiv, liefert [1][der | |
| neue „Tatort“] aus Berlin mit dem schönen Namen „Erika Mustermann“. | |
| Ein Rider, wie die [2][prekär beschäftigten Lieferdienstfahrradfahrer] im | |
| Firmenjargon genannt werden, fährt durch eine Seitenstraße. Der junge Mann | |
| wird von einem Auto überfahren. Eine blinde Frau hört den Unfall und hat | |
| einen Hinweis … Der Rider ist tot, der Verkehrsunfall entpuppt sich als | |
| Mord. Susanne Bonard (einfach herrlich: [3][Corinna Harfouch) und Robert | |
| Karow] (gewohnt ruppig: Mark Waschke) suchen im Umfeld des Opfers nach | |
| Hinweisen. Der hatte einen Ausweis dabei. | |
| Als die beiden Ermittler die Nachricht überbringen, ihr Partner sei tot, | |
| ist die Frau – ein Baby auf dem Arm –, erschüttert. Doch kurze Zeit später | |
| steht ihr Mann lebend in der Tür!? Keine Angst, das hier ist keine | |
| Burleske, sondern ein erschütterndes Migrantendrama mit unerwartetem Plot. | |
| Der tote Rider namens Tomás Rey hatte einen falschen Ausweis dabei, daher | |
| die Verwechslung. Wie sich herausstellt, kam er einst mit einem | |
| abgelaufenen Touristenvisum aus Venezuela nach Deutschland und wohnte mit | |
| seinem Bruder Luís und einem Freund in einer WG. Ohne gültige | |
| Aufenthaltspapiere können sie hier nur dank des falschen Ausweises | |
| arbeiten. In der Lieferdienstzentrale wundert sich niemand, dass „Fahrer | |
| 194“, eine einzige Person, jeden Tag elf und mehr Stunden durcharbeitet, | |
| ohne einen freien Tag. „Ihre Fahrer sind Nummern?“, fragt Karow irritiert. | |
| Selten wurde Ausbeutung so plastisch dargestellt. | |
| ## Mit schwerem Rucksack aus der Bundesdruckerei | |
| Das Todesopfer hatte ein Verhältnis mit Annika Haupt (einfach grandios: | |
| Annett Sawallisch), die als Sicherheitsmitarbeiterin in der Bundesdruckerei | |
| angestellt ist. Natürlich vermuten Bonard und Karow einen Zusammenhang und | |
| tippen auf den Diebstahl von frisch gedruckten Banknoten. Videoaufnahmen | |
| legen das nahe: Rider Rey verlässt die Bundesdruckerei kurz vor seinem Tod | |
| wutentbrannt mit schwerem Rucksack – von dem fehlt jede Spur. | |
| Die Kommissar:innen müssen in die Bundesdruckerei. Die Kulissen sind | |
| allerdings völlig frei erfunden – es konnte nicht an Originalschauplätzen | |
| gedreht werden. In der Druckerei fehlen keine Geldscheine. Die | |
| Sicherheitsvorkehrungen machen Diebstahl unmöglich. Aber könnte es nicht | |
| doch Schwachstellen in so einem Hochsicherheitsbereich geben? Die einzig | |
| denkbare Lücke im sonst perfekten System kann nur menschliche | |
| Verführbarkeit sein. | |
| Könnte die trauernde Geliebte des Toten involviert sein? Wer sind die | |
| Drahtzieher? [4][Wer nutzt das Elend der Fahrradkuriere schamlos aus?] | |
| „Einfach leben – wie ihr!“ – sagt der Bruder des Toten über die | |
| Beweggründe, zu diesen unmenschlichen Bedingungen illegal zu arbeiten. | |
| „Erika Mustermann“ ist der fünfte Berliner „Tatort“ von sechs Episoden… | |
| Harfouch als Susanne Bonard. Die Rollenfigur geht in Rente. Das ist schade, | |
| aber alles hat ein Ende. Auch ich gehe. Nicht in den Ruhestand, doch das | |
| war mein letzter Text für diese wunderbare Krimi-Kolumne. | |
| 2 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Hergeth | |
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