| # taz.de -- Soziologe über Klima als Klassenfrage: „Die Grünen haben Fehler… | |
| > Wenn Klimapolitik gesellschaftlich breiter akzeptiert werden soll, muss | |
| > die Verteilungsfrage in den Fokus rücken, sagt der Soziologe Linus | |
| > Westheuser. | |
| Bild: Der New Yorker Bürgermeisterkandidat Zohran Mamdani während einer U-Bah… | |
| taz: Sie schreiben [1][in einer neuen Studie], Sorgen um die Umwelt seien | |
| in der Gesellschaft weit verbreitet. Warum triggert Klimapolitik – wie | |
| aktuell die Diskussion um das Verbrenner-Aus – trotzdem so viele Menschen? | |
| Linus Westheuser: Wenn man ganz allgemein fragt, können sich fast alle | |
| darauf einigen, dass die Umwelt etwas Positives und Schützenswertes ist. | |
| Aber im gesellschaftlichen Alltag wird es schnell komplizierter. | |
| Transformationsfragen wie die des Klimaschutzes sind verschlungen mit den | |
| Ängsten und Wünschen, Krisen und Ungleichheiten der Gesellschaft. | |
| taz: Was meinen Sie damit? | |
| Westheuser: Viele Menschen erleben den Klimawandel als nur eine unter | |
| mehreren Krisen, die sie belasten: [2][Mieten und Preise, die schneller | |
| steigen als die Löhne,] Ängste vor einer Rezession und Altersarmut, | |
| Alltagssorgen um Kinderbetreuung, Zinsen, Überarbeitung und so weiter. Das | |
| ist der Kontext, in dem die Nachrichten von der Klimakatastrophe ankommen. | |
| „Auch das noch“ ist dann oft die Reaktion. Und die erste Frage ist nicht: | |
| Was wird aus der Atmosphäre? Sondern: Muss ich dafür jetzt auch noch | |
| blechen? Dazu tritt heute oft noch die Frage: Wird mir irgendwas verboten? | |
| taz: [3][Menschen mit niedrigen Einkommen sind am stärksten von der | |
| Klimakrise betroffen]. Warum wählen sie dann öfter AfD als Grüne? | |
| Westheuser: Das liegt vielleicht auch daran, dass die Frage der ungleichen | |
| Betroffenheit von Klimaschäden nie wirklich im Zentrum der Debatte stand. | |
| Man weiß, dass [4][Menschen, die draußen arbeiten, die in schlecht | |
| isolierten Wohnungen wohnen, oder die alt und krank sind], am meisten unter | |
| dem Klimawandel leiden. Und man weiß auch, dass es ganz überproportional | |
| [5][die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft sind, die den Klimawandel | |
| befeuern], während die untere Hälfte sowieso schon mehr oder minder | |
| innerhalb der planetaren Grenzen lebt. Aber der politische Konflikt wurde | |
| trotzdem gerahmt, als stünde die aufgeklärte Mittelschicht der urbanen | |
| Bioläden gegen die einfachen Leute, die zu engstirnig sind, um ihre Autos | |
| aufzugeben. | |
| taz: Von wem? | |
| Westheuser: Rechte und die Wirtschaftslobby haben mit viel Aufwand darauf | |
| hingearbeitet. Es gab einen anti-grünen Backlash, der aufwändig | |
| orchestriert wurde, unter anderem von Arbeitgeberlobbys wie der | |
| [6][Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft]. Aber auch die Grünen und die | |
| Klimabewegung haben strategische Fehler gemacht und sich zu stark auf die | |
| Spielregeln ihrer Gegner eingelassen. | |
| taz: Welche strategischen Fehler? | |
| Westheuser: Ich denke, es hätte gelingen müssen, den Klimawandel als einen | |
| Konflikt zwischen oben und unten zu thematisieren. Auf der einen Seite | |
| hätte man über die soziale Absicherung derer sprechen müssen, die am | |
