| # taz.de -- DJ Josi Miller über mentale Gesundheit: „Ich habe schon immer di… | |
| > Auf ihrem ersten Soloalbum verarbeitet DJ Josi Miller Panikattacken. Das | |
| > Nachtleben liebt sie noch immer, fragt sich aber: Ist es nicht viel zu | |
| > laut? | |
| Bild: Das Boot hat sie von ihrem Opa geerbt: Josi Miller am östlichen Stadtran… | |
| Idylle am östlichen Stadtrand Berlins. Es ist ein schöner Tag, die Sonne | |
| schimmert im Wasser eines Kanals, auf der kleinen Insel gegenüber grasen | |
| zwei Schafböcke. [1][Josi Miller] kommt im Boot vorgefahren. An dem | |
| blättert der rote Lack ab, aber der Außenborder tuckert beruhigend. Der | |
| Müggelsee ist nicht weit, und auch die Clubs, in denen das berüchtigte | |
| Berliner Nachtleben zelebriert wird, sind nur eine S-Bahn-Fahrt entfernt. | |
| Miller ist in beiden Welten zu Hause. Die DJane ist vor anderthalb Jahren | |
| an die Stadtgrenze gezogen, hier hat sie ihr erstes Album fertiggestellt. | |
| taz: Frau Miller, wie alt waren Sie, als Sie [2][„La Boum – Die Fete“] zum | |
| ersten Mal gesehen haben? | |
| Josi Miller: Ich muss 18 oder 19 Jahre alt gewesen sein. | |
| taz: Mich hat überrascht, dass Sie auf Ihrem Album den Song „Reality“ | |
| covern. Eine Schnulze, die durch „La Boum“ berühmt geworden ist. Der Film | |
| ist von 1980. Ich hätte gedacht, den kennt niemand aus Ihrer Generation – | |
| und der Song „Reality“ geht schon mal gleich gar nicht mehr. | |
| Miller: Der Film hat immer noch einen Kultfaktor, der sich durch alle | |
| Generationen zieht und der auch mich fasziniert hat. Aber dass ich den Song | |
| gecovert habe, hat vor allem zwei Gründe. Erst einmal passt die | |
| Refrainzeile „Dreams are my reality“ perfekt dazu, dass ich mich auf dem | |
| Album viel mit Träumen beschäftige, dass ich lange auf ein Soloalbum | |
| hingearbeitet habe und dass dieser Traum endlich wahr geworden ist. Und der | |
| zweite Grund war eine Begegnung, die ich im Zug hatte. | |
| taz: Erzählen Sie! | |
| Miller: Ich hatte einen DJ-Gig in Wien, für den [3][Nachtzug zurück nach | |
| Berlin] hatte ich mir das günstigste Ticket gekauft, in dem Abteil waren | |
| außer mir noch fünf Typen eingebucht. Zuerst hab ich richtig abgekotzt, ich | |
| dachte, ich ersticke. Aber dann bin ich mit denen ein bisschen ins Gespräch | |
| gekommen. Und da hat sich herausgestellt: Vier von denen waren Komponisten | |
| aus Wien, auf dem Weg zu einem Workshop an der Uni in Berlin, der so | |
| schlecht bezahlt war, dass sie sich auch nur das billige Abteil leisten | |
| konnten. Wir haben dann die halbe Nacht gejammt in dem Zug. So hab ich | |
| Stepan Sobanov kennengelernt. Für den hat „La Boum“ tatsächlich eine kras… | |
| Bedeutung in der Jugend gespielt. Ein paar Tage später habe ich ihn | |
| gefragt, ob er nicht Bock hätte, ein Streicherarrangement zu schreiben für | |
| das Cover von „Reality“. Als wir fertig waren, hatte er Tränen in den | |
| Augen. | |
| taz: Dass Sie diesen alten Song nun neu interpretieren, habe ich als einen | |
| Abgesang auf das Nachtleben verstanden. | |
| Miller: So kann man das natürlich auch sehen. Für mich ist es eher eine Ode | |
| an die Nacht, ich bin immer noch sehr gern unterwegs im Nachtleben. Aber | |
| ich bin älter geworden, und ich habe angefangen zu reflektieren: Was macht | |
| die Nacht mit mir? Was macht der Alkohol, was machen enttäuschte Sehnsüchte | |
| mit einem? Und ist das alles nicht einfach viel zu laut? | |
| taz: „Can’t go to bed right now / My dreams too real, too loud“, singen S… | |
| auf dem Album. Sie verarbeiten Ihre eigenen Albträume, die [4][von | |
