# taz.de -- Umgang mit Krisen: Ich bin nicht allein (oder doch?) | |
> Mit Problemen müssen wir lernen umzugehen. Doch Atemübungen helfen nicht | |
> gegen Zwangsräumung. Und ein Waldspaziergang verhindert keine | |
> Abschiebung. | |
Bild: Eine Spaziergang verhindert keine Abschiebung | |
Es gibt viele verschiedene Arten von Problemen. Einige von ihnen sind | |
interessant, andere langweilig. Ganz ohne kommt man nicht durch’s Leben. | |
Deswegen versuche ich mich für die interessanteren zu entscheiden. | |
Es gibt private Probleme und politische. Viel häufiger als man denkt sind | |
vermeintlich private Probleme politisch. Als ich 2009 auf Wohnungssuche | |
war, fand mein Freundeskreis witzig, dass ich nach mehreren Besichtigungen | |
immer noch nichts fand. In diesem Berlin, wo zwar alle merkten, dass es | |
„irgendwie voller ist“. Doch wo noch recht viele für recht wenig Geld recht | |
viel Platz hatten. „Vielleicht bin ich einfach die schlechteste | |
Wohnungsbewerberin der Welt?“ Heute weiß ich: Es lag nicht an mir. | |
Aktuell hält sich das Chaos in Grenzen. Doch letztes Jahr brach ständig | |
irgendetwas über mich herein: Krankheit, Unsicherheiten im Job, | |
b[1][eschissene Wohnsituation], unerwartete Kosten. Immer war irgendwas und | |
ich kam nicht zur Ruhe. Vor lauter Stress habe ich eine Weile gebraucht, um | |
mir die Situation mal ruhiger und genauer anzuschauen. Aus meinen Gedanken | |
dazu formulierte ich eine Frage und teilte sie dort, wo man eben seine | |
Sorgen teilt: in einer [2][Instagram]-Story. | |
„Liegt es an mir oder passieren euch gerade auch dauernd immer wieder | |
kleine persönliche Katastrophen und wenn ja, wie geht ihr damit um? | |
## Das eigene Leben leben | |
Die Antworten waren zahlreich und zugleich beruhigend wie schockierend. | |
Erstmal habe ich rausgefunden: Ich bin nicht allein. Viele konnten mit | |
meiner Formulierung „private Katastrophen“ etwas anfangen. Es geht um die | |
Art von Problemen, die über einen hereinbrechen und Pläne zerstören, einen | |
davon abhalten, die Dinge zu tun, die man tun will, und einfach das eigene | |
Leben zu leben. Gleichzeitig ist man sich bewusst, dass man es doch | |
eigentlich ganz gut hat in deutschen Städten: kein Krieg, keine Erdbeben. | |
Niemand hat beide Teile der Frage beantwortet. Gesundheitliche und | |
Wohnungsprobleme waren die häufigsten Katastrophen. Gefolgt von Stress mit | |
dem Amt (welchem auch immer; die härtesten Existenzkrisen löst jedoch nach | |
wie vor die Ausländerbehörde aus). | |
Es ging um lange getrennte Paare, die nicht auseinanderziehen konnten, oder | |
darum, dass man nach erfolgreicher Eigenbedarfskündigung nun kurz vor der | |
Zwangsräumung steht. Einige wurden Opfer von wilden Entmietungsmethoden | |
durch ihre Vermieter, andere ganz offensichtlich betrogen. Menschen haben | |
beängstigende Diagnosen erhalten, aber einfach keinen Facharzttermin | |
bekommen. Das war kein Einzelfall. Bei anderen übernahm die Kasse plötzlich | |
notwendige Medikamente nicht mehr. | |
Zu all diesen Geschichten passten die Tipps überhaupt nicht, die als | |
Antwort auf den zweiten Teil meiner Frage kamen. Der häufigste: Yoga. Oder | |
irgendeine andere Art von Körperarbeit mit Atmen. Die Sache ist: | |
Atemübungen helfen nicht gegen eine Zwangsräumung. Ein Waldspaziergang | |
verhindert keine Abschiebung. | |
Ich saß da mit einem Haufen systemischer Probleme und einer handvoll | |
individueller Lösungen inklusive der einfühlsamen Nachricht: „Katastrophen | |
sind es nur, wenn du deine Einstellung dazu nicht änderst.“ Na vielen Dank | |
auch. | |
3 Oct 2025 | |
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## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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