| # taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Ohne Gerechtigkeit kein Frieden | |
| > Der Bundeskanzler freut sich: Die Pali-Demos sollen nun vorbei sein. Doch | |
| > die Bewegung, ihre Probleme und der lange Schatten der Repression | |
| > bleiben. | |
| Bild: Dass mit dem Waffenstillstand in Gaza die Palästina-Bewegung verstummt, … | |
| Berlin taz | „Es gibt keinen Grund mehr, jetzt für Palästinenser in | |
| Deutschland zu demonstrieren“, sagt der Bundeskanzler Friedrich Merz. Der | |
| Grund dafür sei der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas, in dem | |
| sich Israel bereit erklärt hat – wie es das Satiremedium The Onion zynisch | |
| formuliert – wieder zum [1][selteneren Töten von Palästinenser:innen | |
| überzugehen]: als Teil der regulären Besatzungs- und Kontrollpolitik. | |
| Dass die israelischen Massaker in Gaza aufgehört haben und die Menschen | |
| dort endlich in Frieden schlafen können, ist ein Grund zu feiern, wie jeder | |
| Tag, an dem das Morden nicht stattfindet. Aber die meisten | |
| Beobachter:innen sind sich einig: [2][die Ursachen des Konflikts | |
| wurden mit dem Waffenstillstand nicht gelöst.] Denn die liegen vor allem in | |
| Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser:innen. Es sind diese | |
| Gewaltverhältnisse, die wohl auch zur Entstehung der Hamas und dessen | |
| unentschuldbaren Terror am 7. Oktober, sowie dem anschließenden möglichen | |
| Völkermord Israels in Gaza beigetragen haben. | |
| Ein echter „Frieden“ ist so nicht möglich. Martin Luther King hat einmal | |
| gesagt: „Wahrer Friede ist nicht nur die Abwesenheit von Spannungen; er ist | |
| die Anwesenheit von Gerechtigkeit.“ Solange es einen solchen Frieden aber | |
| nicht im Nahen Osten gibt, ist es fraglich, ob sich die klammheimlichen | |
| Hoffnungen im Kanzleramt, bei der Polizei und in den Springer-Redaktionen | |
| erfüllen, dass sich mit dem Waffenstillstand auch die „Pali-Proteste“ | |
| erledigt haben könnten. | |
| Denn was im Nahen Osten gilt, gilt auch hierzulande, wenn auch | |
| nachgelagert: Die Probleme, die den Grund und das Futter für die Bewegung | |
| darstellen, bestehen fort. Soziale Bewegungen verschwinden nicht, weil | |
| Regierungen es sich wünschen, sondern weil die Realität, die sie | |
| hervorbringt, sich verändert. Davon ist Deutschland aber weit entfernt. Das | |
| anzuerkennen, ist unabhängig davon möglich, dass man sich von den | |
| ideologischen Verirrungen von einigen Akteuren der Bewegung abzugrenzen | |
| muss, die zuweilen [3][bis zum offenen Jubel über die Verbrechen der Hamas | |
| reichen]. | |
| ## Behinderung von palästinasolidarischen Events | |
| Denn der zentrale Grund für die Palästina-Bewegung bleibt, neben der | |
| Situation vor Ort, die materielle und ideologische Unterstützung für die | |
| israelischen Kriegsverbrechen, die dieses Land in den vergangenen zwei | |
| Jahren geleistet hat. Im Inneren wurde diese Linie mit Gewalt durchgesetzt: | |
| Demos wurden [4][verboten, behindert und zusammengeschlagen], das | |
| [5][Aufenthaltsrecht missbraucht], um unliebsame Aktivist:innen | |
| loszuwerden, [6][Events mit Palästina-Bezug verhindert], [7][wobei der | |
| Antisemitismusvorwurf teils entwertet wurde], um Israelkritik zum Schweigen | |
| zu bringen. | |
| Es dürfte auch an der gesellschaftlichen Stimmung des Generalverdachts | |