| Panikattacken] ausgelöst wurden. | |
| Miller: Zuerst kamen die Panikattacken. | |
| taz: Was war der Anlass? | |
| Miller: Es gab keinen. Die erste Panikattacke kam aus dem Nichts kurz nach | |
| dem Auflegen auf einem Festival. Es war noch helllichter Tag, ich bin | |
| gerade von der Bühne runter und hatte plötzlich das Gefühl, ich müsste | |
| sterben. Zuerst dachte ich, mir hat jemand was ins Glas getan. Ich hatte | |
| Herzrasen, hab am ganzen Körper gezittert. Es ist schwer zu verstehen, was | |
| mit einem los ist, wenn man das noch nie hatte. | |
| taz: Kein Trigger? | |
| Miller: Nein. Es war halt eine Zeit, in der ich viel zu viel gearbeitet | |
| habe, viel unterwegs war und sehr wenig geschlafen habe. | |
| taz: Das hat man als DJ wahrscheinlich öfters. | |
| Miller: Genau, das ist eigentlich immer so. Keine Ahnung, durch was das | |
| getriggert wurde. Es waren jedenfalls keine Drogen, nicht mal Alkohol. Im | |
| Sani-Zelt wurde ich durchgecheckt und da war nichts. Das war das erste Mal, | |
| dann wurde es teilweise so schlimm, dass ich das Haus nicht verlassen | |
| konnte, weil ich Angst hatte vor neuen Panikattacken. Oft habe ich auch | |
| während des Auflegens eine Attacke bekommen, einmal musste ich einen Gig | |
| komplett abbrechen. Das ging an die Existenz, ich lebe ja von den DJ-Jobs – | |
| und das löst dann noch zusätzliche Ängste aus. Ich war mitten drin in einer | |
| Angstspirale. | |
| taz: Drogen haben keine Rolle gespielt? Ein Song auf Ihrem Album heißt: | |
| „You have a drug problem“. | |
| Miller: Der Song spricht das Thema an, weil es eines ist in meinem Umfeld. | |
| Aber ich selbst hatte nie ein Drogenproblem. Ich finde es sogar | |
| übergriffig, wenn Leute sich direkt neben mir was reinziehen. Andererseits | |
| würde ich schon sehr gerne Drogen nehmen. Ich habe Bock, aber ich kann das | |
| nicht, aus Angst vor Kontrollverlust. Ich trinke gern ein bisschen was, | |
| aber gekifft hab ich das letzte Mal als Minderjährige, und sonst habe ich | |
| nichts ausprobiert, auch wenn die Lines da lagen. Es ist schon krass, die | |
| einzige zu sein, die nüchtern bleibt, und die erste zu sein, die nach Hause | |
| geht. Die berühmte Afterhour ab morgens um sieben hab ich noch nie erlebt. | |
| taz: Trotz der psychischen Probleme haben Sie weiter aufgelegt? | |
| Miller: Ja, ich habe die Zähne zusammengebissen, ich glaube, so bin ich | |
| halt sozialisiert. Ich habe mir Strategien zurechtgelegt, trinke | |
| Apfelschorle, ich weiß immer, wo der Ausgang ist, wo ich mich notfalls | |
| hinlegen könnte. Und wenn die Panikattacke kommt, setze ich mich hin, kippe | |
| literweise Zuckerwasser in mich rein, klopfe mich ab, zähle Menschen. | |
| Solche Techniken wende ich recht erfolgreich an. Das sind dann vier, fünf | |
| schlimme Minuten, aber mittlerweile weiß ich ja, dass es vorbeigeht. Ich | |
| hatte allerdings gehofft, es wird durch Konfrontation besser. Wurde es aber | |
| kein Stück. | |
| taz: Haben Sie sich Hilfe gesucht? | |
| Miller: Ich hab eine Therapie gemacht und viel in der Kindheit rumgewühlt. | |
| Da wurde schnell klar, dass ich [5][eine Angststörung habe] und | |
| Agoraphobie, also Platzangst. Das war schon mal hilfreich zu wissen, dass | |
| ich kein Rad ab habe, sondern dass es eine Krankheit ist, mit der viele | |
| leben. Ich habe dann lange versucht, mit Therapie, mit Selbsttherapie und | |
| Büchern klarzukommen, aber wirklich geholfen haben erst die Antidepressiva. | |
| Die haben zwar sofort angeschlagen, aber von denen habe ich die schlimmen | |
| Albträume bekommen. | |
| taz: Vom Regen in die Traufe? | |