| stärksten von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Und auf der anderen | |
| Seite darüber, wer eigentlich von der Zerstörung des Planeten profitiert. | |
| Nicht zuletzt geht es außerdem auch darum, wer darüber entscheidet, was wir | |
| gesellschaftlich priorisieren: die Profite der Unternehmen oder das | |
| Wohlergehen der Beschäftigten und ihrer Lebensumwelt? Es gab diese Diskurse | |
| natürlich und gerade die Bewegungen haben ja stark auf den Begriff der | |
| Klimagerechtigkeit fokussiert. Aber am Ende kam bei vielen doch vor allem | |
| an, dass die Ökos mir das Tanken und Heizen teurer machen wollen. | |
| taz: Wie geht es besser? | |
| Westheuser: Gelungen finde ich etwa die [7][Kampagne des New Yorker | |
| Bürgermeisterkandidaten Zohran Mamdani]. Bei Mamdani dreht sich alles um | |
| die Bezahlbarkeit des Alltagslebens. Dazu gehört ganz zentral auch die | |
| Forderung nach einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und einer | |
| Lebensmittel- und Energieversorgung, die kommunal organisiert ist und sich | |
| nach den Bedürfnissen der Bürger:innen und nicht nach den Profiten der | |
| Unternehmen richtet. Dieser Ansatz ist auch deshalb wahnsinnig populär, | |
| weil er grüne Zielsetzungen nicht gegen die materiellen Alltagssorgen der | |
| arbeitenden Mehrheit in Stellung bringt, sondern beide zugleich adressiert. | |
| taz: Ist es für eine allgemeine Akzeptanz von Klimapolitik schädlich, über | |
| [8][Lebensstile und Konsumverhalten] zu sprechen? | |
| Westheuser: Ja. Klimapolitik ist umso machtvoller, je unterschiedlicher die | |
| Menschen sind, die sich mit ihr identifizieren. Lebensstil und Konsum | |
| unterscheiden sich aber sehr stark zwischen sozialen Milieus. Je mehr linke | |
| Klimapolitik nur mit bestimmten Lebensstilen verbunden wird, desto mehr | |
| verzwergt ihr politischer Einzugsbereich. Das ermöglicht es rechten | |
| Klimabremsern dann, so zu tun, als sei ihre Verteidigung von | |
| Fossilinteressen eigentlich eine Verteidigung der einfachen Leute und ihrer | |
| Lebensweise. Die Thüringer CDU hat letztes Jahr auf ein Plakat geschrieben: | |
| „Grillen muss erlaubt bleiben!“ Natürlich wollte niemand das Grillen | |
| verbieten. Aber es erschien plausibel, weil ökologische Politik ohnehin | |
| schon als etwas gesehen wird, das einem von oben auferlegt wird – durch | |
| Leute, die der eigenen Lebensform indifferent bis feindlich | |
| gegenüberstehen. | |
| taz: Im Surplus Magazin haben Sie Klimapolitiker*innen und | |
| Klimabewegung gemeinsam mit der Politökonomin Johanna Siebert ans Herz | |
| gelegt, [9][mehr auf „Klimapopulismus“ zu setzen]. Was meinen Sie damit? | |
| Westheuser: Das ist ein Strategievorschlag, der skizziert, wie man den | |
| Klimakonflikt anders rahmen könnte. Nämlich indem man die ungleiche | |
| Verursachung und Betroffenheit ins Zentrum stellt und Wirtschaftseliten ins | |
| Visier nimmt. Wir stützen uns auf Studien, die zeigen, dass es die | |
| Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen erhöht, wenn diese als Frage von oben | |
| und unten politisiert werden. Forschung von Pariser Kollegen etwa zeigt, | |
| dass sich die Zustimmung für ein Tempolimit von 110 Kilometern pro Stunde | |
| auf der Autobahn deutlich erhöht, wenn es mit einem Verbot von Privatjets | |