| gelegen haben, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft und breite Teile der | |
| undogmatischen Linken [8][sehr lange zu Gaza geschwiegen] haben. Nur | |
| deshalb aber konnten sich ideologisch verborte Antiimps überhaupt an die | |
| Spitze der Bewegung setzen und sich als Kopf der Vielen inszenieren, die | |
| von dem Gefühl getrieben waren, angesichts der live-gestreamten Verbrechen | |
| nicht nichts tun zu können. Und ihr Protest war – trotz allem – nicht | |
| wirkungslos: Der Druck, den die weitweite Bewegung für Palästinasolidarität | |
| aufgebaut hat, dürfte bei der Entscheidung für einen Waffenstillstand wohl | |
| eine Rolle gespielt haben. | |
| Die Publizistin Charlotte Wiedemann [9][schreibt in der taz], es müsse | |
| gefragt werden, ob deutsche Politiker:innen mitschuldig an den | |
| zehntausenden Getöteten in Gaza sind. Und sie fordert als Einsicht eine | |
| andere Israelpolitik, die Deutschlands historische Verantwortung als Land | |
| des Holocausts mit dem Völkerrecht in Einklang bringt. Mit Blick auf den | |
| Umgang mit der Palästina-Bewegung ließe sich ergänzen: Einsicht hieße auch, | |
| das eigene Demokratieverständnis zu prüfen – und zu begreifen, dass | |
| Grundrechte wenig wert sind, wenn sie nur für politisch erwünschte Stimmen | |
| gelten. | |
| Dass es aber bei irgendeiner Partei in diesem Konflikt – ob im Nahen Osten, | |
| oder hierzulande bei Politik, Polizei oder Bewegungsakteuren – wirklich zu | |
| einer Einsicht kommt, darf bezweifelt werden. Und so kann der Satz von Merz | |
| auch als Drohung verstanden werden: Dass nun, wo die Waffen schweigen, die | |
| Repression sogar noch zunimmt, weil es nun ja wirklich keinen Grund mehr | |
| für Proteste gebe, womit Merz allerdings nachträglich eine Anerkennung | |
| ihrer bisherigen Berechtigung einschmuggelt. Solange sich an dieser | |
| Einstellung nichts ändert, mag sich die Situation auf den Straßen zunächst | |
| beruhigen. Der Konflikt wird fortschwelen – in Berlin wie im Nahen Osten. | |
| 15 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://theonion.com/israel-agrees-to-go-back-to-killing-palestinians-on-le… | |
| [2] /Frieden-in-Nahost/!6116474 | |
| [3] /Pro-palaestinensische-Szene/!6118415 | |
| [4] /Palaestina-Solidaritaet-in-Berlin/!6099452 | |
| [5] /Palaestina-Demo-in-Berlin/!6083075 | |
| [6] /Palaestina-Kongress-in-Berlin/!6100913 | |
| [7] /Streit-um-Antisemitismus-Definition/!6086987 | |
| [8] /Propalaestinensische-Szene-/!6112173 | |
| [9] /Deutsche-Israel-Politik/!6116601 | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Bewegung | |
| taz Plan | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Palästina | |
| Polizeigewalt | |
| Antisemitismus | |
| Schlagloch | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Palästina | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Deutsche Israel-Politik: Auf das Versagen muss Einsicht folgen | |
| Gaza lehrt: Die deutsche Israel-Politik ist gescheitert. Ein Neustart muss | |
| historische Verantwortung und Völkerrecht in Einklang bringen. | |
| Frieden in Nahost: Eine Atempause, aber keine Lösung | |
| Der Albtraum ist vorbei – ein bisschen. Doch leider stehen derzeit alle | |
| Zeichen gegen eine langfristige Lösung des Konflikts. | |
| Pro-palästinensische Szene: Am Tiefpunkt | |
| Am Jahrestag des 7. Oktober zeigt sich: Die Pali-Szene hat sich in eine | |
| Sackgasse manövriert. Offener Jubel über Hamas-Verbrechen ist nun Konsens. |