| Miller: Aber echt. Übergriffe, Morde, Terror – und alles dermaßen real, als | |
| würde ich jede Nacht einen zweiten Tag durchleben, aber als Horrorfilm. | |
| taz: Geht das immer noch so? | |
| Miller: Zwischenzeitlich habe ich runterdosiert, doch dann kamen bei den | |
| Auftritten die Angstzustände wieder. Also hab ich wieder höher dosiert, um | |
| arbeiten zu können. Ich bin jetzt ganz gut eingestellt, aber ich weiß noch | |
| ganz genau, wo die Angst sitzt, sie löst nur nicht mehr so krass aus. Dafür | |
| sind jetzt die Träume zurück. Ich lebe damit, aber abends denke ich schon: | |
| Oh nee, ich habe keinen Bock auf den Horror. Immerhin habe ich dadurch viel | |
| über mein Unterbewusstsein gelernt, zum Beispiel welche Menschen mir in der | |
| Vergangenheit nicht gutgetan haben. Die sind immer wieder in meinen Träumen | |
| aufgetaucht. | |
| taz: Mental Health ist im Musikgeschäft spätestens seit 2018 ein Thema, als | |
| [6][der schwedische DJ Avicii], der auch an einer Angststörung litt, Suizid | |
| beging. | |
| Miller: Das stimmt. Ich habe das Gefühl, dass sich immer mehr Leute öffnen. | |
| Es gibt eine Sensibilisierung für das Thema. Zumindest kann man jetzt | |
| relativ frei sagen, dass man Antidepressiva nimmt. Ich hab jedenfalls keine | |
| negativen Reaktionen bekommen, obwohl ich sehr offen damit umgegangen bin. | |
| taz: Sind Sie ein Einzelfall? | |
| Miller: Ganz und gar nicht. Als ich anderen erzählt habe, dass ich die | |
| Pillen nehme, habe ich ganz schnell viele Leidensgenoss*innen | |
| gefunden. Damals war ich bei einer Psychologin, die spezialisiert ist auf | |
| die Musikindustrie. Bei unserem letzten Gespräch fragte sie mich: Möchtest | |
| du, dass ich dich erkenne auf einer Party oder nicht? Wenn ich sie jetzt | |
| treffe und sehe, wen sie alles begrüßt, dann weiß ich: Du und du, wir | |
| sitzen alle im selben Boot. Ich glaube, dass ein überwiegender Teil von DJs | |
| und anderen Artists in der Musikindustrie mit psychischen Störungen zu | |
| kämpfen hat. Das Imposter-Syndrom ist weit verbreitet, also dass Leute | |
| trotz ihrer Erfolge an sich selbst zweifeln. Die, die das nicht haben, | |
| haben dafür eine narzisstische Störung. Dieses Leben in der Nacht, der | |
| wenige Schlaf und die Drogen, dazu die Aufmerksamkeit, die übers Internet | |
| noch potenziert wird – das ist halt ein unnatürlicher Zustand. | |
| taz: War das auch der Grund, warum Sie quasi aufs Land gezogen sind? | |
| Miller: Eigentlich nicht. Ich bin hier, weil in Berlin akute Wohnungsnot | |
| herrscht. Wir haben zwei Jahre lang nichts Bezahlbares gefunden. Ich wollte | |
| nie hierher. Immerhin ist es offiziell ja noch Berlin, aber halt Stadtrand. | |
| taz: Und, gute Entscheidung? | |
| Miller: Ja. Mittlerweile finde ich es mega schön. Der See, der Wald, die | |
| Natur, ich bin plötzlich mega naturverbunden, ich könnte jeden Tag Bäume | |
| umarmen. Ich liebe immer noch das Gewusel der Großstadt, mir fehlen die | |
| Subkultur und die kurzen Wege, ich bin eine leidenschaftliche | |
| Kneipensportlerin, und hier draußen fehlt natürlich Kultur. Man kann sich | |
| abends nicht mal was zu essen bestellen. Ich musste meine großstädtische | |
| Arroganz erst mal ablegen, als ich hier rausgekommen bin. Jetzt muss ich | |
| selber kochen, und man hat nicht diesen ständigen Entscheidungsdruck: Es | |
| gibt nur einen Supermarkt, es gibt ein Restaurant, es gibt eine S-Bahn – | |
| und das tut mir ganz gut. Das Überangebot in Friedrichshain hat schon auch | |
| gestresst. | |
| taz: Dafür besitzen Sie jetzt ein Boot. | |