| verbunden und Minister:innen vorgeschrieben wird, mit dem Zug zu | |
| fahren, statt zu fliegen. Die symbolische Seite von Politik ist sehr | |
| wichtig. Man kommuniziert: Wann immer den einfachen Leuten etwas zugemutet | |
| wird, schlägt man zuallererst und am allermeisten bei den Reichen und | |
| Mächtigen zu. Das ist ein Baustein für eine populäre Klimapolitik jenseits | |
| der Innenstadtringe. | |
| taz: Sie wollen also die im rechten politischen Spektrum übliche Rhetorik | |
| vom „einfachen Volk“ gegen die „bösen Eliten“ übernehmen? | |
| Westheuser: Die Idee ist es, diesen ganzen Konfliktstoff und die Arbeit mit | |
| politischen Emotionen eben nicht einfach den Rechten zu überlassen. Zurzeit | |
| sind es vor allem sie, die Ungerechtigkeiten in der Klimapolitik | |
| skandalisieren und sich als Verteidiger der einfachen Leute gerieren. Das | |
| könnten Linke besser, wenn sie es zum Zentrum ihrer Politik machen würden. | |
| Schaut man auf die Zahlen, wer wie viel Klimaschäden verantwortet, dann | |
| wäre es tatsächlich unfair, wenn ausgerechnet der Lebensstil der einfachen | |
| Leute als erstes eingeschränkt würde. Denn das Problem sind nicht „wir | |
| alle“, sondern vor allem die Reichen. Beispielsweise verursacht die ärmere | |
| Hälfte Deutschlands weniger Klimaschäden als selbst die oberen 10 Prozent | |
| in einem Schwellenland wie Indien. Die [10][Klimafrage ist in allererster | |
| Linie eine Klassenfrage]. | |
| taz: Es fehlt den Menschen also nicht einfach an Klimabewusstsein? | |
| Westheuser: Nein. Aber unsere Studie zeigt, dass die Wahrnehmungen rund um | |
| den Klimawandel sich zwischen den sozialen Klassen deutlich unterscheiden. | |
| In der Erzählung der ökologisch sensibilisierten Mittelklasse ist der | |
| Klimawandel die Rechnung dafür, dass wir heute in Saus und Braus leben, zu | |
| viel haben, zu viel wollen und zu viel konsumieren. Wir leben in den fetten | |
| Jahren, aber bald sind sie vorbei, wenn wir uns nicht zügeln. In der | |
| Wahrnehmung [11][der Arbeiterklasse dagegen ist schon die Gegenwart prekär] | |
| und man beschränkt sich sowieso schon die ganze Zeit. Da ist das Ende des | |
| Monats manchmal näher als das Ende der Welt. Wenn einem dann jemand | |
| schmackhaft machen will, dass es doch eigentlich ganz schön wäre, weniger | |
| zu haben, klingt das einfach nur weltfremd. Klimaschutz wird dann als eine | |
| zusätzliche Last oder gar eine Bedrohung des eigenen Lebensprojekts | |
| wahrgenommen. Das führt zu einer Blockade in der Klimapolitik, die man | |
| vermeiden könnte. | |
| 19 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://link.springer.com/article/10.1007/s11609-025-00566-3 | |
| [2] /Volksentscheid-in-Hamburg/!6116890 | |
| [3] /Bilanz-des-Sommers/!6117526 | |
| [4] /Klimakrise-in-der-Stadt/!6108432 | |
| [5] /Wohlstand-erzeugt-Erderhitzung/!6086888 | |
| [6] /Politischer-Einfluss-der-Superreichen/!6073818 | |
| [7] https://www.surplusmagazin.de/zohran-mamdani-newyork-kandidat-buergermeiste… | |
| [8] /Studie-zu-nachhaltigem-Konsum/!6114282 | |
| [9] https://www.surplusmagazin.de/autoren/linus-westheuser/ | |
| [10] /Kapitalismus/!6108937 | |
| [11] /Saisonarbeit/!6115004 | |
| ## AUTOREN | |
| Charlotte Kranenberg | |
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