| # taz.de -- Reaktionen in Israel auf Abkommen: Was nach der Freude kommt | |
| > Die Einigung zwischen Israels Regierung und der Hamas löst in Tel Aviv | |
| > Euphorie aus. Trumps spricht von „ewigem Frieden“. Wie ernst nimmt Israel | |
| > seine Ankündigung? | |
| Bild: Menschen liegen sich am Donnerstag auf dem Geiselplatz in Tel Aviv in den… | |
| Sie sind euphorisch, sie tanzen, weinen, singen auf dem Tel Aviver | |
| Geiselplatz am Donnerstag, bis in die Nacht hinein. Tausende Menschen sind | |
| da, sie freuen sich über die Nachricht über [1][eine Waffenruhe im | |
| Gazastreifen]. Zwei Jahre war der Platz zwischen Kunstmuseum und | |
| Armeehauptquartier das Herz der Protestbewegung der Geiselangehörigen. | |
| Jetzt, angesichts der Aussicht auf die baldige Rückkehr der 20 noch | |
| lebenden Geiseln, ist die Freude groß. | |
| In den Hintergrund tritt, dass die Ankündigung von US-Präsident Donald | |
| Trump nur die Zustimmung für eine „erste Phase“ beinhaltet. Zahlreiche | |
| Fragen für ein [2][endgültiges Ende des Krieges] sind noch zu beantworten: | |
| Wird die Hamas ihre Waffen abgeben? Wie soll die künftige Verwaltung des | |
| Gazastreifens aussehen? | |
| Vor allem aber geht Trumps Plan über eine Waffenruhe weit hinaus. Nichts | |
| weniger als „ewigen Frieden“ im Nahen Osten soll er bringen. Doch viele | |
| Israelis sind zwei Jahre nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober, bei dem | |
| rund 1.200 Menschen getötet und 251 verschleppt wurden, nicht mehr für | |
| Kompromisse bereit. Drei Viertel der jüdischen Israelis denken laut | |
| Umfragen nicht, dass Palästinenser überhaupt ein Recht auf einen eigenen | |
| Staat haben sollten, ein historisch hoher Wert. Wie ernst nimmt man Trumps | |
| Friedensvision in Israel? | |
| Unweit des Geiselplatzes beginnt am Donnerstagabend das Wochenende. Der | |
| Lärm in den gefüllten Bars und Restaurants auf der Ibn-Gabirol-Straße | |
| schafft eine absurde Normalität, kaum eine Autostunde entfernt von den | |
| pausenlosen israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen. Nur wer am | |
| nahegelegenen Strand genau horcht, hört hin und wieder leise die Einschläge | |
| in Gaza, wo binnen zwei Jahren mehr als 67.000 Menschen getötet wurden, die | |
| meisten von ihnen Zivilisten. Zahlreiche Beobachter sprechen von | |
| Völkermord. Erst um Mitternacht wird die Waffenruhe in Kraft treten. | |
| ## Die Schuldfrage | |
| „Das Abkommen gibt mir Hoffnung“, sagt Moschik Bibi, der neben seiner | |
| Verlobten Atalya Ben Zeev in einer Bar Platz genommen hat. „Vielleicht | |
| sogar auf Frieden“, meint der Elektrotechniker. Ben Zeev widerspricht: „Ich | |
| glaube nicht, dass die Araber Frieden wollen“, sagt sie und meint die | |
| Palästinenser im Gazastreifen. Es müsse eben vorher die Hamas weg, wendet | |
| Bibi ein. „Gazaner bleiben Gazaner“, beharrt Ben Zeev. | |
| Sie würden „ihren Kindern Hass beibringen“ – ein Satz, der in Israel sehr | |
| oft gesagt wird. Er ist immer wieder das argumentative Fundament, auf dem | |
| Menschen bis hinein in die politische Mitte selbst im Fernsehen den Tod von | |
| Kindern als „künftige Terroristen“ rechtfertigen. Israels Armee | |
| transportiert dieses Narrativ selbst auf ihrer Website: Kinder in Gaza | |
| würden gelehrt, „Terrorismus zu glorifizieren und Märtyrertum anzustreben�… | |
| heißt es dort. | |
| Es sei die junge Generation in Gaza, die nicht bereit zum Frieden sei, | |
| sagen beide. Aber sei nicht ein Grund dafür, dass binnen zwei Jahren rund | |
| 20.000 Kinder bei israelischen Angriffen getötet wurden und ein Teenager in | |
| Gaza bereits vor dem 7. Oktober mehrere Kriege mit Tausenden Toten auf | |
| palästinensischer Seite erlebt hat? „Daran ist die Hamas schuld, wir müssen | |
| uns verteidigen“, sagt Ben Zeev. | |
| ## Israels Jugend rückt nach rechts | |
| Auch Israels junge Generation ist laut Umfragen schon vor dem 7. Oktober | |
| deutlich nach rechts gerückt, hin zu populistischem Nationalismus und | |
