| # taz.de -- Suche nach Gerechtigkeit: Taliban auf der Anklagebank | |
| > Afghanische Exilorganisationen starten in Madrid ein „Volkstribunal für | |
| > die Frauen Afghanistans“. Die Taliban bleiben lieber fern. | |
| Bild: Taliban-Wachposten auf der Ladefläche eines Pickups nach dem Erdbeben in… | |
| Berlin taz | Um das afghanische Taliban-Regime für seine systematische | |
| Unterdrückung der Frauen öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen, startet an | |
| diesem Mittwoch in Madrid das dreitägige „Volkstribunal für die Frauen | |
| Afghanistans“. Das Besondere: Im Gegensatz zu anderen Institutionen, die | |
| das gleiche Ziel verfolgen, steht es unter afghanischer Federführung. Die | |
| Zivilgesellschaft des Landes macht sich damit aus dem Exil daran, die Macht | |
| über das eigene Wort zu erlangen. | |
| Solche Tribunale stehen in langer Tradition. Sie entstanden 1979 als | |
| Nachfolger der Russell-Tribunale, die sich mit US- und anderen Verbrechen | |
| während des Vietnamkriegs befassten. Auch Afghanistan war bereits zweimal | |
| Thema, 1981 und 1982 während der zehnjährigen sowjetischen Besatzung. | |
| Eine Koalition aus vier afghanischen Exilorganisationen brachte es im | |
| vorigen Dezember auf den Weg. Darunter ist [1][die | |
| Menschenrechtsorganisation Rawadari], gegründet von [2][Schaharsad Akbar], | |
| der früheren Vorsitzenden der Unabhängigen Menschenrechtskommission | |
| Afghanistans (AIHRC), die von den Taliban aufgelöst wurde. Das Tribunal | |
| soll, so Akbar zur taz, „den Opfern und Überlebenden mit einem Tag im | |
| Gericht eine direkte Plattform geben.“ | |
| Zwar lädt auch die UNO regelmäßig afghanische Frauen ein, etwa wenn | |
| Afghanistan im Sicherheitsrat besprochen wird. Aber sie sucht selbst die | |
| Teilnehmerinnen aus. Oft wirkt das wie ein frauenrechtliches Feigenblatt. | |
| ## Tribunal erhöht Druck auf juristische Institutionen | |
| Die Taliban verweigern dem UN-Menschenrechtsberichterstatter zudem seit | |
| zwei Jahren das Visum. Den Handlungsspielraum des Internationalen | |
| Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, ebenfalls eine UN-Institution, der | |
| im Juli [3][Haftbefehle gegen die zwei wichtigsten Talibanführer] stellte, | |
| begrenzen Sanktionen der Trump-Regierung. | |
| Eine Vier-Staaten-Initiative mit deutscher Beteiligung, die von den Taliban | |
| Rechenschaft über ihre Verpflichtungen nach der UN-Konvention gegen | |
| Frauendiskriminierung fordert, kommt nicht voran. Sie stammt noch aus der | |
| Baerbock-Phase der feministischen Außenpolitik. Die neue schwarz-rote | |
| Regierung setzt andere Prioritäten. | |
| In Madrid werden vier afghanische Staatsbürger*innen als Staatsanwälte | |
| fungieren, zwei Frauen, ein Mann, Expert*innen für internationales | |
| Recht, Soziologie und Genderfragen. Der Name der/des vierten wird aus | |
| Sicherheitsgründen geheim gehalten. Die Gruppe legt dort einem achtköpfigen | |
| internationalen Gericht (sieben Frauen, ein Mann, darunter eine Afghanin), | |
| ihre Anklage vor, die sie in Zusammenarbeit mit einem internationalen | |
| Rechercheteam schrieben. | |
| Die Anklageschrift wurde auch den Taliban zugeleitet. Eine Reaktion darauf | |
| liegt dem Tribunal aber nicht vor. Deshalb berief es eine | |
| Pflichtverteidigung. | |
| Zudem werden Zeug*innen gehört. Einige, die im Exil leben, werden | |
| persönlich anwesend sein, sagt Akbar der taz, andere werden sich aus Furcht | |
| vor Taliban-Unterstützern in Europa in Audio- oder schriftlicher Form | |
| äußern. | |
| ## Frauen wurden auch Opfer der US-Invasion | |
| Aus Afghanistan selbst lägen dem Tribunal neun Aussagen vor. „Wir mussten | |
| aus Sicherheitsgründen sehr vorsichtig sein“, erklärte Akbar. Ein*e | |
| Zeug*in schlug sich während des kürzlichen Internet-Blackouts in ein | |
| Nachbarland durch, um dort die Aussage aufzuzeichnen, berichtet die | |
| britische Menschenrechtsexpertin Rachel Reid, die das Tribunal unterstützt. | |
| Zum Abschluss werden die Richter*innen eine vorläufige Erklärung | |
| abgeben. Das endgültige Urteil folgt bis Mitte Dezember. Es wird dann der | |
| UNO und anderen Gremien zugeleitet. An einer Verurteilung dürfte es keinen | |
| Zweifel geben. | |
| Einen Mangel hat das Tribunal: Es lässt die Frauen und deren Familien außen | |
| vor, die zwischen 2001 und 2021 zivile Opfer von US-Militärs und | |
| verbündeten Truppen wurden. Das birgt das Risiko, eine Hierarchie zwischen | |
| verschiedenen Opfergruppen zu schaffen. Genau das hatten afghanische | |
| Aktivist*innen wie Akbar kritisiert, als der IStGH 2022 versuchte, | |
| Untersuchungen mutmaßlicher Kriegsverbrechen der USA und verbündeter | |
| afghanischer und anderer Truppen zu „depriorisieren“. Laut Akbar mangele es | |
| dem Volkstribunal dafür an Ressourcen. Sie hofft, wie in den 1980er-Jahren, | |
| auf weitere Afghanistan-Tribunale. | |
| 8 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://rawadari.org/ | |
| [2] /Afghanische-Menschenrechtskommission/!5827107 | |
| [3] /Unterdrueckung-von-Frauen/!6100131 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
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