| Miller: Ja, das habe ich von Opa geerbt. Ich habe keine Ahnung vom | |
| Bootfahren, aber ich liebe es. Ich liebe Berlin ja schon an Land, aber vom | |
| Wasser aus liebe ich es fast noch mehr. Nur: Einen Liegeplatz zu finden, | |
| war fast genauso schwierig wie eine Wohnung. | |
| taz: Meinen Sie, Sie hätten diesen Ausgleich zum Nachtleben schon früher | |
| gebraucht? | |
| Miller: Nach einem Gig brauche ich auf jeden Fall erst mal einen Tag, an | |
| dem ich nur in den Wald gucke. | |
| taz: Wenn ich das höre, frage ich mich: Warum ist dieses Nachtleben so | |
| toll, wenn es einen dermaßen fertigmacht? | |
| Miller: Ich glaube, ich habe schon immer die Gegensätze geliebt, die | |
| Extreme. Es ist natürlich auch eine Sucht, von der ich nicht loskomme. Und | |
| es ist mein Beruf. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwas anderes zu | |
| arbeiten, in ein Angestelltenverhältnis zu gehen und um acht Uhr morgens | |
| aufzustehen. Ich liebe die Selbstständigkeit, alleine herumzureisen. | |
| taz: Allein waren Sie auch in der HipHop-Szene. Sie waren lange unterwegs | |
| als Live-DJ mit dem [7][sehr erfolgreichen Trettmann]. Wie war das, oft als | |
| einzige Frau auf Tour? | |
| Miller: Na ja, das war damals halt so. Als ich angefangen habe, in | |
| Dorfdiscos aufzulegen, war ich 16 und lebte in einem Kaff im Osten. Ich | |
| hatte Kumpels, die haben gerappt, die haben gesprüht, ich fand das cool und | |
| bin da so reingerutscht. Ich habe meinem Frausein gar keine Wichtigkeit | |
| beigemessen. Ich habe einfach gedacht: Auflegen ist übel geil, scratchen | |
| ist geil, ich will das alles machen, ist doch egal, ob ich eine Frau bin | |
| oder nicht. Bis Leute außerhalb der Szene mir das gespiegelt haben, hatte | |
| ich dafür überhaupt kein Gefühl, dass ich allein unter Männern war. | |
| taz: Wer hat Ihnen das zuerst gespiegelt? | |
| Miller: Booker und Veranstalter, die meinten: Wir brauchen eine Frau für | |
| eine Party. Da war ich vor den Kopf gestoßen, dafür bin ich ja nicht | |
| angetreten. Entweder ihr braucht einen soliden DJ oder ihr lasst es | |
| bleiben. | |
| taz: Feministin waren Sie damals offenbar noch nicht? | |
| Miller: Da noch nicht, da gab es keinen Feminismus weit und breit. Da gab | |
| es nur Booker und Security und Barkeeper. Es war sehr männlich dominiert, | |
| aber ich war da auch abgehärtet. Ich dachte: Ich will das, das macht mir | |
| Spaß und ihr legt mir hier nichts in den Weg – auch nicht mit eurem | |
| übergriffigen Verhalten. Ich bin einfach da. So! | |
| taz: Welche Art von übergriffigem Verhalten haben Sie erlebt? | |
| Miller: Die Leute haben damals Drinks bei mir bestellt, während ich | |
| aufgelegt habe, sie fragten mich, wann der echte DJ kommt. Das war Alltag. | |
| Es gab Booker, die plötzlich das Büro zuschließen und noch mal über den | |
| Preis verhandeln wollen: So, Mäuschen, jetzt reden wir noch mal, ob das | |
| wirklich 150 Euro sind. Das war manchmal schon sehr beängstigend und | |
| natürlich saumäßig übergriffig. Die krassesten Geschichten hab ich aber mit | |
| älteren DJs erlebt, die 30, 40 Jahre jedes Wochenende auflegen. | |
| taz: Was waren das so für Geschichten? | |
| Miller: Die haben mir in die Plattentasche gekotzt oder ins Deck gegriffen. | |
| So was habe ich am laufenden Band erlebt, aber ich war weder verletzt noch | |
| beleidigt, mich hat das nur angespornt. Erst viel später habe ich | |
| verstanden, was da passiert ist, warum ich nachts Angst habe vor Männern. | |
| Und noch viel später erst habe ich ein Bewusstsein dafür bekommen, dass ich | |
| auch eine Vorbildfunktion habe. Deshalb gebe ich Workshops für junge Frauen | |