| Militarismus geneigt. Ben Zeev, selbst in einer eher links eingestellten | |
| Familie aufgewachsen, ist das beste Beispiel, wie sehr die Hamas-Massaker | |
| diesen Trend verstärkt haben. „Ich glaube nicht, dass wir jemandem etwas | |
| getan haben“, sagt Ben Zeev. Den Israelis aber seien von den Hamas-Kämpfern | |
| Dinge angetan worden, die es „nicht einmal im Holocaust gegeben habe.“ Was | |
| genau, lässt sie offen. | |
| Er bestellt ein großes Bier, sie Aperol Spritz und Nachos mit Guacamole. | |
| Sie arbeite im Restaurant-Geschäft, sagt die blonde Endzwanzigerin. Was | |
| also müsste in Gaza für „ewigen Frieden“ passieren? Vielleicht könne ja … | |
| Verwaltung durch die USA, wie von Trump vorgeschlagen, etwas ändern, sagt | |
| Bibi und findet ein paar Worte, die fast wie Empathie klingen: „Ich will | |
| glauben, dass auch unter den Palästinensern die meisten gerne in Frieden | |
| leben würden.“ Eine israelische Mitverantwortung auf dem Weg zum Frieden | |
| aber sieht auch er nicht. | |
| Ein paar Meter weiter im Restaurant Miznon schlagen Irit Segal und ihre | |
| Freundin Ronit nachdenklichere Töne an. „Frieden ist das falsche Wort nach | |
| all dem Grauen, das in den letzten zwei Jahren passiert ist“, sagt Segal. | |
| Realistischer sei, „dass sie dort ihre Ruhe haben und wir hier.“ Ohne | |
| Waffen in Gaza, ohne Raketen, „ohne Provokationen“. Ronit wendet ein: „Da… | |
| dürften wir auch nicht provozieren und ihnen wie vor dem Krieg bei jeder | |
| Armeeoperation Wasser und Strom abdrehen.“ | |
| Auch den beiden Frauen gefällt die Idee von Trump als „Gouverneur von | |
| Gaza“. Jemand müsse dort „die Lage kontrollieren“, sagt Segal. Die | |
| Palästinenser müssten dazu „nur den richtigen Blickwinkel finden.“ Es kom… | |
| jemand und kümmere sich, eine Art Wiederaufbau wie in Deutschland nach dem | |
| Zweiten Weltkrieg. Danach würde es „für sie dort genug Dinge geben“, sagt | |
| Segal. Der US-Präsident hätte es wohl selbst kaum paternalistischer | |
| ausdrücken können. | |
| ## Was noch passieren müsste | |
| Die 60-jährige israelische Palästinenserin Laila im weiter südlich | |
| gelegenen jüdisch und palästinensisch bewohnten Jaffa ist anderer Meinung. | |
| Damit Frieden eine Chance habe, müssten als erstes Regierungschef Netanjahu | |
| und seine faschistischen Minister für ihre Verbrechen in Gaza die Regierung | |
| verlassen, sagt sie in einem Café. | |
| Sie sei seit 8 Jahren in einem jüdischen Fahrradladen angestellt. „Wir | |
| arbeiten zusammen, ziehen unsere Kinder zusammen auf.“ Dass friedliches | |
| Zusammenleben möglich sei, würde man doch sehen. | |
| Ewiger Frieden aber sei komplizierter, als Trump sich das vorstelle, sagt | |
| Chalil. Der 19-Jährige, ebenfalls israelischer Palästinenser, arbeitet nach | |
| seinem Schulabschluss in der Bäckerei um die Ecke. Er will bald ein Studium | |
| in Umwelttechnik beginnen. „Die Gründe, warum dieser Konflikt seit mehr als | |
| 100 Jahren existiert und immer komplizierter wird, lassen sich nicht | |
| einfach wegwischen“, sagt er. | |
| Seine Familie lebe seit Generationen in Jaffa. Seine Großmutter habe bis | |
| heute Kontakte zu Verwandten, deren Eltern und Großeltern 1948 nach der | |
| israelischen Staatsgründung vor der israelischen Armee nach Süden geflohen | |
| waren. Manche von ihnen seien bei israelischen Angriffen in Gaza getötet | |
| worden. | |
| „Trump ist verrückt“, sagt Chalil, aber immerhin habe er diesmal etwas | |
| Gutes erreicht. Die Lösung jedoch sei temporär. „Für echten Frieden braucht | |
| es gleiche Rechte für alle Menschen in diesem Land“, sagt er. Das sei von | |
| Anfang an ein Kernproblem dieses Konfliktes gewesen, darum ginge es bis | |
| heute. Auch er spricht von Erziehung: Auf beiden Seiten würde Kindern Hass | |
| beigebracht. Der Kreislauf von Gewalt und Angst gehe weiter. „Das kann man | |
| nicht über Nacht lösen, das braucht Zeit.“ | |
| 10 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Felix Wellisch | |
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