| # taz.de -- Politik-Professorin über Hannah Arendt: „Ein selbstständig denk… | |
| > In den Kinos läuft ein neuer Film über Hannah Arendt. Ihr Denken ist | |
| > durch Rechtsruck und Social Media absolut aktuell, sagt Waltraud | |
| > Meints-Stender. | |
| Bild: Da sitzt sie: Szene aus dem Film „Hannah Arendt: Denken ist gefährlich… | |
| taz: Frau Meints-Stender, es gibt bereits zahlreiche Bücher und Filme über | |
| Hannah Arendt. Wozu braucht es noch einen Film über sie? | |
| Waltraud Meints-Stender: Das liegt meiner Meinung nach auf der Hand: Die | |
| Aktualität, die Unabhängigkeit und der Mut ihres Denkens. Hannah Arendts | |
| Ausgangspunkt sind die Erfahrungen ihrer Zeit. Unsere Erfahrungen sind zwar | |
| nicht die von Arendt, aber in ihren und unseren Erfahrungen liegen | |
| grundlegende Probleme, die bis heute nicht geklärt sind und heute unter | |
| anderen Vorzeichen wiederkehren. | |
| taz: Wie meinen Sie das? | |
| Meints-Stender: Es gibt autoritäre Elemente in allen modernen Demokratien. | |
| Das bezieht sich auf die Missachtung sozialer Ungerechtigkeiten – nicht nur | |
| national, sondern auch global. Dazu zählen die eingeschränkten Rechte von | |
| Minderheiten, die Erosion der Rechtsstaatlichkeit und die [1][Einflussnahme | |
| von Politikern auf Richterwahlen]. | |
| taz: Hannah Arendt sagte in ihrem letzten Interview, dass es keine | |
| gefährlichen Gedanken gebe, das Denken an sich sei gefährlich. Warum ist | |
| das Denken gefährlich? | |
| Meints-Stender: Die zentrale Idee dieses Satzes besteht darin, dass jemand, | |
| der selbstständig denkt und an die Stelle eines anderen zu denken versucht, | |
| zwangsläufig unbequem wird. Ein solcher Mensch verhält sich widerständig, | |
| stellt gängige Meinungen infrage und argumentiert gegen den Mainstream. | |
| Denken ist in diesem Sinne für die Denkenden gefährlich, weil sie sich | |
| nicht unterwerfen, sondern sich sowohl auf andere als auch auf sich selbst | |
| beziehen. Sie treten also in eine reflexive Auseinandersetzung darüber ein, | |
| was sie denken und wie sie handeln. | |
| taz: Autoritäre Kräfte erstarken derzeit vielerorts, in Europa, den USA und | |
| hier in Deutschland. Demokratische Grundwerte geraten immer mehr unter | |
| Druck: Haben wir als Gesellschaft verlernt, selbstständig und kritisch zu | |
| denken? | |
| Meints-Stender: Nein. Ich denke, dass Menschen durch einen gemeinsamen | |
| Austausch öffentliche Räume schaffen können, also Orte, an denen Meinungen | |
| sichtbar und hörbar werden. Die sogenannten sozialen Medien erschweren | |
| diesen Austausch jedoch. | |
| taz: Inwiefern? | |
| Meints-Stender: Öffentliche Rede, also ein Austausch über beispielsweise | |
| Migration oder soziale Fragen, sollen ja Wirklichkeiten enthüllen. Das ist | |
| in den [2][sozialen Medien] nicht mehr gegeben. Sie sind rechtlich nicht | |
| gebunden und wirken häufig ausschließend. Es findet also kein richtiger | |
| Austausch mehr statt. Stattdessen verbreiten sich Lügen, die Interesse | |
| vortäuschen, ohne dass ein echtes Gespräch stattfindet. Dennoch: Nein, ich | |
| glaube nicht, dass man das selbstständige Denken verlernen kann. | |
| taz: Welches ist das zentrale Vermächtnis Hannah Arendts für unsere heutige | |
| Zeit? | |
| Meints-Stender: Besonders hervorzuheben sind ihr Mut, ihre intellektuelle | |
| Unabhängigkeit sowie ihre Fähigkeit, schwierige Wahrheiten auszusprechen, | |
| auch wenn dies mit Kritik verbunden ist. Sie hat sich den Realitäten | |
| gestellt, wie sie sind. Arendt verstand Denken nicht als abstrakte, elitäre | |
| Tätigkeit, sondern als aktive, politische Praxis und somit als | |
| Voraussetzung für verantwortliches Handeln in der Gesellschaft. Das macht | |
| sie bis heute zu einer einzigartigen Persönlichkeit. | |
| taz: Inwiefern gelingt es dem im September erschienenen Dokumentarfilm | |
| „Denken ist gefährlich“ von Jeff Bieber und Chana Gazit, den Menschen | |
| [3][Hannah Arendt] vollständig abzubilden? | |
| Meints-Stender: Ich glaube, das ist unmöglich. Das ist keine Schwäche des | |
| Films, sondern man muss auch das Medium selbst in seinen Grenzen | |
| wahrnehmen. Er parallelisiert ja die politischen Ereignisse mit der | |
| Biografie Hannah Arendts und versucht dadurch zu zeigen, wie sie darauf | |
| reagiert hat. Aufgrund der Vielzahl der Ereignisse kann dies natürlich nur | |
| oberflächlich erfolgen. Der Anspruch des Films ist zwar sehr interessant, | |
| aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Ereignisse jedoch nicht einlösbar. | |
| 9 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Finn Sünkler | |
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