| und FLINTA* und vernetze mich. Es gibt Rapper, für die ich heute nicht mehr | |
| auflegen würde. | |
| taz: Zum Beispiel Frauenarzt, mit dem Sie mal auf Tour waren? Der ist | |
| bekannt für seinen zwar halb ironischen, aber dann halt doch | |
| frauenfeindlichen Act. | |
| Miller: Ich würde ganz sicher nicht noch mal mit ihm auf Tour gehen. Das | |
| war schon damals eigentlich nicht meine Musik, aber ich war jung und habe | |
| das als witzige Erfahrung gesehen. Man muss zur Ehrenrettung von Frauenarzt | |
| sagen: Er selber ist ein übelst netter Mensch. Und auf der Tour damals | |
| waren außer ihm eigentlich nur Frauen mit dabei: Wir hatten eine | |
| Tourmanagerin, es gab die zwei Tänzerinnen und im Vorprogramm [8][waren | |
| SXTN] … | |
| taz: … ein sehr selbstbewusstes Duo aus zwei Rapperinnen. | |
| Miller: Das war tatsächlich ein sehr safes Umfeld, da gab es keine | |
| übergriffigen Männer. Jedenfalls, solang man nicht durchs Publikum ging. | |
| taz: Wie war es dann, mit dem Rapper Trettmann unterwegs zu sein? Für den | |
| haben Sie aus Überzeugung auflegen können. | |
| Miller: Auf jeden Fall. Da war es witzigerweise genau umgekehrt. Das | |
| Publikum war viel angenehmer, aber in der Crew gab es nur Männer. Das war | |
| die beste Zeit meines Lebens. Trettmann kommt wie ich aus Leipzig, wir | |
| kannten uns schon eine Weile, ich fand richtig krass, war er gemacht hat, | |
| und dann ist er noch mit „Grauer Beton“ abgehoben. Das war ein toller | |
| Moment. Aber mittlerweile hab ich mich aus der Rap-Bubble entfernt und mich | |
| hin zum Techno entwickelt. | |
| taz: Warum? | |
| Miller: Alles wurde musikalisch immer ähnlicher, mit vielen Texten konnte | |
| ich mich nicht mehr identifizieren, und ich hab mich auch Backstage nicht | |
| mehr wohl gefühlt. Das ist was ganz anderes als ein Safer Space in einem | |
| Technoclub. Man merkt einfach, dass es in der elektronischen Musik diese | |
| queere Tradition gibt – aber klar, da ist auch nicht alles super. | |
| taz: Zuletzt wurden selbst aus dem Berghain Übergriffe gemeldet. Wie stark | |
| hat sich die Partyszene verändert? | |
| Miller: Ziemlich deutlich. In den vergangenen Jahren haben Clubs | |
| Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, setzen vermehrt auf Awarenesskonzepte, aber | |
| offensichtlich reicht das immer noch nicht, um Übergriffe komplett zu | |
| verhindern. Außerdem stresst mich die zunehmende Tiktokisierung. | |
| taz: Was meinen Sie damit? | |
| Miller: Es läuft anders in den Clubs als vor Corona. Im Berghain kann der | |
| DJ noch einen Spannungsbogen über acht Stunden bauen, da gehen alle | |
| zusammen auf eine Reise. Aber sonst muss alles schnell gehen. Auf Festivals | |
| und den Mainstreampartys legst du eigentlich nur noch für die | |
| Social-Media-Highlights auf. Die Tracks werden immer kürzer, die Leute | |
| gehen nur noch ein paar Stunden feiern, stattdessen filmt sich der DJ beim | |
| Auflegen, die Leute filmen sich beim Tanzen, und alle treffen sich dann auf | |
| Tiktok, um viral zu gehen. | |
| taz: Und demnächst legt dann gleich die KI auf. | |
| Miller: Ich gebe zu, künstliche Intelligenz ist in der Produktion ein | |
| extrem hilfreiches Tool, das ich auch viel verwendet habe. Natürlich gibt | |
| es KI-Artists, sogar Timbaland macht da mit, es gibt KI-Bands. Noch hoffe | |
| ich, dass die KI einen Artist nicht wird ersetzen können, weil die Leute | |
| etwas Echtes wollen. Aber das ist schon auch ein Thema, das mir Angst | |
| macht. | |
| 18 Oct 2025 | |
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